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Joe Jackson: „Ich bin ein freundlicher Diktator“

40 Jahre nach seinem Debüt bringt Joe Jackson ein Album mit knappen Songs im umstandslosen alten Stil heraus.

Was hat Joe Jackson in 40 Jahren nicht alles getan, um sich neu zu erfinden: Er verwünschte seine Ausbildung an der Royal Academy of Music, verschrieb sich dem Geradeheraus-Rock, ersann eingängige Refrains mit burschikoser musikalischer Begleitung, mietete für seine Musik Fabrikhallen, schrieb eine „Symphony In One Movement“, die kaum einer hörte, und setzte auf Jazz und Klassik, nur um sich sofort wieder davon reinzuwaschen. Sogar seine Hits, „Steppin’ Out“ und „Is She Really Going Out With Him?“, muten etwas obskur an.

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Erfolg und Misserfolg hielten sich bei Jackson deshalb auch stets die Waage, aber solche merkantilen Kategorien sind ihm schlicht egal. Auf anderes legt er jedoch sehr wohl wert: Der Brite bittet vor dem Interview höflich um Konzentration, denn er werde nicht gern falsch verstanden. Mit seinem neuen Album, „Fool“, feiert er den seiner Meinung nach größten Helden der Geschichte: den gar nicht so lustigen, vielmehr weisen und subversiven Narren, wie er von William Shakespeare in die Welt­literatur eingeführt wurde. „Der Narr ist mein Held“, sagt Jackson. „Er kann uns zum Lachen bringen. Er ist unverwundbar – denn man kann Humor nicht töten. Und wie bei Shakespeare ist er eben nicht wirklich ein Trottel, sondern ziemlich weise.“

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Während der Arbeiten an den neuen, diesmal wieder sehr unkomplizierten, durchaus an die trockene Direktheit seiner ersten Platten, „Look Sharp!“ und „I’m The Man“, erinnernden Songs kristallisierte sich heraus, dass die Texte entweder der Komödie oder der Tragödie zuneigten, den beiden Universal- und vielleicht auch Erkenntnisprinzipien unseres Lebens, so Jackson. So ist „Fool“ geteilt in eine Licht- und eine Schattenseite, wobei sich Motive und atmosphärische Schlagseiten durchaus bittersüß mischen.

„Fool“ von Joe Jackson: Songs über Wut und Angst – aber auch über Liebe und Lachen

„Die Stücke handeln von Angst, Wut und Entfremdung“, sagt er. „Aber eben auch von Liebe, Lachen, Kunst und Musik.“ Der Freundschaft, von der Jackson sagt, dass sie in ihrer reinsten Form als Einzige das Ideal der wahren Liebe erfülle, wird in „Friend Better“ zugeprostet. „Alchemy“, das noch am ehesten an Jacksons Jazz-Preziosen von „Night And Day“ erinnert, verhandelt mit lakonischen Worten die Wirkung von guter Musik. Die zu erzeugen habe er stets versucht, wenngleich es nicht immer einfach war. „Ich mache meine Sachen natürlich für aufmerksame Hörer“, sagt Jackson bestimmt. „Aber eben auch erst einmal für mich. Ich will stolz auf das sein, was ich tue.“

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Seit langer Zeit arbeitet Joe Jackson fast kontinuierlich mit denselben Musikern, vor allem mit Bassist Graham Maby, der seit Ende der 70er-Jahre an seiner Seite ist und dem Exzentriker den rhythmischen Unterbau für seine der Rockmusik nicht selten abgewandten Spielereien liefert. „Das funktioniert vielleicht nur, weil es keine Demokratie ist. Ich weiß, was ich will. Ich bin zwar ein Diktator – aber ich bin ein freundlicher Diktator. Die Menschen arbeiten gern mit mir.“

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Für sein neues Album holte Jackson sich mit einem kleinen Trick ein wenig Jugend zurück: Direkt nach der Tour ging es zum Aufnehmen neuer Songs – etwas, das er zuletzt 1979 gemacht hatte. Nach Veröffentlichung der neuen Platte ist Jackson gleich wieder unterwegs, um 40 Jahre Überleben im Musikbusiness zu feiern. Für jedes Jahrzehnt hat sich der jeglicher Nostalgie abgeneigte Musiker ein Album ausgesucht, von dem Stücke vorgetragen werden sollen.

