Queens große Oper

Theatralisch, brillant, exzessiv und dem Untergang geweiht - es gab nur eine Band wie Queen und nur einen Sänger wie Freddie Mercury. Vor 40 Jahren startete ihre unfassbare Karriere. Nun wird neues Material veröffentlicht. Zeit für eine Würdigung.

Die Wiedergeburt kam völlig unerwartet. Von dem Moment an, als Freddie Mercury und die anderen Mitglieder von Queen – Gitarrist Brian May, Schlagzeuger Roger Taylor und Bassist John Deacon – zum geschichtsträchtigen Live-Aid-Konzert am 13. Juli 1985 die Bühne des Londoner Wembley Stadions betraten, gehörte der Tag ihnen. Mercury begann, indem er sich ans Klavier setzte und Queens berühmtesten Song, das so eigentümliche wie prachtvolle „Bohemian Rhapsody“, spielte. Als hinter ihm die Band mit majestätischem Schritt die Bühne enterte, sang das Publikum den gar nicht so einfachen Text aus 72.000 Kehlen lauthals mit – als hätte es den ganzen Tag auf nichts anderes gewartet.

Von da an steigerte sich die Band von Moment zu Moment. Während sie in das schwelgerische „Radio Ga Ga“ überging, schnappte sich Mercury seinen abgesägten Mikrofonständer und brachte die Menge mit donnerndem Timbre dazu, in einer kollektiven Geste die Fäuste in die Luft zu recken und mit weit über den Kopf gestreckten Armen in die Hände zu klatschen. Angesichts dieser spontanen Gleichschaltung, die durch die Menge raste wie eine anschwellende Flut, ist so manchem angst und bange geworden: so viel Macht in der Hand einer einzigen Band und einer einzigen Stimme.

Dass ausgerechnet Queen diesen Punkt erreichten, erschien wie ein Wunder. Die Zeit der Band galt als abgelaufen. Nach „A Night At The Opera“, ihrem gewaltigen Album von 1975, hatten sie Hit für Hit in immer neuen stilistischen Facetten abgeliefert: von Barock-Pop über Hardrock bis zu Disco, Rockabilly und Funk. Dann, Mitte der 80er-Jahre, hatte sich ihr Schicksal gewendet – teilweise auch, weil die Fans mit Mercurys zunehmend deutlich werdender Homosexualität nicht zurechtkamen. Darüber hinaus führte 1984 eine haarsträubende Fehleinschätzung – die Band entschied sich für eine Tour durch das wegen seiner rigorosen Rassentrennungspolitik weltweit geächtete Südafrika – dazu, dass Queen sogar in ihrer Heimat England zeitweise wie Aussätzige betrachtet wurden. Jetzt aber, nach ihrem Auftritt bei Live Aid, der all das veranschaulichte, was an Queen so außergewöhnlich war – ihre Bandbreite, ihre Virtuosität, ihre Bühnensicherheit -, wollten alle nur noch eines: mehr. May beschrieb es Jahre später so: „Das war ganz allein Freddies Leistung. Wir anderen spielten ganz ordentlich, aber Freddie übertraf sich selbst und hievte uns so auf ein neues Level.“

Heute, fast 23 Jahre nachdem der an AIDS erkrankte Freddie Mercury an einer Lungenentzündung starb, ist das Vermächtnis Queens, als eine der größten und kontroversesten Bands der Rockgeschichte, immer noch untrennbar mit ihm verbunden – ganz gleich, welche Erfolge May und Taylor auf ihrer kommenden Tour mit Adam Lambert auch feiern mögen. Wenn Taylor oder May über die Mercury-Jahre redeten (Deacon weigert sich strikt, von dieser Zeit zu sprechen), wirkte es manchmal, als seien sie immer noch verwirrt darüber, wie etwas so wundervoll und schrecklich zugleich sein konnte. „Wir standen uns alle sehr nahe“, sagte Taylor nach Mercurys Tod. „Aber es gab auch vieles, was wir über Freddie nicht wussten.“ Jahre später verriet May: „Es hat uns so fertig gemacht, wie es nur eine derart außerweltliche Erfahrung schaffen kann. Queen waren das größte Ding der Welt (…) Man wird bewundert, ist umringt von Menschen, die einen lieben, doch gleichzeitig komplett einsam (…) Der Exzess sickerte von der Musik ins echte Leben.“

Queen fängt mit Freddie Mercury an und endet mit ihm. Er verkörperte die Identität der Band – ihre Triumphe genau wie ihre Schwächen -und er war ihre Seele, deren Verlust sie nicht überleben konnte. Aber ganz zu Beginn gab es keinen Freddie Mercury. Es gab Farrokh Bulsara, geboren am 9. September 1946 im britischen Protektorat Sansibar vor der Ostküste Afrikas. Seine Familie waren Parsen, die Zoroastrismus, eine der ältesten monotheistischen Religionen der Welt, praktizierten. Farrokhs Vater Bomi arbeitete als höherer Bankangestellter für die britische Regierung. Ein Job, der ihm, seiner Frau Jer, Farrokh und später dessen Schwester Kashmira, ein kulturell privilegiertes Leben ermöglichte. 1954, als Farrokh acht war, schickten ihn die Bulsaras auf die St. Peter’s Church of England School. Die im indischen Panchgani gelegene Schule, rund 240 Kilometer vom damaligen Bombay entfernt, galt jahrelang als das beste Jungeninternat in diesem Teil der Welt. Farrokh traf dort als ungeheuer schüchterner Junge ein, gehemmt durch seine hervorstehenden Vorderzähne, die ihm sofort den Spitznamen „Bucky“ einbrachten. (Was das betrifft, sollte er für den Rest seines Lebens so empfindlich bleiben, dass er sein Lächeln mit der Hand verbarg. Gleichzeitig war er sich darüber bewusst, dass sein ausgeprägter Überbiss, verursacht durch vier zusätzliche Zähne im hinteren Bereich seines Kiefers, für seinen markant klangvollen Stimmansatz verantwortlich war – und somit vielleicht sein größter Segen.)

