Kleine Fluchten

Zwei neue Alben, zwei alte Bekannte, zwei Varianten, sich aus vergangenen Fixierungen zu lösen. Einst Partner bei Police, haben sich Sting und Andy Summers heute für höchst unterschiedliche Marschrouten entschieden

Man könnte das nacheinander abhaken: Die Antworten eines umfangreichen Vorab-Interviews für seine Plattenfirma hat Sting auswendig gelernt. Einstieg, Satzlänge, Pausen, Interpunktion: Das alles gibt es schon Schwarz auf Weiß und im verbraucherfreundlichen DIN-A4-Format als gut gemeinte Arbeitsgrundlage. Musikalische Einflüsse, Familienleben, Projekte selbst die ubiquitäre Frage nach dem Zusammenhang zwischen Yoga und wie oft er denn dadurch pro Nacht könne, fehlt nicht: Sting, der gläserne Superstar. Und also tut der Mann dann auch alles, um seine Antworten unterzubringen. Frage hin oder her: Auf „Ich möchte mein Leben in meinem Landhaus zu Ende bringen“ folgt automatisiert die altbekannte Abhandlung über Sting, den am Ziel angekommenen Wanderer, auf „Ich bin heute viel unsicherer als früher“ die seit den introvertierten „Soul Cages“ allgemein bekannten Thesen über Altersweisheit den quälenden Reifeprozeß und den verstorbenen Vater. Und dann, bereits erwartungsvoll herbeigesehnt, auch noch das Lederhaut-Zitat: „Wer mich kritisiert, der könnte genausogut mit einer Lasergelenkten Waffe auf einen Elefanten schießen: Dafür bekommt man nicht viele Punkte.“

Überhaupt ist er ein bißchen gereizt an diesem naßkalten Januartag, und der Grund dafür prangt in schreiend fetten 72-Punkt-Lettern von jedem Zeitungsstand in der Londoner City: „Sting: legalize it!“, sei reine Wortverdreherei, klagt er, aus dem Zusammenhang gerissenes Resultat eines Interviews vom Vortag, in dessen Anschluß der schwedische Kollege nichts Besseres zu tun hatte, als in die Redaktionen der Yellow Press zu wetzen und die gerade erhaltenen Informationen zu verhökern. „Und dabei habe ich bloß in einem Nebensatz gemeint, daß ich mir endlich eine Dekriminalisierung der Ecstasy-Debatte wünschen würde.“

Sting, der ewig falsch Verstandene: Das macht ihm schon zu schaffen, trotz aller „I don’t care“-Beteuerungen und der Behauptung, schließlich sei das alles Entertainment – und das müsse man in seiner Position gefälligst mit einem gewissen Sinn für Humor zu betrachten. Aber gerade heute morgen hat ein Lehrer seine zwölfjährige Tochter auf jene Schlagzeile angesprochen! Die habe really sophisticated geantwortet, klar, aber: „Einfacher haben es die Kids dank solcher Wortklauberei nicht.“ Und überhaupt sei da in den letzten Jahren einiges verdreht worden: Er habe sich weder aus seinem Regenwald-Projekt zurückgezogen, noch sei er auf dem besten Wege, taub zu werden, „bloß kann man Ironie im Gespräch halt nicht mit Anführungszeichen versehen“. Zur Strafe für blöde Fragen wie diese legt er bei den nächsten drei Bemerkungen die Hand hinters rechte Ohr und macht „Häää?“.

Aber eigentlich sitzt er ja wegen seines neuen Albums hier: „Mercury Falling“, keine wirklich große, aber eine schöne, stellenweise sehr schöne Platte, mal wieder. Wie hieß denn eigentlich noch das letzte Album? Und wann hat man aufgehört, sich für Sting zu interessieren? War es bei der großen Rettet-den-Regenwald-Chose samt gelehrten Sting-Besinnungsaufsätzen? Bei der „Amnesty international“-Goodwill-Tournee mit Peter Gabriel, Bruce Springsteen und einigen anderen verantwortungsvollen Künstlern? War es nach „Nothing Like TheSun“?

