Jean-Jaques Annauds Kinofilm ist der politisch korrekte Aufreger des Jahres

Muß ein Film über Heinrich Harrer die Wahrheit zeigen, die reine Wahrheit und nichts ab die Wahrheit? Kino, zumal aus Hollywood, ist Fiktion mit drei, vier Fakten als Ausgangspunkt. Kino ist postmoderner Minnegesang, überliefert also auf Zelluloid ebenso Mythen wie die Bibel, Homers „Ilias“, Caesars „De Bello Gallico“ und die Niebelungensagen, die als klassische Entertainmentwerke den Ruhm des Autors oder seiner Hauptfigur in die Welt tragen sollten und damit natürlich manipulativ wurden. Durch seine Verknappung ist jedes Drehbuch Interpretation, jedes Bild Inszenierung. Und ist der „Tatsachenroman“ nicht ein Widerspruch in sich? Selbst Historiker deuten „objektive“ Quellen „subjektiv“, wie die Kontroverse um Daniel Goldhagens Thesen „Hitlers willige Helfer“ vorführte.

In Zeiten hybrider political correetness sind Enthüllungen oder Denunziationen wichtige Sensationsverhikel des Betroffenheitsfetischismus. Harrers braune Vita war kaum von Interesse, obwohl er als furioser Gipfelbezwinger und Intimus des Dalai Lama längst in der Öffentlichkeit stand und sein Buch „Sieben Jahre in Tibet“ millionenfach verkauft wurde. Bis Jean-Jacques Annaud es verfilmte und Simon Wiesenthal befürchtete, ein Millionenpublikum könnte durch das schöne, smarte Sexsymbol Brad Pitt in Harrer einen Nazi als Helden sehen. Wieso nicht? Seine späteren humane Verdienste sind unbestritten, und die gegen seine 50 Jahre zurückliegende Vergangenheit auszuspielen, ist schnöde. Annaud zeigt seinen Harrer als Opportunisten und Einzelgänger, den manisch der Berg ruft und dann der Buddhismus erlöst. Er zeichnet eine pathetische Idylle zwischen „Der letzte Kaiser“, „Am Anfang war das Feuer“ und Luis Trenker. Sein Film stilisiert eher Tibet zum freundlichen, archaisch-amüsanten Paradies statt Harrer zum Übermenschen. Besser macht es ihn nicht. Und bald wird alles im multimedialen Rauschen wieder vergessen sein.

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