Auf viele machte Farrokh in St. Peter’s einen einsamen Eindruck. „Ich lernte, mich um mich selbst zu kümmern“, sagte er Jahre später, „und ich wurde schnell erwachsen.“ Als einige Lehrer ihm liebevoll den Namen Freddie gaben, übernahm er das sofort. Und er entwickelte seinen eigenen Geschmack. Er teilte die Leidenschaft seiner opernbegeisterten Familie, doch fühlte er sich auch unwiderstehlich zu westlichen Popklängen hingezogen. Vor allem zum ungestümen Piano-Rock’n’Roll von Little Richard und dem virtuosen R&B von Fats Domino. Nachdem Freddies Tante Sheroo bemerkt hatte, dass er eine Melodie nach nur einmaligem Hören auf dem Klavier nachspielen konnte, bezahlten ihm seine Eltern privaten Musikunterricht. 1958 gründete er mit ein paar anderen Schulkameraden die Band The Hectics. In „Freddie Mercury: The Definitive Biography“ erzählt Gita Choksi, eine Schülerin des benachbarten Mädcheninternats, dass Freddie seine Schüchternheit schnell verlor, wenn er eine Bühne betrat: „Er war auffallend unterhaltsam“, erinnert sie sich, „und dort völlig in seinem Element.“

Einige Schüler von St. Peter’s glaubten, Freddie sei in Gita verknallt gewesen, aber sie hat nichts dergleichen bemerkt. Für andere war es damals schon klar, dass Farrokh schwul war, auch wenn es wenig Anzeichen dafür gibt, dass er sexuell aktiv war. Janet Smith, mittlerweile Lehrerin auf einem Mädcheninternat, kann sich an ihn als einen „extrem dünnen, ernsthaften Jungen“ erinnern, „der die Angewohnheit hatte, einen ‚Darling‘ zu nennen, was für mich etwas abgehoben klang, wie ich zugeben muss. So was sagten Jungen damals einfach nicht (…) In seiner Zeit hier wurde es akzeptiert, dass Freddie homosexuell war. Normalerweise hätte man dieses Benehmen einfach nur grässlich gefunden, aber bei Freddie irgendwie nicht. Bei ihm war das in Ordnung.“

„Queen waren das größte Ding der Welt. Man wird bewundert und ist doch einsam“, sagt Brian May. „Der Exzess sickerte von der Musik ins echte Leben.“

Freddie kehrte 1963 zu seiner Familie nach Sansibar zurück. Die britische Kolonialherrschaft endete im selben Jahr, und als 1964 in ganz Ostafrika Aufstände und Gefechte ausbrachen, flohen die Bulsaras nach Feltham, Middlesex, in der Nähe von London. Das Wetter war rau, das Einkommen schmaler und Freddie begann, sich auf eine Weise zu verändern, die seine Familie nicht verstand. „Ich war ziemlich aufsässig und meine Eltern hassten es“, erzählte er 1981 dem ROLLING STONE. „Ich war noch sehr jung, als ich mich von meinem Elternhaus löste. Aber ich wollte nur das Beste. Ich wollte mein eigener Herr sein.“

Was auch immer er in Sansibar und Bombay hinter sich gelassen hatte: Freddie Bulsara sollte es nie als einen Teil seiner Vergangenheit sehen, über den er gerne Auskunft geben würde. Er kam gerade richtig zur Ära des Swinging London, der Zeit der Beatles und der Rolling Stones. Das Leben eröffnete ganz neue Perspektiven, er beabsichtigte, es in Zukunft in vollen Zügen auszukosten.

Wie Bulsara besuchten auch die anderen beiden Gründungsmitglieder von Queen in den späten 60er-Jahren Londoner Hochschulen. May war groß, schlank, zurückhaltend, belesen und dabei, sich zu einem visionären Gitarrist zu entwickeln. Am stärksten geprägt hatte ihn bis dahin, wie er später sagte, die harmoniegetränkte Musik, die er seit den 50er-Jahren hörte: der stimmliche Wohlklang von Buddy Holly und den Crickets, die vielschichtigen Streicherarrangements des populären Orchesterleiters Mantovani, und in den Sechzigern schließlich die bahnbrechenden Ideen der Beatles. Ende 1963 hatte May sich mit Hilfe seines Vaters eine Gitarre aus dem Mahagoniholz eines Kaminsimses gebaut – diese Gitarre, bekannt unter dem Namen Red Special, spielt er bis zum heutigen Tag. Mit einem Freund, dem Bassisten Tim Staffell, stieg May zu Beginn ihrer Universitätslaufbahn in einer Coverband namens 1984 ein. Er besuchte das Imperial College, wo er Mathematik, Physik und Astronomie studierte. 1968 gründeten Staffell und er schließlich eine eigene Band, Smile, die sich mehr an dem leidenschaftlich-improvisatorischen Geist von Cream und anderen Bands orientierte, die sich in der britischen Rockszene gerade immer größerer Beliebtheit erfreuten. Auf der Suche nach einem Schlagzeuger, der spielen konnte wie Ginger Baker und Mitch Mitchell, hefteten sie eine Annonce an das schwarze Brett des Imperial College. Roger Taylor, der sich auf sein Zahnmedizinstudium vorbereitete, aber das Lernen hasste, reagierte auf die Anzeige. Er war gutaussehend, etwas rüpelhaft und sein Spiel hatte alles, was Smile brauchte, auch wenn es mehr an den fessellosen Stil eines Keith Moon von The Who erinnerte. Wie Moon hatte auch Taylor einen ausgeprägten Sinn für Tonalität. „Ich weiß noch, wie baff ich war, als Roger im Imperial College sein Schlagzeug aufbaute“, erinnerte sich May 1999 für das Magazin „Mojo“. „Schon wenn er seine Drums stimmte, klang das besser, als alles, was mir bis dahin irgendjemand vorgespielt hatte.“ Damit waren Smile komplett.

Auch mit Freddie Bulsara, einem seiner Kommilitonen am Ealing College of Art, teilte Staffell musikalische Interessen. Damals war Bulsara schon nicht mehr so scheu. Er hatte langes Haar, einen geschmeidigen Gang und war auf exotische, ja sogar bedrohliche Weise attraktiv. Anfang 1969 stellte Staffell ihn Taylor und May vor. Bulsara wirkte für sie zunächst etwas sonderbar, er hatte schwarz gefärbte Fingernägel und benahm sich gelegentlich recht weibisch, aber er hatte eine gewinnende Art. Allerdings konnte er auch ziemlich herrisch werden. „In diesem Stadium“, berichtete May, „war er noch so eine Art Fan. Er sagte Sachen wie: ‚Das ist wirklich gut – ihr habt ein tolles Gefühl dafür, wie man Atmosphäre auf- und abbaut. Aber ihr tragt die falschen Klamotten – ihr sprecht das Publikum nicht richtig an. Es gibt immer eine Chance, die Leute mit einzubeziehen.'“ Bulsara war zu dieser Zeit ebenfalls in wechselnden Bands und neigte dazu, jede einzelne davon komplett ummodeln wollen. Er sang gerne Blues – die meisten Bands verlangten das -, aber seine Einflüsse gingen viel weiter: die Musik des britischen Komponisten und Sängers Noël Coward, die instrumentalen Arrangements von Chopin und Mozart; der Gesang von Dick Powell, Ruby Keeler, Robert Plant und Aretha Franklin; und das kapriziöse Gebaren seiner beiden Lieblingsstars, Jimi Hendrix und Liza Minnelli. Nachdem er allerdings Smile gesehen hatte, stand für ihn fest, dass er der Sänger der Band werden wollte. Zu den Shows des Trios hörte man ihn manchmal rufen: „Wenn ich euer Sänger wäre, würde ich euch zeigen, wie man’s macht.“ Anfang 1970 kündigte Staffel nach zu vielen enttäuschten Hoffnungen seinen Abschied von Smile an. May, Taylor und Bulsara teilten sich mittlerweile ein Apartment. Die beiden wussten also, dass Bulsara ein fähiger und gutausgebildeter Pianist war und sich zu einem außergewöhnlichen Sänger entwickelte. Im April 1970 gründeten die drei eine neue Band. Sie spielten mit verschiedenen Bassisten, von denen mindestens einer Probleme mit Bulsaras exaltiertem Auftreten hatte, bis sie schließlich Anfang 1971 auf John Deacon trafen. Auch Deacon war ein Musterstudent (er hatte Diplome in Akustiklehre und Schwingungstechnik) und machte auf alle einen extrem reservierten Eindruck. „Er sprach so gut wie gar nicht mit uns,“ erinnerte sich May an ihre erste Begegnung. Aber Deacon war schnell von Begriff und schaffte es, bei seinem Vorspiel „die Lücke zu füllen, ohne auch nur einen beschissenen Beat zu verpatzen“, wie es ein damals anwesender Musiker nachher formulierte. Deacon wurde sofort angeheuert.