„Mercury Falling“ ist die übliche Stingsche Stilsammlung: ein bißchen Pop, ein bißchen Rock, die Memphis Horns, Gospel, ein paar Gitarrentakte Bossa Nova – immerhin hat er, sagt er, Antonio „The Girl From Ipanema“ Jobim in den letzten zwei Jahren seines Lebens kennen dürfen. Außerdem countryt es bei zwei, drei Songs, Shuffle-Rhythmus und Coyoten-Gitarre: Sting goes Garth Brooks. Fast lacht er, bloß sei er ja recht bekannt dafür, daß er ganz gemein mit fiesen Arrangement- und Vers-Tricks arbeite: „Nothing’s what it seems to be.“ Und ob man denn den galoppierenden 9/8tel-Takt bei „I Hung My Head“ herausgehört habe? Hat man. Und kennt er denn den Song mit dem „Tom Dooley“-Appendix? Klar, kennt er.

Pause. Augen fixieren die Tischplatte, Finger tasten auf dem Einband eines schätzungsweise 1257 Seiten dicken Bandes mit dem beziehungsreichen Titel „Arts in Mathematics“. Das sei ein sehr interessantes Buch, ein kleiner Schlüssel zum Universum sozusagen! Neulich beim Segeln habe er sich mit Bruce Springsteen darüber unterhalten: Inwieweit Kunst mit physikalischen Gesetzen faßbar – was heißt faßbar, machbar sei. „Bruce geht es da ähnlich wie mir: Jahrzehnte lang haben wir ganz genau zu wissen geglaubt, wie ein Hit auszusehen hat. Und jetzt… jetzt wissen wir’s beide nicht mehr. Seltsam… ist aber auch nicht weiter wichtig.“

Jedenfalls nicht, wenn man von den letzten Alben solchen künstlerischen Selbstzweifeln zum Trotz was-weiß-ich-wie-viele-Mulionen Exemplare abgesetzt hat. Verkaufszahlen seien ihm doch egal, kontert er, ihm komme es mittlerweile nur noch darauf an, seine Musiker für seine Songs zu begeistern: „Wenn mir das gelingt, reicht mir das völlig. Wenn Kenny (Kirkland) losgroovt oder Branford (Marsalis) kommt und sagt: Klasse Song, Sting – that’s enough, wirklich. Mir hätte es auch genügt, wenn ich niemals berühmt geworden wäre und jetzt zu Hause in Newcastle meinen Katzen vorsingen würde. Hätte mir gereicht. Ehrlich.“

Also doch: The Police. Um Himmels Willen, stöhnt Sting, da wolle er nun wirklich nur ungern drüber reden, er sei an seiner Vergangenheit absolut nicht interessiert: Schnee von gestern sei das. Er habe noch nicht einmal Andy Summers‘ neues Album gehört – „Synes-something… Whatever that means…“ Kontakte? Ja, man spreche wieder miteinander, im Grunde habe man jetzt sogar ein sehr viel besseres Verhältnis zueinander als damals, in der Zeit vor dem Split. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie erleichtert ich damals war, als ich das endlich hinter mir hatte. Es war ja nicht so, daß wir das halbherzig gemacht hätten: Keiner von uns dreien hatte seit Monaten auch nur entfernt das Gefühl gehabt, daß wir irgendwie weitermachen könnten. Das ging musikalisch nicht und von der Chemie her erst recht nicht Man hätte uns zwingen können. Vertraglich. Aber dann hätten wir keinen Song mehr herausgebracht. Keinen einzigen.“

Und als nächstes? Tour, Filme, das siebte Kind? Jetzt seien erst einmal die Franzosen an der Reihe, sagt er mit Blick auf seinen Interview-Schedule, und er wisse auch schon ganz genau, was er denen antworten würde: Schließlich hat er auf „Mercury Falling“ mit „La Belle Dame Sans Regrets“ auch einen französischsprachigen Titel, „für deren blödes Quoten-Radio: Jetzt müssen Sie mich spielen“. Dann singt er noch den“Haifischsong“ aus der „Dreigroschenoper“.

Später, beim Abhören des Interview-Mitschnittes, kommt das und andere von Stings Verschrobenheiten plötzlich ganz freundlich und unterhaltsam-amüsant herüber. Schon seltsam.

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