Kabale und Liebe

Schriftsteller Wladimir Kaminer über seine Anfänge als Label-Besitzer

Letztes Jahr haben wir uns noch einen Beruf zugelegt, wir sind Musikproduzenten geworden. Schnell haben wir die Erfahrung gemacht, um ein Unternehmen erfolgreich zu fuhren, braucht man entschieden andere Qualitäten, als hinter einem DJ-Pult herum zu springen. Die Idee, eine eigene Plattenfirma „Russendisko Records“ zu gründen, um Deutschland und den Rest der Welt im großen Stil mit der modernen russischen Musik bekannt zu machen, diese Idee hatten wir schon lange.

Nur, wie geht das? Davon hatten wir wenig Ahnung. Deswegen suchten wir einen erfahrenen Vertrieb, der unsere Expansionspläne in Taten umsetzte. Wir sprachen mehrere Firmen an, die in Deutschland Musik vertreiben. Einige wollten uns nicht, einige anderen wollten uns, aber zu drastischen Bedingungen, und etliche haben gar nicht mitbekommen, dass wir sie ansprachen. Letzten Endes landeten wir beim Buschfunk, ihr Büro befand sich gleich bei uns um die Ecke – zwischen dem ostdeutsch-argentinischen Steak-Restaurant, in dem wir jede Woche speisen, und dem einzigen übrig gebliebenen Zoo-Geschäft in unserer Gegend, in dem ich unser Katzenfutter kaufe.

Man konnte also immer das Private mit dem Geschäftlichen verbinden und auf eine Tasse Kaffee beim Vertriebschef vorbei schauen, sich erkundigen, ob und wenn ja, wie sich unsere Platte verkauft. Der Vertriebschef drückte mir dann jedesmal die Debitor-Artikel-Statistik in die Hand – eine dicke Mappe, in der aufgelistet wurde, wer wann und wieviel von unserer Musik bestellt hat. Links – die Läden, rechts – die Menge.

Diese Statistik lese ich nun jeden Abend vorm Schlafengehen, sie liest sich wie ein Beziehungsdrama, das eine verwinkelte Liaison zwischen dem russischen Punkrock und dem deutschen Musikmarkt darstellt. Der aufmerksame Leser findet hier alles – Krieg und Frieden, Kabale und Liebe, Schuld und Sühne. Die Lust auf einen neuen Freund, aber auch große Zweifei: Ist er ein Guter? Oder ein Böser?

Saturn Elektro Berlin – 300 Stück, Media Markt Jena-1 Stück! Saturn Zwickau – 25 Stück, Media Markt Osnabrück – 1 Stück! Ich mache mir nichts vor, natürlich gibt es in Deutschland viele Läden, die unsere Musik nicht nehmen, sich nicht für Russenzeug interessieren, aber solche in unserer Statistik erst gar nicht aufgeführt.

Saturn Elektro Köln – 100 Stück! Also die Kölner brauchen das hier nicht weiter zu lesen. Stuttgart -1 Stück. Oh, dieses eine Stück, dieser zärtliche, unsichere Griff nach der fremden Musik! Machen die Russen nun Rock’n’Roll? Dürfen die das überhaupt? Dieses eine bestellte Stück macht mir Hoffnung. Darin sehe ich große Wachstumsmöglichkeiten, da haben wir noch zu tun, in Stuttgart. Media Markt Mainz – 1 Stück, Media Markt Koblenz – 2 Stück, Media Markt Bad Kreuznach – sogar 3 Stück! Es geht also voran. Ich stelle es mir sehr bildhaft vor, wie unsere Russenmusik sich schleichend durch ganz Deutschland verbreitet, dort das eine Stück, hier das andere – und dann eines Tages plötzlich… kommt vielleicht was im Radio. Frankfurt – 25 Stück, Darmstadt – 1 Stück, Wiesbaden-0 Stück. Hallo, Wiesbaden! Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Kaminer, Betreiber der „Russendisko“ in Berlin, hat eben seine zweite CD-Compilation veröffentlicht.

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