Bulsara, der von Anfang an seinen Einfluss geltend machte, überzeugte die anderen, sich auffälliger zu kleiden und in Richtung Dandytum zu gehen. Er bestand außerdem darauf, den perfekten Bandnamen zu haben. May und Taylor kamen mit Vorschlägen wie Rich Kids und The Grand Dance, aber der spätere Mercury beharrte auf Queen. „Das klingt so majestätisch“, sagte er. „Es war ein kraftvoller Name, sehr universell und sehr direkt“, fügte er Jahre später hinzu. „Er hatte hohes visuelles Potenzial und gab allen möglichen Interpretationen Raum.“

Und – auch das eine entscheidende Wegmarke – der Sänger von Queen hieß nicht mehr länger Freddie Bulsara. Er war jetzt Freddie Mercury, der neue Name eine Anspielung auf den römischen Götterboten. „Ich glaube, diese Namensänderung war Teil des Prozesses, in eine neue Haut zu schlüpfen“, sagte May in einer Dokumentation aus dem Jahr 2000. „Ich schätze, es half ihm, die Person zu werden, die er sein wollte. Seine Bulsara-Identität gab es zwar noch, aber für die Öffentlichkeit wurde er dieser völlig andere, gottgleiche Charakter.“ In den frühen Jahren von Queen hielt sich das Gerücht, die Band habe zwei Jahre damit verbracht, sich mit Erfolgsstrategien zu beschäftigen, bevor irgendjemand ihre Musik hören konnte. Deacon prahlte gegenüber Freunden sogar einmal, die Band hätte einen „Zehn-Jahres-Plan“ gehabt. Für die damalige Musikpresse zeugten derartige Ambitionen eher von Hinterlist als von wahrer Leidenschaft für Musik, ihre Bedeutung oder die gesellschaftlichen Möglichkeiten, die sie eröffneten. So entstand ein Image, dem die Band für den größten Teil ihrer Karriere nicht mehr entkommen konnte.

In Wahrheit wurde Queens Aufstieg von fragwürdigen Deals und ernsthaften Gesundheitsproblemen erschwert. So hätte May einmal fast seinen Arm wegen Wundbrand verloren und wurde wegen Hepatitis sowie einem Magengeschwür ins Krankenhaus eingewiesen. Doch für Mercury gab es längst kein Zurück mehr. May, Taylor und Deacon hatten dagegen ihre akademischen Karrieren, die sie alle weiterhin verfolgten. May arbeitete in den Anfangsjahren der Band weiter auf seinen Doktortitel in Astrophysik hin, und Deacon gab später zu, er habe bis zu ihrer dritten LP nie wirklich daran geglaubt, dass Queen ernsthaft existenzfähig wären. Schließlich bekehrte Mercury die anderen Mitglieder, dass ihre Band es wert war, ihren bürgerlichen Karrieren abzuschwören. „Wenn wir für den Sprung in den Rock schon sämtliche Qualifikationen aufgeben müssen, die wir in anderen Bereichen erworben haben“, sagte May später, „dann bestimmt nicht, um als Zweitbester abzuschneiden.“

Als die Band dann im Juli 1973 ihr Debütalbum „Queen“ veröffentlichte, erschien den Mitgliedern das Material bereits als veraltet. Mercury fehlte die Geduld für Jams und freie Komposition. Er hielt allein sorgfältig komponierte Songs mit starken, pointierten Melodien für radikal genug – frei nach dem Motto: Wenn du willst, dass man dein Werk hört, strebe nach einer unvergesslichen Leistung. Außerdem gelang es ihm endlich, die anderen davon zu überzeugen, dass das Äußere einer Band, die Art, wie sie sich kleidete, wie ihr Sänger die Bühne beherrschte, genauso wichtig war. Mit seinen schwarzen Fingernägeln, seinen harlekinesken Trikots und Capes, die seine athletischen Bewegungen noch unterstrichen, schwelgte Mercury in androgynem Prunk. Dass diese Stilmittel denen ähnelten, die zur selben Zeit das Image von Künstlern wie David Bowie, T. Rex, Roxy Music oder Mott the Hoople prägte, schürte bei den anderen Bandmitgliedern allerdings gewisse Ängste. „Wir haben schon vor The Sweet und Bowie Glamrock gemacht“, sagte May damals, „und jetzt müssen wir auf einmal befürchten, zu spät zu kommen.“

Vor 40 Jahren erlebten Queen den Wendepunkt – und schossen sich in die Erste Liga des Classic Rock: Mit ihren nächsten zwei Alben, „Queen II“ und „Sheer Heart Attack“ (beide 1974), konnte die Band den von May befürchteten Rückstand erfolgreich einholen. Der opulente Sound von „Queen II“ und der härtere, treibende Ansatz von „Sheer Heart Attack“ legten den Grundstein für den komplexen, extravaganten Sound, der die erste triumphale Phase der Band auszeichnete. Auf der Bühne fokussierte sich allerdings alles auf Mercury. Der Mehrheit der britischen Presse war das, was sie als seine kitschigen, theatralischen Manierismen ansahen, verhasst, aber Freddie baute allmählich eine außergewöhnlich starke Bindung zwischen der Band und ihrem Publikum auf, das er ungewöhnlich häufig zum Mitsingen animierte. „Du musst verstehen, dass meine Stimme von der Energie des Publikums kommt“, verriet er einmal einem anderen Sänger. „Je besser sie sind, desto besser werde ich.“

Bei den Aufnahmen zu ihrem vierten Album „A Night At The Opera“ (1975) spürten Queen, dass nun ihre Zeit gekommen war. „Das ist unsere Leinwand, auf die wir malen können, wie wir wollen“, erinnert sich May an seine damalige Herangehensweise. Mercury hatte die Idee zu einem geradezu aberwitzig-epischen Song. Der Produzent Roy Thomas Baker, der bis zu diesem Zeitpunkt mit Queen an ihrer Musik gearbeitet hatte, erzählte, wie er „Bohemian Rhapsody“ das erste Mal hörte: „Freddie saß in seiner Wohnung und sagte:’Ich habe da diese Song-Idee.‘ Er klimperte also auf seinem Klavier drauf los (…) Dann hörte er plötzlich auf und rief: ‚Jetzt, meine Lieben, kommt der Opernteil.'“ Der anfängliche Balladenteil schwang sich auf zu einem Operetten-Format, ging dann über in treibenden Rock’n’Roll und endete schließlich wieder als Ballade. „Es war Freddies Baby“, sagte May. Queen und Baker arbeiteten wochenlang an dem Titel. Für die berühmten, an den Sound von Kirchenchorälen erinnernden Chöre des Songs, nahm die Band an die 180 Gesangsoverdubs auf. An einem gewissen Punkt gab es derart viele Spuren auf dem Tonband, dass es bis zur Durchsichtigkeit abgenutzt war und sich mit jeder weiteren Spur aufgelöst hatte.

