Madonna: „In den besten Jahren“ – Das ROLLING STONE-Interview

Seit 30 Jahren provoziert Madonna. Mit Sex, Style, Symbolen – und nun mit ihrem Alter. Ein Hausbesuch von Brian Hiatt.

Manche Leute beschäftigen sich sehr ernsthaft mit der Frage, wer denn nun die „Queen of Pop“ sei. Ist das eine Krone, die Sie sich aufsetzen möchten?

Na ja, ich sehe mich schon als Königin, aber ich bin nicht die einzige. Es gibt genug Raum für andere Königinnen. Wir regieren in verschiedenen Königreichen.

Lady Gaga erzählte unlängst Howard Stern, in der Öffentlichkeit habe sich wohl der Eindruck verfestigt, dass sie Madonnas Krone beanspruche. „Ich will ihre gottverdammte Krone nicht“, sagte sie dann.

Das sehe ich ähnlich. Wir leben in einer Welt, in der die Leute gern Frauen gegeneinander ausspielen. Und deshalb halte ich es auch für wichtig, mich mit Frauen zu verbünden, die im gleichen Metier tätig sind. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Lady Gaga habe ich nur einmal kritisiert, nämlich als sie einen meiner Songs krass kopierte. Was nichts mit „Sie will meine Krone“ oder „Wir kommen uns ins Gehege“ zu tun hat. Sie macht ihr eigenes Ding. Sie ist eine talentierte Sängerin und Songschreiberin. Es ging nur um diesen einen konkreten Fall, aber natürlich stürzten sich alle darauf und bauschten es zur Blutfehde auf. Wie fantasielos. Aber wissen Sie was? Ich kümmere mich gar nicht mehr darum. Eines Tages wird sich das Thema ganz von selbst erledigen. Sie werden schon sehen.

 

Führen Sie Tagebuch? Schreiben Sie Gedichte, die nicht für fremde Augen bestimmt sind?

Ja, beides. Eine meiner Assistentinnen fand gerade ein Tagebuch, das ich 1991 geschrieben habe. Genau wie heute jammerte ich schon damals, dass ich nicht vernünftig schlafen kann. Manche Dinge ändern sich wohl nie. Was dann auf ganz seltsame Weise fast schon wieder beruhigend war.

Sie haben sich bereits in den 80er-Jahren über Schlaflosigkeit beklagt. Wann fing das an?

Tief in meinem Innern wahrscheinlich schon, als meine Mutter starb. Schlafen ist mir nie leichtgefallen.

Dann kommen Sie also mit drei Stunden pro Nacht aus?

Wenn ich auf sechs Stunden komme, ist es kein Problem. Aber weil ich eine Karriere habe und gleichzeitig eine aufmerksame Mutter sein will, mache ich viele Pausen und kümmere mich um die Kids, um mich dann wieder der Arbeit zu widmen. Wenn ich an neuer Musik arbeite, verlasse ich das Studio nie vor zwei Uhr morgens. Um sieben muss ich raus, um mich um die Kinder zu kümmern. Insofern sind die Schlafdefizite nicht gerade überraschend.

Also sind Sie so etwas wie ein Werbeträger für die Nutzlosigkeit des Schlafens.

Wer nicht schläft, dreht früher oder später durch. Aber genauso wenig verstehe ich Leute, die zwölf Stunden am Tag schlafen – bis mittags? Für mich ist das der Gipfel der Antriebslosigkeit. Wie kann man sich nur so gehen lassen? Selbst als Teenager hab ich das nie getan …

… weil Sie Ihre Ziele hatten. Sie hatten …

… Feuer unterm Arsch? Absolut. Es gab keine Zeit zu verschwenden.

Nicht viele Menschen haben derart ausgeprägte Ambitionen.

Mag sein. Aber mit diesen Leuten kann ich auch nichts anfangen.

Haben Sie den Film „Whiplash“ gesehen (Damien Chazelles grandiosen Musikfilm über den Schlagzeug-Schüler Andrew und dessen harten Lehrer, Fletcher – Red.)?

Hab ich – und ich war begeistert. Ich konnte mich voll damit identifizieren. Ich hab ihn mir mit all meinen Kindern angeschaut, die hin und weg waren und am Ende auch ein bisschen sprachlos. Mein Sohn David, der von all meinen Kindern der Redseligste ist, sagte nur: „Wow, ich will irgendwann auch mal was machen, das meine Hände bluten lässt.“ Als der Hauptdarsteller sagt: „Ich möchte lieber ein 34-jähriges Genie sein, das was aus seinem Leben macht und dann an einer Überdosis stirbt, als 93 Jahre lang vor mich hin zu vegetieren und nichts auf die Beine zu stellen“, dachte ich nur: „Absolut!“ Das war genau auf meiner Wellenlänge. Natürlich nicht der …

… selbstzerstörerische Aspekt?

