Im muffigen öffentlich-rechtlichen System hat sich das New Pop- Festival des SWR 3 als popkulturelles Refugium durchgesetzt

Es kracht, zischt im schweren Rhythmus. Funkenregen flackert an den Hallenwänden, Metall auf Metall schrillt in den Ohren. Dann plötzlich Ruhe vor dem Sturm, die Lichter erlöschen, das Konzert kann beginnen im Jubel der 5000 Zuschauet Royal Albert Hall, Fillmore West, Waldbühne – alles gewaltig, hübsch oder kuschlig, doch. Aber ziemlich unspannend, vergleicht man sie mit der Karosserie-Rohbau-Halle von Daimler Chrysler in Rastatt. Wo zwei Minuten vor dem ersten Auftritt Dutzende riesenhafter Roboter die A-Klasse auf dem acht Fußballfelder umfassenden Raum zusammenschweißen und man nun bei Bier und Bockwurst Zaungast sein darf. Wir drehen uns um, und da hüpft die Bloodhound Gang entfesselt über die Bühne und grölt „Fuck America“.

Sponsoren sind ja nicht immer bloß ein bisschen peinlich. „Wenn wir sie nicht hätten“, erläutert Robby Gierer, Musik-Redakteur und seit sechs Jahren Mitorganisator des „SWR 3 New Pop“-Festivals, „hätten unsere Zuschauer viel schlechtere Bedingungen.“ Die sind nun nahezu ideal. 15 Mark Eintritt pro Konzert, ein hübsches Stelldichein der Bands in der Festival-Lounge am Nachmittag und der kostenlose Bustransfer zu den Venues sind dabei bloß Nebensache, Spielorte wie in Rastatt oder das blattgoldschwangere Theater Baden-Baden schon eher Argumente für den Ruf des Festivals. Vor allem aber hat es sich den Nimbus erworben, stets vor allen anderen die kommenden Stars verpflichtet zu haben. Chumbawamba und Angelique Kidjo waren das 1994, dann Alanis Morissette und Mercury Rev, 1996 Kula Shaker, Faithless und die Fugees, ein Jahr später Paula Cole, Meredith Brooks und Freundeskreis, dann Eagle Eye Cherry und Xavier Naidoo und heuer neben Travis, Control Machete, Macy Gray, Manau und Zentrifugal eben die Bloodhound Gang.

Juck Jimmy Pop , brüllt Jimmy Pop den kaltgestellten Robotern und seinen heißgelaufenen Fans entgegen, fuck Germany, fuck, fuck Britney Spears! And now a song for my dear mother!“ Der klingt dann so wie von Klaus Meine und Rudolf Schenker verbrochen. Das findet Jimmy ungeheuer lustig. Außerdem ziehen er und seine Mannen sich schneller um als Diana Ross, und das auch noch auf offener Bühne. Danach sehen sie aus wie ‚N Sync und klingen auch so – mit einer Ration Drogen, die sogar Hunter S. Thompson umgehauen hätte. Dann spielen sie „Along Comes Mary“, und die Fans sind umgehauen. So schnell kann das gehen.

Wo doch der Abend schon einigermaßen trunken angefangen hatte. Was ein bisschen an den niedlichen Bierpreisen, aber auch an fünf Verrückten aus Milwaukee lag – das Zentrum der amerikanischen Bierbraukunst, wie uns Citizen King belehren. Und dann stellt – war’s im Eiscafé neben den reichen Witwen, in der Bar zwischen solariumbraunen Porschefahrern oder doch im Bus nach Rastatt, man verliert ja den Überblick so leicht – jedenfalls stellt jemand die Frage, weshalb so ein Festival nun ausgerechnet von einem dieser öffentlich-rechtlichen Radiosender veranstaltet werde, wo die doch sonst überall ein Bild des Jammers abgeben. Eine gute Frage. Zumal dieser Sender jeden Tag zehn Stunden New Pop überträgt und über 20 Radio- und TV-Stationen aus aller Welt zu Gast hat Wieso also? Und macht er das nur drei Tage im Jahr und sonst ist Business as usual?

Nein, ganz und gar nicht, sagt Robby Gierer, so ein Konzept sei ja nun kein Überraschungsei. „Wir versuchen, uns soweit wie möglich ein Profil zu schaffen, das dann in diesem Festival kulminiert. Und wir können das, weil uns öffentlich-Rechtlichen nicht alle denkbaren Verlage und Geldgeber im Nacken sitzen und täglich die Quote erfragen.“ Selbst wenn das Konzert der französischen Shootingstars Manau manchen Zuschauer kaum länger als drei Songs im Saal hielt – das „New Pop“-Festival jedenfalls setzt überaus erfreuliche Akzente in der Musiklandschaft. Und dass seine anderen ARD-Kollegen irgendwann einmal ebenfalls zur Einsicht kommen würden, glaubt Robby Gierer, sei ja nur eine Frage der Zeit.

Sein Wort in Gottes Ohren.

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