In Berlin nichts Neues

Bewährtes gelassen und Kleinigkeiten neu gestaltet": RAMMSTEIN gehen mit ihrem dritten Album „Mutter" ein bisschen zu sehr auf Nummer sicher

Ganz entzückend, das winzige Wesen. Hat so kleine Hände und die Augen auch noch gar nicht richtig auf. Denkt an überhaupt nichts und zu allerletzt wohl an den bösen Onkel Lindemann.

Der will nun nämlich die Stimme aus dem Kissen sein und sich übel rächen. Für die schlimmen Zeiten, da ihm keine Mutterbrust Milch weinte und er keine Nippel lecken durfte und nicht mal einen Nabel hatte. Dafür wird er die Mama nun im Fluss versenken und träumt dann von kleinen Kindern, die im nassen Sand verscharrt werden. Eine nicht ganz faire Montage aus dem perfiden Cover und drei Songs des neuen Rammstein-Albums „Mutter“.

Aber Lindemann wird sicher gerne zitiert – keiner schreibt schließlich satanische Verse, um vergessen zu werden. Dass er nach getaner Tat nicht mehr darüber sprechen will, macht seine Lyrik nur noch mehr zum FanaL Das brennt und lodert nun also wieder über allen Kontinenten und leuchtet dem Helden seinen Weg zur Unsterblichkeit. Allein: Es flackert in denselben Farben wie seine Vorgänger. Eine neue Platte von Rammstein, aber nichts Neues aus Berlin. Hübsch kranke Phantasien wie aus dem Hannibal-Massaker gestohlen, ein Lied heißt endlich „Links 234“ und sorgt als einziges für gespitzte Ohren, doch davon später mehr. Wenn Linde-mann „Rein Raus“ sabbert, dann ist da kein bisschen Metaphorik mit im schweißnassen SpieL Stünde nicht hinter ihm wie stets und ständig die Dampframme der fünf Freunde, der Titel hätte das Zeug zum veritablen Hit auf der Schinkenstraße von Arenal. Verpasst die Chance, kein Metal passt zum Sangria, so ein Pech. Und dann kommt er auch noch zu früh, der Deckhengst! Da freuen wir uns ja schon jetzt auf das Video und Amerikas Puritaner auf die Bühnenshow. Aber ehrlich gesagt freuen wir uns ja gar nicht über allzu viel, wenn wir an Deutschlands erfolgreichsten Rock-Export nach den Scorpions denken. Zuerst haben uns die Brandstifter mit dem Verdacht, sich dem rechten Rand anzudienen, auf Trab gehalten und es jedem schwer gemacht, musikalische Novitäten in der kruden Mischung aus Schwermetall und Techno ungestraft entdecken zu dürfen. Und jetzt, da die kritischen Stimmen aus dem linken Establishment allmählich verstummen, da nehmen die Jungs ein drittes Studio-Album auf, das in etwa so überraschend daherkommt wie die jüngsten Produkte von Joe Cocker und Rod Stewart „Als Musiker glaubst du ja eigentlich immer, dass deine neue Platte frisch klingt“, sagt Gitarrist Paul Landers, der mir nach Richard Kruspe beim letzten nun dieses Mal als Auskunftei zugeteilt wurde. Lindemann, wie gesagt, redet ja nicht Und Paul findet also, dass „Mutter“ frisch und neu klingt. Weil das jeder Musiker tut, „sogar AC/DC und die Ramones“. Wovon es ja nicht wahrer wird im sorgfaltig abzuwägenden Einzelfall. „Aber es ist auf jeden Fall Blödsinn, irgendeinem die Neuerungen erklären zu wollen, der die Platte sowieso nicht mag.“

Weil mein Outing allerdings noch aussteht, setzt Landers nun leichtfüßig fort: „Ich denke, wir haben Bewährtes drin gelassen und Kleinigkeiten neu gestaltet. Gut, wir sind natürlich nicht Moby, der sich für jedes Album neu erfindet. Aber der ist auch allein.“ Und außerdem habe es durchaus etwas für sich, von den Fans wiedererkannt zu werden. Da scheint das Klassenziel erreicht Ein Pluspunkt vor allem für Kontinuität in Amerika. Davon aber will Paul nun überhaupt nix wissen: „Die Leute tun jetzt so, als seien wir die einzige deutsche Band mit Erfolg da drüben.“ Da hat er Recht. „Aber Atari Teenage Riot gibt’s da auch zu kaufen, die Guano Apes sind stellenweise bekannt, die Einstürzenden Neubauten, und Nena mit den Luftballons auf englisch!“ Aber ja. Und was ist mit Nektar? Und hatte nicht Inga Rumpfauch dereinst ein Ticket nach New York?