Als „Bohemian Rhapsody“ fertig war, wollte die Band es als erste Single von „A Night At The Opera“ auskoppeln. Ihr Manager John Reid, der auch Elton Johns Manager war, behauptete, dass das ohne eine Kürzung des knapp sechsminütigen Songs unmöglich sei. Deacon sah das ähnlich, aber Taylor und May teilten Mercurys Entschlossenheit. Welche Zweifel es auch gab: Sie waren hinfällig, nachdem Mercury und Taylor den fertigen Track dem BBC-Radiomoderator Kenny Everett vorgespielt hatten. „Das könnte eine halbe Stunde so gehen“, sagte Everett zu ihnen, „Die Nummer wird für Jahrhunderte auf Platz eins bleiben.“ Tatsächlich kletterte „Bohemian Rhapsody“ als erste Single von Queen bis auf Platz eins der britischen Charts und kam sogar in den USA in die Top Ten. In England führt der Song seit Jahren regelmäßig Listen für die besten Singles aller Zeiten an. Und die für die schlechtesten. Mercury hat das nie entmutigt. „‚Bohemian Rhapsody‘ wurde von so vielen Leuten verrissen“, sagte er. „Aber womit lässt es sich vergleichen?“

Mit Menschen, die ihn nach der Bedeutung des Songs fragten, hatte Mercury wenig Geduld. „Die können mich mal, Darling“, sagte er. „Ich werde nicht mehr verraten, als jeder anständige Dichter sagen würden, wenn man ihn um eine Analyse seines Werks bittet: Wenn du es siehst, Darling, dann existiert es auch.“ Dennoch ist es durchaus möglich, dass der Song Bedeutungen hat, die Mercury noch nicht bereit war, preiszugeben. „Freddies Zeug lag lyrisch derart im Verborgenen“, erzählte May später einmal. „Aber aufgrund winziger Einblicke ließ sich darauf schließen, dass dort viele seiner persönliche Gedanken eingeflossen waren.“ Tatsächlich enthielt „Rhapsody“ womöglich den Schlüssel zu Mercurys wohlgehütetem Privatleben. „Der Song“, erklärt der Kritiker Anthony DeCurtis, „handelt von einer geheim gehaltenen Verfehlung – ‚Ich bin gestraft‘ – und gleichzeitig von diesem Streben nach Freiheit.“

Mercury hielt sein Innerstes verborgen, weil er das Gefühl hatte, keine andere Wahl zu haben. Manche hielten sein effeminiertes Verhalten hauptsächlich für Affektiertheit. Der Fotograf Mick Rock erinnert sich, dass Mercury sich mehr schlecht als recht an Beziehungen mit Frauen probierte („Ich weiß von ein oder zwei Namen“, sagt Rock). Gleichzeitig unterhielt Mercury eine leidenschaftliche Beziehung mit seiner langjährigen Partnerin Mary Austin, einer mondänen jungen Frau, die er bei Biba, einem Londoner Modehaus, kennengelernt hatte.

„Er dachte, er würde auf Frauen stehen“, erzählte einer von Mercurys ehemaligen Kommilitonen der Biografin Lesley-Ann Jones. „Er brauchte ziemlich lange, um einzusehen, dass er schwul war (…) Ich glaube nicht, dass er sich den Gefühlen stellen konnte, die das in ihm auslöste.“ 1976, als das Album „A Day At The Races“ erschien, hatte sich Mercury gegenüber sei ner Freundin Mary Austin schon länger seltsam verhalten. „Es war mir klar, dass ihn irgendetwas quälte“, sagte Austin im Dokumentarfilm „Freddie Mercury: The Untold Story“. Schließlich erzählte Mercury ihr von seinen neuen Erkenntnissen über sich selbst. „Es war befreiend, es tatsächlich von ihm selbst zu hören“, sagte sie.

Mercury hielt für den Rest seines Lebens engen Kontakt zu Mary Austin, die er als seine Privatsekretärin und Beraterin beschäftigte, und trotz seiner zahlreichen späteren Beziehungen als seine Ehefrau bezeichnete. Ab diesem Zeitpunkt, berichtet Austin, empfand Mercury keine Verpflichtung mehr, irgendjemandem über sein Sexleben Auskunft zu geben.

Er duldete auch keine billigen Diffamierungen. In „Queen: The Early Years“ schildert jemand, der bei einer Show in Manchester mit Queen zusammengearbeitet hatte, folgendes Erlebnis: „Als Queen gerade die Bühne betraten, beschimpfte ihn ein Typ aus dem Publikum lautstark als ‚verdammte Schwuchtel‘. Freddie verlangte sofort von der Crew, mit dem Spot nach dem Burschen zu suchen. Als der Scheinwerferkegel den Übeltäter erfasste, forderte Freddie ihn auf, ‚Sag das noch mal, Darling‘, und der Typ wusste nicht, was er machen sollte (…) Ich sah ihn diesen großen Mann buchstäblich zur Schnecke machen.“ Wenn Mercurys Sexualität jemals eine Rolle für die anderen Mitglieder von Queen gespielt haben sollte, ist das nie in die Öffentlichkeit vorgedrungen. Es galt genug anderen Anfeindungen standzuhalten, die auf die Band einprasselten. Als „A Day At The Races“ Ende 1976 herauskam, brach gerade Punkrock über die Popwelt herein und polarisierte die Rockmusik. Queen wurden plötzlich rüde attackiert. „Ein Rockkonzert ist nicht länger die zeremonielle Vergötterung eines Stars durch seine Fans“, verkündete der „New Music Express“. „Diese ganze Illusion, die immer noch von Queen vertreten wird, steht kurz vor der Zerstörung.“ (Als Queen sich bei den Aufnahmen in einem Studio in direkter Nachbarschaft zu den Sex Pistols wiederfanden, soll Sid Vicious Mercury gefragt haben: „Du bist also dieser Freddie-Platini-Typ, der dem Pöbel das Ballett näherbringen soll?“ Mercury gab zurück: „Ah, Mr. Grimmig! Wir geben unser Bestes, mein Lieber.“) Was immer der Grund war – mit ihrem 1977 erschienenen Album „News Of The World“ änderten Queen ihren Sound auf dramatische Weise. Diese Musik war um einiges schonungsloser. Üppige Orchestrierungen und Harmonien waren durch ungewohnte und neuartige Arrangements ersetzt worden. May sagte dazu:“Wir hatten uns schon, bevor die Sex Pistols auftauchten, entschieden, dass wir diese vielschichtigen Produktionen satt hatten, deshalb beabsichtigten wir, mit ,News Of The World‘ zu unseren Wurzeln und wieder etwas mehr Dynamik zurückzufinden.“

