Madonna: „In den besten Jahren“ – Das ROLLING STONE-Interview

Seit 30 Jahren provoziert Madonna. Mit Sex, Style, Symbolen – und nun mit ihrem Alter. Ein Hausbesuch von Brian Hiatt.

Sehen Sie Parallelen zwischen ihm und der frühen Madonna?

Nein, eher nicht.

Weil Sie nie ungebeten auf eine Bühne gesprungen sind?

Ich glaube, dass er diese ganzen Awards-Veranstaltungen viel zu ernst nimmt. Ich habe mir nie zu Herzen genommen, wer da gewinnt oder nicht, weil es einfach nicht relevant ist. Das ist tatsächlich ein Teil seiner Persönlichkeit, der mir fremd bleibt. Was soll das, auf die Bühne zu laufen und zu behaupten, dieser oder jener hat den Preis eher verdient? Wer zu einer Awards-Show geht, sollte keine Gerechtigkeit erwarten.

Bei den Grammys sah man Sie zusammen mit Taylor Swift. In gewisser Weise ist sie ja so etwas wie die Anti-Madonna, aber ich fragte mich, ob sie Ihnen nicht vielleicht ähnlicher ist als all die offensichtlichen Kandidatinnen. Sie haben immer wieder provoziert, während sie bewusst das Gegenteil macht.

Mit Absicht? Wäre mir nicht bewusst. Sie hat ihren eigenen Kopf, stellt Konventionen infrage – und hat insofern wohl auch Ähnlichkeit mit mir. Bei ihr ist es eben das vermeintliche Sauber-frau-Image, das auf viele Leute wie ein rotes Tuch wirkt. Und allein schon deshalb möchte ich sie in den Arm nehmen.

Bis zu einem gewissen Grad ist eigentlich jede junge Popsängerin ein Zerrbild von Ihnen. Wie gehen Sie damit um?

Manchmal verspüre ich so etwas wie Neid: Es ist heute so viel leichter, berühmt zu werden,denke ich mir dann. Oder: Es ist heute so viel einfacher, seine Sachen an den Mann zu bringen. Andererseits ist es aber auch erheblich schwerer, weil man nicht die Chance bekommt, sich als Performer selbst zu finden. Zu Beginn meiner Karriere gab es nun mal kein Internet, kein Networking in Social Media – rein gar nichts. Es war ein Auftritt nach dem anderen, immer getrieben von der Hoffnung, vielleicht eines Tages entdeckt zu werden. Doch all diese Erfahrungen helfen einem, sich weiterzuentwickeln – ohne dass einem dabei die große Öffentlichkeit über die Schulter schaut. Und diese Erfahrung ist ungeheuer wichtig, weil man nicht nur als Künstler wächst, sondern auch sein Selbstbewusstsein aufbauen kann. Es ist kein Zuckerschlecken für ein 18-jähriges Mädchen, wenn sich heute gleich die ganze Welt auf einen stürzt und einen in Einzelteile zerlegt. Ich beneide sie nicht.

Auf der anderen Seite scheint das einzige Vorurteil, das in der Popmusik akzeptabel ist, im Ressentiment gegen die ältere Generation zu bestehen.

Ja, das ist die letzte Bastion. Wir haben für Bürgerrechte gekämpft, wir haben für Schwulenrechte gekämpft. Die Political Correctness ist schon so weit fortgeschritten, dass sich niemand mehr trauen würde, einen Mitmenschen wegen seiner Hautfarbe, seiner sexuellen Orientierung oder seiner Religion zu beurteilen. Aber das Alter ist noch immer ein Terrain, auf dem man nach Herzenslust diskriminieren kann. Natürlich nur Frauen, nicht Männer. Wir leben also noch immer in einer sexistischen Gesellschaft.

Die Leute bewundern die körperlichen Leistungen eines Mick Jagger oder eines Springsteen, aber in Ihrem Fall ist es anders.

Ja, es ist krass und offensichtlich.

Ignorieren Sie das einfach, oder wie gehen Sie damit um?