Absolut fabelhaft

Die neuen Lieder reihen sich dabei wunderbar in Jacksons diffiziles, Haken schlagendes Werk ein: Das depressive Stück „Big Black Cloud“ mit dem Refrain „No luck, no money, no sex, no fun/ Go on the treadmill and run“ ist so etwas wie eine Hymne für Väter in der Midlife-Crisis. „Fabulously Absolute“ erzählt von Typen, die immerzu wissen, was gut oder schlecht für andere ist.

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Obwohl Joe Jackson auch weiterhin keine Lust hat, mit seiner Musik auch nur ansatzweise Stellung zu gesellschaftlichen Themen zu beziehen (die Vorstellung ist ihm ein Graus), und statt Serien lieber Shakespeares „Sturm“ zitiert, wirken seine Lieder so aktuell wie nie. Die Songs hätte er 1979 nicht aus dem Ärmel schütteln können: „Da fehlte mir die Lebenserfahrung. Und ich war einfach schlechter in allem, was ich getan habe.“

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RS-Review: Joe Jackson – „Fool“

Will you still need me, will you still feed me? 64 ist Joe Jackson heute, die Musik ernährt ihn weiterhin. Aber ob sie ihn noch braucht? Beim Googeln bleckt einen jedenfalls zuerst der ­böse Joe an: der, der seinen talentierten Jüngsten zum Weltstar misshandelte. Und nicht unser Joe, der aus Portsmouth, der heißer Shit war, als er vor 40 Jahren „Look Sharp!“ herausbrachte, eines der besten Debüts, laut, drängend, selbstbewusst, mit dieser Extraportion Smartness, die Zeitgenossen mit Sicherheitsnadeln im Gesicht so selten hatten. Silberstreifen auf der Rockbühne! Später mengte unser Joe immer mehr Kon­traste in schlauen Melangen bei, Swingendes, Souliges, Orchestrales. Zum Klassiker machte ihn das leider nicht, trotz seines Gespürs für feine Melodien, originelle Harmonik und gefeilte Arrangements. Der Mann mit der notorischen Geheimratsfläche mag musikalisch kein internationaler Fixstern geworden sein, obwohl Asteroid 305661 seit 2016 ja offiziell Joejackson heißt – aber Style hat er noch immer.

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„Fool“ ist sein 20. Studioalbum, fleißig eingespielt nach dem ­Ende der Tour im Sommer 2018. Und Jackson vermischt wieder vermeintlich Unvereinbares zu einem Amalgam, besonders virtuos im Titeltrack, mitreißender, drumgetriebener Rockismo und Latin-­Rhythmik mit nord­afrikanischer Melodik. Das geht – und wie! Joe gibt sich nerdig, auch biestig. In „Fabulously Absolute“ bellt er Besser­wissern entgegen, sie hätten ihm nicht zu erzählen, was er zu wollen habe. (Vor Jahren räsonierte er einmal wortstark gegen öffentliche Rauchverbote.) Und Jackson liebt das Doppelbödige. Dieser unheimliche Höhlenmensch „Dave“ könnte auch dem Pan­optikum Randy Newmans entsprungen sein. Und er gibt sich anrührend der bittersüßen Melancholie hin. „32 Kisses“ auf Papier bekam er von seiner Jugendliebe, die ihm dann über die Jahre traurig abhandenkam. Ein Album für Genießer. Martini ­dazu? Alles Wichtige dazu auf seiner Web­site in einem Text, der diesen an Länge um das Dreifache übertrifft.

Rüdiger Knopf

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