„We Will Rock You“ und „We Are The Champions“ gehören zu Queens bekanntesten Songs – und zu ihren umstrittensten. „We Will Rock You“, aus der Feder von May, begann mit krachendem Stampfen und Textzeilen, die anscheinend alle Zweifler verscheuchen wollten -„Somebody better put you back into your place“ – und von einigen als Angriff auf Punk verstanden wurden. „We Are The Champions“ von Mercury war sogar innerhalb der Band umstritten. May befürchtete, es könne als übermäßige Arroganz verstanden werden und sagte zu Mercury: „Das kannst du nicht bringen.“ Mercury antwortete: „Und ob wir das können.“ Die beiden Songs entpuppten sich als ungeheuer populär. Manche empfanden sie dagegen als abstoßend, wie etwa Dave Marsh vom US-ROLLING STONE, der Queen aufgrund dieser Songs „die erste wirklich faschistische Rockband“ nannte. Beide Songs waren, so May, als Stadiongesänge gedacht, „bei denen die Publikumsbeteiligung Teil des Konzepts war“. Taylor wies darauf hin, dass es sich in beiden Songs „um ein kollektives Wir handelt, das neben uns auch das Publikum mit einschließt. Es bedeutet nicht ‚Wir sind die verdammt noch mal beste Band der Welt, also leckt uns‘.“ Manche Hörer betrachten „Champions“ auch als clever subversives Bekenntnis Mercurys zu homosexueller Unbeugsamkeit, obwohl all diese Interpretationen dadurch, dass der Song weltweit zur Mitgrölhymne bei Sportveranstaltungen arrivierte, auf den Kopf gestellt wurden.

„News“ ist vielleicht das beste Album, das Queen je gemacht haben. Die meisten ihrer folgenden Alben, darunter „Jazz“ (1978), „The Game“ (1980), „The Works“ (1984) und „A Kind Of Magic“ (1986), zielten nie wieder auf stilistische Kongruenz ab, brachten aber nichtsdestotrotz eine stetige Folge von Hits hervor – wie „Under Pressure“ mit David Bowie, „Radio Ga Ga“ von Taylor, „Crazy Little Thing Called Love“ von Mercury und „Another One Bites The Dust“ von Deacon -, mit denen es Queen gelang, immer größere Besuchermassen auf ihre Konzerte zu ziehen. Allerdings bekamen Teile des Publikums offenbar mehr geboten als erwartet. Anfang der 80er-Jahre wurde Mercury seines pompösen Seventies-Looks überdrüssig, schnitt sich die Haare kurz, kämmte sie mit Gel zurück, kleidete sich entweder in Leder oder knappe, athletische Outfits und ließ sich einen buschigen Schnäuzer wachsen. Das war exemplarisch für die sogenannten Gay Clones und Ledertypen, deren Look in den späten 70er-Jahren als typisches Schwulen-Outfit bekannt wurde – ein Auftreten, das der Rockwelt völlig fremd war. Dass er sich so auf der Bühne präsentierte – speziell, als Mercury bei einer Queen-Show zu „Another One Bites The Dust“ in hautengen Hosen über die Bühne tänzelte und Satzfragmente wie „bite it“ und „bite it hard, baby“ ausstieß – kam einem öffentlichen Bekenntnis zu seiner Sexualität so nah wie nichts zuvor. 1980 schmissen die Fans auf manchen Shows der US-Tour Einwegrasierer auf die Bühne. Ihnen missfiel Mercurys Bühnen-Persona – in der sie einen unverhohlen schwulen Rock’n’Roll-Star erkannten – und sie wollten, dass er dieses Image wieder ablegte.

Queen sollten nach 1982 nie wieder in den USA auf Tour gehen. Gerüchten zufolge machte man intern Mercurys Image für den Verlust dieses riesigen Publikums verantwortlich. „Ein paar von uns hassen es“, gestand Deacon 1981 dem ROLLING STONE. „Aber so ist er nun mal, und dem kann man keinen Riegel vorschieben.“ Glaubt man allerdings May, kümmerte die Band der US-Markt relativ wenig. „Irgendwo waren wir immer willkommen, weil wir dort gerade der heiße Scheiß waren und deshalb tun und lassen konnten, was wir wollten, ohne uns darüber den Kopf zerbrechen zu müssen.“

Queen blieben eine gigantische Tournee-Maschine, die in den 80er-Jahren Arenen und Stadien auf der ganzen Welt füllte. Die Tourneen waren so groß und die Auftritte so spektakulär, dass auch das irgendwann gegen die Band ausgelegt wurde. So mancher sah in Queen längst keine Kunst mehr, sondern nur noch eine Industrie. Im Lichte zweier besonders übler Geschehnisse noch dazu als eine ausgesprochen herzlose Industrie. 1981 unternahmen Queen ihre erste kurze, aber ereignisreiche Tour durch Südamerika.

An sich ein ehrenwertes Unterfangen, denn bisher hatte keine andere Rockband das südamerikanische Publikum für wichtig genug gehalten, um eine so aufwendige Unternehmung auf die Beine zu stellen. Das erste Konzert fand in Buenos Aires statt und war das bis dahin größte des Landes. Argentinien wurde zu diesem Zeitpunkt von einer Diktatur beherrscht, die ein brutales Regime gegen Linke und andere Oppositionelle führte, das bis zu 30.000 Menschen das Leben kostete. Queen versuchten, den Besuch des Landes zu relativieren. „Wir haben für die Bevölkerung gespielt und sind nicht mit Scheuklappen durch die Gegend gelaufen“, verteidigte sich Taylor. Der Ruf der Band war trotzdem geschädigt. Er wurde weiter ramponiert, als Queen sich darauf einließen, zwölf Konzerte in der Sun City Super Bowl von Bophuthatswana in Südafrika zu geben. Damals befand sich Südafrika fest im menschenverachtenden Griff des rassistischen Apartheid-Regimes, und die Vereinten Nationen riefen weltweit die Künstler zum Boykott des Landes auf. Darüber hinaus hatte die britische Musikergewerkschaft ihren Mitgliedern untersagt, in Sun City aufzutreten. Obwohl es in Großbritannien im Vorfeld zu erhitzen Kontroversen kam, spielten Queen im damaligen Rassistenstaat, sagten aber einige Auftritte ab, nachdem Mercurys Stimme in der Eröffnungsnacht versagt hatte.