Ich ignoriere es nicht, ich registriere es sehr wohl. Niemand würde es wagen, auf Instagram einen herablassenden Kommentar über jemanden zu schreiben, weil er schwul oder schwarz ist. Aber bei meinem Alter? Jeder fühlt sich berufen, etwas Abfälliges über mich abzusondern. Und ich frage mich dann: Wo ist der Unterschied zwischen diesem Verhalten und Rassismus? Sie beurteilen mich nach meinem Alter. Wie kann das gesellschaftlich akzeptabel sein? Ich versuch’s zu verstehen, kann’s aber nicht. Wenn Frauen ein bestimmtes Alter erreichen, scheinen sie zu akzeptieren, dass manche Verhaltensweisen nicht mehr erlaubt sind. Aber das sind Regeln, an die ich mich nicht halte. Ich hab’s nie getan und werde auch jetzt nicht damit anfangen.

Wenn Sie also auf dem roten Teppich Ihre Pobacken zeigen, wollen Sie bewusst die Erwartungen unterlaufen, wie eine …

Genau: So sieht ein 56 Jahre alter Hintern aus, Motherfuckers!

Na ja, so sieht Ihrer vielleicht aus – was aber nichts über den durchschnittlichen …

Wissen Sie, vielleicht kommt ja der Tag, an dem man dort auch einen völlig durchschnittlichen Hintern zeigen kann. Darum geht’s doch. Als ich mein „Sex“-Buch machte, war es nicht Durchschnitt. Als ich bei den MTV Awards auftrat, das Kostüm hochrutschte und mein Hintern zu sehen war, war das ein Skandal. Als mir die Kameras für „Truth Or Dare“ bis in meine Privatsphäre folgten, galt das auch nicht als normal. Wenn ich nun also diejenige bin, die die Tür für andere Frauen aufstößt und ihnen klarmacht, dass sie in ihren Fünfzigern oder Sechzigern noch so sexuell und attraktiv und bestechend aussehen können wie in ihren Zwanzigern, dann sei es so.

Im Text von „Joan Of Arc“ heißt es: „Each time they take a photo-graph/I lose a part I can’t get back.“ Das klingt eher wie das Motto von Sean Penn, mit dem er sich die Presse vom Leib hält.

Es gibt einige mystische Theorien, die besagen, dass man einen Teil seiner Seele verliert, wenn man fotografiert wird. Aber ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus: Wenn man fotografiert wird, setzt man damit eine Million individueller Wahrnehmungen in die Welt. Man ist für immer in diesem einen Moment eingefroren – als würde dieses Foto deine ganze Person verkörpern. Was natürlich ein Trugschluss ist.

Und manchmal meldet sich dieser Moment sogar im Leben zurück – wie in „Birdman“.

Genau. (lacht) Es ist schon ein Paradox: Ich liebe es, fotografiert zu werden – oder, anders gesagt: Ich liebe die Kunst des Fotografierens. Aber hier geht es darum, dass andere Fotos von dir stehlen – und dann etwas unterstellen oder ins Bild hineininterpretieren oder mit einer Bildunterschrift versehen. Worte können nie zurückgenommen werden, Fotos können nicht zurückgenommen werden, nichts kann zurückgenommen werden.

Denken Sie manchmal über die Sterblichkeit nach?

In gewisser Weise werde ich wohl nie sterben, weil Kunst nun mal unsterblich ist. Die Energie, die wir mit unserer Kunst in die Welt bringen, ist ewig. Unser Körper ist nicht anders kons-truiert als ein Stuhl oder ein Haus oder eine Blume, aber die Veränderungen, die wir bewirken, die Menschen, die wir beeinflussen und inspirieren – das bleibt für die Ewigkeit. Es gibt also so etwas wie Unsterblichkeit. Das nimmt mir ein wenig die Angst.

Wie sollte Ihr Leben in den nächsten fünf oder zehn Jahren aussehen?

Ich möchte weiter wachsen und mein Leben voll auskosten – solange ich auf diesem Planeten lebe. Darüber hinaus habe ich keinen Masterplan. Ich möchte eine gute Mutter sein, möchte meine Kinder wachsen und gedeihen sehen und mich selbst als Künstler entwickeln. Und ich hoffe, dass ich immer in einer Welt leben werde, in der ich mich frei und künstlerisch ausdrücken kann. In welcher Form das geschehen wird, weiß ich noch nicht.

Sind Sie bereit, sich noch einmal zu verlieben?

Aber ja. Sofort.

Diese Antwort kam jetzt wie aus der Pistole geschossen.

Nicht eine Sekunde lang würde ich die Macht der Liebe bezweifeln. I’m living for love, baby! Sie brauchen sich doch nur meine Songs anzuhören.

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