Keine Geheimnisse

Liegt es nun an Richard Ford selber oder an dessen Übersetzer Frank Heibert? Aber diesen zehn Stories aus seinem neuesten Band „Eine Vielzahl von Sünden“ (Berlin Verlag, 381 S., 19,90 Euro) fehlt einfach Schwung. Vielleicht unklug, dies am Anfang einer Besprechung schon zu verraten: Das Buch langweilt über die volle Distanz, und das ist vor allem dem altväterlichen, ein bisschen pedantischen, manchmal auch schlampigen, unübersichtlichen, aber jedenfalls fast immer grauenhaft steifhosigen Stil geschuldet, dieser Bügelfalten-Diktion, die von der „FAZ“ gern für besonders literarisch gehalten wird. Das riecht nach teurem Rasierwasser, nach höflicher Distinguiertheit, nach gepflegten Umgangsformen, nach bourgeoiser Wichtigtuerei, wo sonst gar nichts wäre. Ja, ich rede immer noch vom Stil!

Wenn zum Beispiel ein leergeschriebener Auslandskorrespondent mittleren Alters, der für ein paar Monate an einer Uni unterrichtet, um wieder ein Gefühl für sein Land zu bekommen, eine Affäre mit einer verheirateten Frau anfangt und die beiden nach einer Woche wieder auseinandergehen, dann klingt das dementsprechend nämlich so: „Obwohl er noch eine Zeit lang wartete (…), bis jedes Gefühl der Unordnung, das er wegen ihres Abschieds haben mochte, voll und ganz ausgekostet war und dann abnahm und kein so großes Hindernis mehr darstellte. Das waren keine schlechten Gefühle, kein Moment der Unvertrautheit, keine Trostlosigkeit, die sich vor ihm auftat. Sie waren nur das Resultat. Bald schon, vielleicht irgendwann auf seinem Heimweg am See entlang, würde er eine kleine Entlastung verspüren, eine Erleichterung, das Gefühl eines Ereignisses, das sich vollendet, so dass er mit der Zeit immer weniger daran denken würde, bis ihm schließlich alles im Nachhinein fast vollkommen erschiene.“

Und das schreibt nicht etwa irgendein Banker, der sich nach erfolgter Pensionierung endlich mal ein bisschen der Literatur widmen kann, sondern ein Pulitzer-, Faulknerund Was-weiß-ich-noch-Preisträger, der nicht zuletzt für seine Short Stories allenthalben gerühmt wird.

Nun, es mag die Übersetzung sein, aber was hier erzählt wird, das geht ganz allein auf Fords Kappe, und das passt zu dieser Sprache wie die Sitzplautze zum Kummerbund. Es sind dies Upper- Gass-Geschichten von zumeist gut betuchten Anwälten, Lektoren, Journalisten etc., für die – wie auch immer – sexuelle Untreue den Anlass geben: Ein Vater verabredet sich, lange nachdem er seine Familie für einen anderen Mann verlassen hat, mit seinem Sohn zur Entenjagd und macht sich unmöglich, zerstört auch noch den letzten Rest ihrer Bindung; einem Anwalts-Ehepaar läuft ein Welpe zu, der die Beziehung zu bedrohen scheint, weil er sie offenbar beide an eine uneingestandene Affäre der Frau erinnert; eine Steuerberaterin inszeniert mit Hilfe eines gedungenen Schauspielers, wie ihr Ehemann sie in flagranti ertappt, um ihren Lover aus der Reserve zu locken, aber der bleibt der abgebrühte Stoiker, der nur mehr reagiert auf die Anforderungen des Lebens.

Und so sind sie im Grunde alle, die Fordschen Protagonisten. Sie köcheln auf halber Flamme, haben sich angepasst und eingerichtet, sind nicht mal unglücklich dabei, aber so enervierend mittelmäßig, dass es eine echte schriftstellerische Herausforderung gewesen wäre, diese Typen halbwegs interessant zu machen.

Aber was einem Raymond Carver fast in allen seinen Short Stories gelingt, scheitert hier fulminant. Carver taucht mediokre Alltagsmenschen in ein so unheilvolles Licht, als müsste jeden Moment namenloses Grauen Stephen-Kingscher Provenienz über sie hereinbrechen – und er sprach ihnen damit einen Wert und auch eine Würde zu, die sie im Leben nicht hatten.

Fords Gestalten hingegen nimmt man nicht recht ab, dass sie überhaupt Probleme haben bzw. dass diese existenziell wären, weil sie immer noch seitenlang darüber reflektieren und schwadronieren, sie folglich intellektuell jederzeit einordnen können. Und das ist eben der Hauptunterschied und vielleicht auch der Hauptgrund für diese erzählerische Pleite: Während Carver seinen Protagonisten auch Geheimnisse belässt, also bewusst Leerstellen setzt und so die Ökonomie einer Geschichte im Blick behält, bläht Ford seine Minimal-Plots auf mit penetranten Psychologisierungenjede Kleinigkeit wird hier ventiliert, gut durchdacht und dem Leser vorgekaut, auf dass er wisse, wie diese Figuren ticken. Aber so genau wollte er es eigentlich nicht wissen.

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