Dass Queen in diesen Ländern auftraten, erweckte den Eindruck, als würde die Band sich in den Dienst der Macht stellen. „Ich möchte in meinen Songs nicht mit dem Zeigefinger wedeln“, sagte Mercury zu dieser Zeit. Sie seien bloß Entertainer, erklärte er, eine apolitische Band, die keineswegs das Regime eines Landes gutheißt, nur weil sie für die Menschen dort spielt. Das milderte die Gegenreaktionen allerdings kaum. Als das Projekt Band Aid Ende 1984 den Song „Do They Know It’s Christmas?“ aufnahm – eine Wohltätigkeitsaktion, mit der Bob Geldof und Midge Ure den Hunger in Äthiopien lindern wollten – und Queen nicht dazu eingeladen wurden, war Mercury aufrichtig verletzt. Queen gerieten in dieser Zeit in eine depressive Phase, und diverse Quellen berichten, dass die Mitglieder sogar einige Male die Auflösung der Band oder wenigstens eine längere Auszeit in Betracht zogen. „Ich weiß nicht, wofür Queen eigentlich stehen“, sollte Mercury später einmal sagen.

Einige Monate danach, 1985, lud Geldof die Band dennoch ein, beim Londoner Live-Aid-Konzert aufzutreten. Queen zögerten zunächst. Sie sollten bei Tageslicht spielen, was sie generell ungern taten, und sie machten sich Sorgen um die Soundqualität. Darüber hinaus würde zu dieser Gelegenheit einiges an ernst zu nehmender Konkurrenz mit ihnen die Bühne teilen, darunter Paul McCartney, U2, Elton John, Bowie, The Who, Sting sowie Phil Collins – und womöglich waren sich Queen auch bewusst, dass man sie angesichts ihrer politischen Verfehlungen als die schwarzen Schafe der Veranstaltung betrachten würde. Aber Geldof setzte sich durch, und 22 Minuten nachdem Queen an jenem frühen Abend des 13. Juli im Wembley Stadion die Bühne des weltweit übertragenen Live-Aid-Konzertes betreten hatten, verließen die Bandmitglieder sie unerwartet als Helden. Elton John suchte die Band backstage in ihrem Trailer auf. „Ihr habt mir die Show gestohlen, ihr Bastarde!“, sagte er zu ihnen. „Das war der beste Tag unseres Lebens“, sagte May.

Der Auftritt hauchte der Band sofort neues Leben ein. Im September desselben Jahres nahmen Queen in München die Arbeit an „A Kind Of Magic“ auf und bereiteten sich gleichzeitig auf ihre für 1986 geplante Sommertournee vor. „Ich denke, wir sind momentan die beste Liveband der Welt“, behauptete Taylor, „und wir werden es beweisen: Gegen uns wird Ben Hur aussehen wie die Muppets.“ Die Shows schienen diesen vollmundigen Versprechungen tatsächlich recht zu geben: Queen präsentierten sich in jeder Hinsicht auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Allerdings hatte Mercury auch dramatische und unberechenbare Gemütsschwankungen. Während eines Streitgesprächs in Spanien sagte er zu Deacon: „Ich werde das nicht für immer machen. Das ist wahrscheinlich das letzte Mal.“ Die Band war geschockt.

Zum Ende der Tour war der Run auf die Tickets so groß, dass Queen der Tour ein weiteres, letztes Konzert hinzufügten. Es fand am 9. August 1986 im Knebworth Park vor rund 200.000 Zuschauern statt. Und das war’s. Gleich nach Ende der Show verließ Mercury überstürzt den Auftrittsort. Es war offensichtlich, dass ihm etwas schwer zu schaffen machte. Er wollte dem Publikum, das ihn geliebt hatte, nicht länger vor die Augen treten. Queen hatten ihre letzte Show gespielt.

Anfang der 80er-Jahre begann AIDS in den USA immer mehr Opfer zu fordern, zunächst in New York, wo grob geschätzt die Hälfte der Infektionen zuerst verzeichnet wurde. Einige bezeichneten diese tödliche Krankheit als „Schwulenplage“, aber schnell wurde klar, dass AIDS keine Unterschiede machte, sondern vom HI-Virus verursacht wird, das das Immunsystem schwächt und das von Körperflüssigkeiten wie Sperma und Blut übertragen wird. Am stärksten betroffen waren Drogenkonsumenten, die sich dieselben Spritzen teilten, und Personen, die ungeschützten Sex hatten, vor allem diejenigen mit wechselnden Partnern. Freddie Mercury fiel in letztere Kategorie. „Ich bin nur eine alte Schlampe, die sich jeden Morgen beim Aufstehen am Kopf kratzt und sich fragt, wen sie als Nächstes ficken möchte“, sagte er einmal.

In den späten 70er- und den größten Teil der 80er-Jahre hindurch betrachteten Queen München als ihre zweite Heimat – im Nachhinein zu ihrem Bedauern. Die Stadt bot eine lebendige und vielschichtige Sexkultur und entpuppte sich für Mercury gleichzeitig als Segen und Fluch. May erzählte später, dass ihr Sänger es zeitweise kaum im Studio aushielt – „Er wollte seinen Kram erledigen und dann schnell wieder abhauen“ – und es vorzog, seine Abende in Münchner Diskotheken und Nachtklubs zu verbringen. Dort lernte er eines Abends die Schauspielerin Barbara Valentin kennen, die in einigen Filmen von Rainer Werner Fassbinder mitgespielt hatte. Mercury begann ein leidenschaftliches Liebesverhältnis mit ihr, während er gleichzeitig intensive, teilweise stürmische Beziehungen zu verschiedenen männlichen Liebhabern unterhielt (Gerüchten zufolge unter anderem mit dem Ballett-Star Rudolf Nurejew). Sein heftiger Drogen- und Alkoholkonsum in jener Zeit führte zu mehreren Blackouts, nach denen Mercury nicht mehr wusste, was er die Nacht zuvor getan hatte. Valentin erzählte Lesley-Ann Jones, dass sie ihn einmal nackt auf dem Balkon einer Wohnung vorfand, wo er einigen Bauarbeitern unter ihm „We Are The Champions“ vorsang und ihnen anschließend zurief: „Wer den größten Schwanz hat, soll hochkommen!“

Darüber, wie Mercury mit dem AIDS-Risiko umging, gibt es unterschiedliche Aussagen. Manche sahen darin den Grund dafür, dass er nach 1982 keinen gesteigerten Wert mehr auf eine Amerika-Tournee von Queen legte. Der BBC-Radiomoderator Paul Gambaccini erinnert sich daran, ihm 1984 eines Nachts im Londoner Club Heaven begegnet zu sein. Gambaccini fragte Mercury, ob AIDS seine Einstellung gegenüber ungeschütztem Sex mit wechselnden Partnern geändert hätte. „Darling, meine Einstellung lautet ‚Scheiß drauf'“, soll Mercury geantwortet haben, „Ich treibe jederzeit alles mit jedem.“

„Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen“, berichtet Gambaccini. „In New York hatte ich genug erlebt, um zu wissen, dass Freddie sterben würde.“ Dem Journalisten Rick Sky erzählte Mercury einmal: „Ich bin von Natur aus ruhelos und überspannt (…), ein Mensch der Extreme, und das kann sich oft zerstörerisch für mich und andere auswirken.“ Ende 1985 unterzog er sich einem AIDS-Test – das Ergebnis war negativ. Er ließ sowohl die Münchner Clubszene als auch Barbara Valentin hinter sich und zog auf ein Anwesen in Kensington, das seine „Ehefrau“ und Sekretärin Mary Austin 1980 für ihn ausgewählt hatte. „Ich lebte für Sex“, sagte er später einmal. „Ich war höchst promiskuitiv, aber AIDS hat mein Leben verändert.“

1987 unterzog sich Mercury einem weiteren AIDS-Test, schien dann aber davor zurückzuscheuen, dass Ergebnis zu erfahren. Nachdem seine Ärzte mehrere Male erfolglos versucht hatten, ihn zu erreichen, wendeten sie sich an Austin, um ihr die Dringlichkeit der Situation mitzuteilen. Mercury wurde nun als HIV-positiv diagnostiziert. „Mir wurde eng ums Herz“, sagte Austin später. Seiner Band erzählte Mercury allerdings noch nichts davon. „Wir ahnten, dass etwas nicht stimmte“, erinnerte sich May später, „aber wir sprachen nicht darüber.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte Paul Prenter, Mercurys ehemaliger persönlicher Manager, bereits einer englischen Tageszeitung von dem früheren Bluttest erzählt, worauf hin die Presse Druck auf die Band ausübte, sich zu dem Thema zu äußern. Mercury bestand jedoch darauf, dass an den Gerüchten nichts dran sei. Einige Freunde vermuteten als wahre Ursache seines Gesundheitszustandes deshalb ein auf seine Trinkerei zurückzuführendes Leberproblem, allerdings bemerkte Valentin 1987 Narben auf Mercurys Gesicht und Händen: mögliche Anzeichen für das Kaposi-Sarkom.

Als die Band Anfang 1989 ihr 13. Album „The Miracle“ fertiggestellt hatte, wollte der Sänger sofort mit dem nächsten beginnen. Er hoffte darauf, noch so viel Material wie irgend möglich aufnehmen zu können und sah nun ein, dass er den anderen in der Band mitteilen musste, warum. „Er beschloss, uns alle gemeinsam zu sich nach Hause einzuladen“, erzählte Taylor. „Vermutlich könnt ihr euch bereits denken, was mein Problem ist“, sagte er zu seinen Bandkollegen. „Nun, es stimmt. Und ich möchte nicht, dass sich deswegen etwas ändert. Ich will nicht, dass es bekannt wird. Ich will nicht darüber reden. Ich will einfach nur weitermachen und arbeiten, bis ich tot umfalle. Es wäre schön, wenn ihr mich darin unterstützen würdet.“ May erzählte später, dass Taylor, Deacon und er am Boden zerstört waren: „Wir fuhren fort und klappten dann jeder für sich im stillen Kämmerlein zusammen. Dieses Gespräch blieb das einzige, in dem das Thema direkt zur Sprache kam.“

Das Wissen um die Erkrankung prägte logischerweise den Inhalt des nächsten Albums, „Innuendo“. „Das brachte uns wieder näher zusammen“, sagte Taylor, „die Reihen wurden geschlossen.“ Laut May waren Queen sich bewusst, dass sie sich als Songwriter mit ihrem finalen Thema konfrontiert sahen, aber die Gewohnheiten der Band erschwerten den Austausch darüber. „Wir haben nie miteinander über die Texte gesprochen“, äußerte sich May 2004 gegenüber „Mojo“. „Es war uns einfach zu peinlich, darüber zu reden.“ Trotzdem spricht „Innuendo“ den bevorstehenden Tod so denkwürdig und würdevoll an, wie man es sich nur erhoffen kann – und das ohne einen einzigen Moment des Selbstmitleids. „Zum Ende hin war es uns allen sehr bewusst“, erinnerte sich May. „Manchmal war Freddie nicht in der Lage, sich zu artikulieren, und – auch wenn sich das jetzt sehr seltsam anhört – ich glaube, dass Roger und ich es gewissermaßen für ihn aussprachen, indem wir bestimmte Songzeilen schrieben. Er war nämlich schon fast über den Punkt hinaus, an dem er es in Worte fassen konnte. Also waren Songs wie ‚The Show Must Go On‘ in meinem Fall oder ‚Days Of Our Lives‘ in Rogers Fall das, was wir Freddie geben konnten, um damit irgendwie fertig zu werden. Aber es wurde nie ausgesprochen. Das war unser Weg, das Ende zu finden, bevor wir dort ankamen.“ Taylor fügte hinzu: „Und wir waren fest entschlossen, bis zum Ende eng zusammenzuhalten.“

„Seltsamerweise hatten wir viel Spaß“, sagt May. „Freddie hatte Schmerzen, aber innerhalb des Studios war es, als wäre er in eine schützende Decke gewickelt, und er konnte sich daran erfreuen, das zu tun, was er am liebsten tat (…) Manchmal hielt er nur ein paar Stunden am Tag durch, denn danach war er sehr erschöpft. Aber in diesen wenigen Stunden, da gab er so viel. Wenn er nicht mehr stehen konnte, dann stützte er sich auf einen Tisch, kippte einen Wodka und sagte: ‚Ich werde singen, bis ich blute.'“

Auch nach „Innuendo“ wollte Mercury weiter aufnehmen und, wenn möglich, noch ein Album fertigstellen. „Freddie sagte: ‚Schreibt was für mich (…) gebt mir weiter Worte. Ich werde singen'“, erinnert sich May. (Die Ergebnisse dieser Sessions wurden 1995 auf „Made In Heaven“ veröffentlicht.) „Er machte weiter, weil es das war, was ihm Spaß machte“, so Austin. „Und die Arbeit gab ihm den Mut, sich seiner Krankheit zu stellen.“ Jim Hutton, Mercurys langjähriger Geliebter, der bis zu seinem Tod mit ihm zusammenlebte, stimmte damit überein:“Wenn die Musik nicht gewesen wäre, hätte er nie so lange durchgehalten.“

Im September 1991 hatte Freddie Mercury so viele Songs hintereinander aufgenommen wie nie zuvor und zog sich auf seinen Wohnsitz in Kensington zurück. Seinen Eltern gegenüber blieb er zurückhaltend, schrieb Peter Freestone in „Freddie Mercury: An Intimate Memoir“, „als wollte er sie vor Dingen beschützen, die sie weder verstehen noch akzeptieren konnten“. Jahre später sagte seine Mutter Jer: „Er wollte uns nicht weh tun, aber wir wussten es die ganze Zeit.“

Mercury ließ kaum noch Besucher zu, da niemand sehen sollte, wie er körperlich immer mehr verfiel. Er setzte seine Medikamente ab und erblindete zeitweilig. Gleichwohl bestand er darauf, weiterhin jede Meldung, dass er an AIDS erkrankt sei, zu dementieren – bis zu einem Abend am 23. November 1991, als er sich in einer öffentlichen Erklärung zu seinem Zustand bekannte: „Nach zahllosen Mutmaßungen in der Presse möchte ich bestätigen, dass ich HIV-positiv getestet wurde und AIDS habe. Ich empfand es als richtig, diese Information privat zu halten, um meine Privatsphäre und die meines Umfelds zu schützen. Jetzt ist es allerdings an der Zeit, dass meine Freunde und Fans auf der ganzen Welt die Wahrheit erfahren, und ich hoffe, dass jeder mich, meine Ärzte und all die anderen auf der ganzen Welt im Kampf gegen diese schreckliche Krankheit unterstützt.“ Laut denen, die sich damals um ihn kümmerten, wirkte er danach ruhiger. Als Freestone und Hutton am nächsten Abend seine Bettwäsche wechselten, stellten sie fest, dass er nicht mehr atmete. „Er ist von uns gegangen“, sagte Hutton zu Freestone. Freddie Mercury wurde 45 Jahre alt. Freestone rief Taylor an, der unterwegs war, um Mercury zu besuchen, und sagte ihm, dass er nicht mehr zu kommen brauche.