Genau. Nein. Aber an sich selbst zu glauben, den Willen zu haben, auch durchs Feuer zu gehen, immer nur das zu tun, was du tun willst, nach dem Autounfall mit blutigen Händen den Gig zu spielen … Das bin ich, genau das bin ich.

Aber ich vermute, dass Sie nie einen Lehrer hatten wie J. K. Simmons in dem Film?

Und ob ich solche Lehrer hatte! Ganz sicher.

Auf Ihrer Highschool gab es einen Tanzlehrer, Christopher Flynn, der wohl eine wichtige Rolle in Ihrem Leben gespielt hat. War er aus diesem Holz geschnitzt?

Und ob. Er war brutal. Er lief mit einem Stock herum und schlug zu, wenn ihm etwas nicht passte. Er konnte auch unglaubliche Sprüche machen, wie: „Komm gefälligst nicht in mein Sprechzimmer und steh wie ein Häufchen Elend da rum. Verschwinde!“ Er konnte Lahmarschigkeit nicht leiden, genauso wenig wie Selbstmitleid. Er war dem Lehrer in „Whiplash“ durchaus ähnlich. Aber wenn man etwas Positives geleistet hatte, konnte er dich auch mit Komplimenten überschütten – zumindest gelegentlich. Er war derjenige, der mir sagte: „Du musst von hier verschwinden. Du hast ein Talent – geh nach New York!“

Wenn Sie nie in seine Klasse gegangen wären: Wäre Ihre Entwicklung dann komplett anders verlaufen?

Na ja, es sind eine Menge Dinge passiert, die meine Entwicklung beeinflusst haben. Wäre meine Mutter nicht gestorben, wäre ich wohlbehütet in einer richtigen Familie aufgewachsen, dann wäre ich vermutlich in Michigan geblieben und Lehrerin geworden. Denn ich war wirklich dankbar für die Lehrer, die ich dort hatte. Besonders meine Lehrer in Kunst, englischer Literatur und russischer Geschichte haben mir auf meiner künstlerischen Suche unendlich viel geholfen. Ich ging durch eine längere Phase, in der ich (die amerikanische Malerin) Georgia O’Keeffe sein wollte. Doch eines Tages kam meine Kunstlehrerin zu mir, haute mir mit einer Papierrolle auf den Kopf – alle Lehrer schlugen mich! – und sagte: „Das ist ja furchtbar! Du wirst nie eine Künstlerin werden. Du bist ein Showgirl – also geh deinen Weg und verschwinde hier!“

Es gab auch so etwas wie Mutter-figuren. Christopher, mein Ballettlehrer, war der erste schwule Mann, dem ich begegnete – zumindest der erste, der offen schwul war. Ich ging noch auf die Highschool, als er mich in einen Gay-Club schleuste und mir dadurch eine völlig neue Welt erschloss. Nicht nur was die Gay Culture angeht, sondern überhaupt die Erkenntnis, dass man anders sein konnte.

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Das „rebel heart“, über das Sie singen, dieser rebellische Impuls: Worauf führen Sie den zurück?

Sie meinen, warum ich ein Störenfried wurde? (lacht) Es reicht wohl, wenn man in einer provinziellen, vorstädtischen, kleinkarierten Umgebung aufwächst – jedenfalls habe ich meine Umwelt so erfahren. Das Gefühl zu haben, nicht reinzupassen, ausgeschlossen zu sein. Und da mir die Leute auf der Schule das Gefühl gaben, nicht ihresgleichen zu sein, bin ich eben noch einen Schritt weitergegangen: „Ihr mögt mich also nicht? Fickt euch doch! Dann treibe ich es eben noch etwas weiter. Wie wär’s mit diesen buschigen Haaren in den Achselhöhlen?“ Es war einfach in meiner DNA. Und keine Mutter zu haben trug sicher auch dazu bei. Es gab keine Mutter, die sagte: „So und so solltest du dich nicht verhalten.“ Ich hatte einen Vater, ältere Brüder, eine Stiefmutter, zu der ich allerdings keine Beziehung hatte. Mit anderen Worten: Es gab kein Vorbild für mich.

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