Für das neue Album, erzählt uns Paul, habe die Band sich vorgenommen, „ganz besonders gut zu sein. Das wäre fast gegen den Baum gegangen.“ Druck, das ließe sich natürlich nicht leugnen, laste schon auf einer Band und sogar auf dieser, „aber ich habe dann mit einem Fan von uns telefoniert, und der meinte bloß: PauL ihr seid doch gut, also macht es so, wie ihr es könnt!“ Danach war alles in Butter. Der Till brachte „an die 50 Songs“ ins Studio, es gab Diskussionen und jetzt eben „Mutter“. Das Leben kann manchmal so einfach sein.

Von den Diskussionen möchte ich jetzt aber mehr erfahren. „Klar gibt es zwei Fraktionen in der Band“, grinst PauL Ich hatte das ja schon vermutet, wenn doch Richard Kruspe keinen der Texte wirklich kommentieren wollte damals und Paul Landers nun sagt: „Die Texte, das sind wir!“

Er sagt noch mehr. Zum Beispiel, dass er halt nicht Richard Kruspe sei und außerdem der Fraktion angehöre, „die mehr so das ferkelige, sudelige mag und nicht das lyrisch-nette“. Seine Gruppe ist die stärkere, wie es scheint. Aber immer zu Kompromissen bereit. „Als Till damals in einem Song ,Hallo hallo, ich will ficken‘ rief, da hat sich die Sudelfraktion das 20mal gewünscht, die anderen wollten es gar nicht haben. Am Ende kam es einmal vor. Wir finden immer eine gute Mischung.“

Und bisweilen sind sie auch für Überraschungen gut, ganz versteckt. Womit wir wieder bei „Links 234“ wären. Ein beachtenswertes Lied, vielleicht. Mit einer Hundertschaft im Stechschritt fangt es an, dann stellt Lindemann ein paar blöde Fragen, und danach kommt es: „Sie woll’n mein Herz am rechten Fleck, doch seh‘ ich dann nach unten weg, dann schlägt es links!“ Das hätte ja fast der Hannes Wader dichten können, damals, als der Lindemann noch seine verkorkste Kindheit im real existierenden Sozialismus durchlitt. „Wir haben da ein Lied gemacht, dessen Musik die Kritiker immer hören wollten, dessen Text sie aber nicht von uns hören wollten. Das ist unser Statement. Da sagen wir, wie wir die Sache sehen.“ Mehr, so glaubt PauL muss man dazu nicht sagen. Finden wir auch.

Dann singt Lindemann mit der Stimme Ozzy Osbournes,,Hier kommt die Sonne“, und danach wird’s wieder eklig. Lindemann träumt von verbrannter Haut und befiehlt „Feuer frei! Bang bang!“ Genau solche Typen braucht die Welt oder doch mindestens eine gute Band, meint Paul. „Ohne jemanden mit Charakter am Mikro geht gar nichts. Gute Bands mit ’ner Lulle als Sänger schaffen’s nie.“ Stimme sei dabei nicht weiter wichtig: „Das sehen wir ja bei Grönemeyer. Aber wir haben halt das Glück, einen Mann mit Lebenserfahrung vorne stehen zu haben. Der hat Sachen durchgemacht, die will keiner von uns erleben. Ganz schlimme Dinge, aber uns nützen sie nun.“

Richard Kruspe hatte Till im letzten Jahr noch weniger gottesfürchtig als „seelisch schwer gestört“ bezeichnet.

Aber Paul ist ja auch nicht Richard, haben wir gelernt Rammstein allerdings sind mit dem neuen Album schlicht, einfach und auch einigermaßen enttäuschend Rammstein geblieben. Pathos pur, stählerner Bombast, Kinderchöre und Schlachtfeldgesänge, Blutrausch und Fegefeuer. Produziert von fünf netten Kerlen und einem sechsten, bei dem man nicht so genau weiß. Interessant wird das Ganze vermutlich erst wieder, wenn Herr Lindemann seine Memoiren schreibt. Auf deren Vertonung können wir dann sogar großzügig verzichten.

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