Mercurys Begräbnis fand wenige Tage später als zoroastrische Zeremonie statt. Aretha Franklin trat auf, und die Sopranistin Montserrat Caballé sang eine Arie von Verdi (Caballé hatte mit Mercury an dem zwischen Pop und Oper oszillierendem Album „Barcelona“ gearbeitet). Mercurys Körper wurde eingeäschert, und Mary Austin, die einzige Person, der Mercury wirklich vertraut hatte und der er seinen Wohnsitz hinterließ, begrub die Asche an einem Ort, den sie niemals preisgab.

Im darauffolgenden April gaben die verbliebenen Mitglieder von Queen im Wembley Stadion ein Benefizkonzert zu Ehren ihres verstorbenen Sängers, bei der sie die Gründung des Mercury Phoenix Trust bekannt gaben, einer Stiftung, die bis heute Geld für verschiedene Hilfsorganisationen sammelt, die sich im Kampf gegen AIDS engagieren. Nach dem Auftritt ging die Band für 13 Jahre getrennte Wege. Deacon zog sich komplett zurück – abgesehen von den Sessions für „Made In Heaven“ (1995), dem finalen Studioalbum des Quartetts, das jene Aufnahmen beinhaltete, an denen Mercury in seinem letzten Lebensjahr gearbeitet hatte. Ausnahmslos Songs über die Herrlichkeit der Liebe und die Vergänglichkeit.

„Ich habe seinen Tod nie verwunden“, sagte Taylor später einmal. „Keiner von uns. Ich glaube, wir dachten alle, wir könnten uns schnell damit arrangieren, aber wir haben völlig unterschätzt, wie sehr sein Tod sich auf unser Leben auswirken würde. Es fällt mir immer noch schwer, darüber zu reden. Für uns Verbliebenen fühlt es sich an, als läge die Zeit mit Queen ein ganzes Leben zurück.“

„Manchmal hielt er nur ein paar Stunden durch. Wenn er nicht mehr stehen konnte, kippte er ein Wodka und sagte: ‚Ich werde singen bis ich blute!'“

Nicht wenige Menschen stießen sich an Mercurys Art zu leben und auch daran, wie er starb: Homophobe betrachteten seinen quälenden Verfall als Strafe für seine Sexualität und Promiskuität; andere wiederum, die sich dem Kampf gegen AIDS widmeten, warfen ihm vor, dass er seinen Zustand bis zum Ende geheim gehalten hatte. Urteile wie diese werden Mercury auf ewig anhängen, aber will man von seiner Musik irgendwie auf ihn schließen, dann bedingen gerade seine Verfehlungen eine fast andächtige Qualität. Song für Song sang er über Sterblichkeit, die Trostlosigkeit des Alleinseins und Zuversicht, aber erflehte auch einen unerreichbaren Zufluchtsort – nirgends so deutlich wie in „Save Me“ von „The Game“: „I have no heart, I’m cold inside / I have no real intent (…) / Save me / I can’t face this life alone.“ Aber Mercury hatte oft das Gefühl, für sich sein zu müssen, so wie damals in seiner Kindheit. „Es kann ein sehr einsames Leben sein“, sagte er, „aber ich wollte es so.“ (Anfang der 70er-Jahre, als Austin ihm vorschlug, ein gemeinsames Kind zu haben, soll Mercury angeblich geantwortet haben: „Mir wäre eine Katze lieber.“) Statt häuslicher Geborgenheit bevorzugte Mercury den Großteil seines Lebens Ekstase und Rastlosigkeit – und natürlich hatte diese Entscheidung einen Preis. „Don’t Stop Me Now“, einer seiner besten Songs, brachte das mit Worten zum Ausdruck, deren fatale Unnachgiebigkeit durchaus etwas Rauschhaftes hatte: „I’m a rocket ship on my way to Mars / On a collision course / I’m a satellite out of control / I’m a sex machine ready to reload.“

Von William Blake stammen die berühmten Worte: „Die Straße des Exzesses führt zum Palast der Weisheit.“ Eine Maxime, die häufig so interpretiert wird, dass uns ein Leben der Zügellosigkeit – in dem man hemmungslos seinen Begierden folgt – letztlich die Sinnlosigkeit dieser Ausschweifungen einsehen lässt und uns bedeutsamere Ziele offenbart. Eine Lesart wäre aber auch, dass wir, ohne Risiken einzugehen, wohl niemals entdecken werden, was alles möglich ist, was uns unter Umständen den größten Erkenntnisgewinn beschert. In „The Miracle“ stellt Mercury schonungslos den Sinn und Wert seiner Exzesse infrage und zieht dann ein Fazit: „Was it all worth it all these years? (…) / It didn’t matter if we won -if we lost (…) / Living, breathing rock & roll / Was it all worth it? / Yes, it was a worthwhile experience / It was worth it.“ Als er diese Worte sang, wusste er bereits, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Es gab keinen Platz mehr für Lippenbekenntnisse. „Meine Fehler“, sagte er einmal, „gehören mir.“

Den besten Song, den Mercury in seinen letzten Jahren sang, „These Are The Days Of Our Lives“, hatte Taylor für ihn geschrieben. Er handelt davon, zu akzeptieren, was man aus seinem Leben gemacht hat, und dem Abschied mit ungebrochener Haltung entgegenzusehen. Das dazugehörige Video zeigt die letzten Filmaufnahmen von Mercury. Er ist unverkennbar dem Tode nah und schrecklich abgemagert. Diejenigen, die bei den Dreharbeiten dabei waren, berichteten, dass ihm schon der bloße Kontakt mit seiner Kleidung Höllenqualen bereitete. Und doch ist er in diesen Momenten ganz bei sich und strahlt eine ungeheure Präsenz aus. Mit ausgebreiteten Armen blickt er gen Himmel und richtet dann seinen Blick in die Kamera, während er sagt, was es für ihn noch zu sagen gibt: „Those were the days of our lives – yeah / The bad things in life were so few / Those days are all gone now, but one thing’s still true / When I look and I find / I still love you (…) I still love you.“

In diesen Momenten liegt alle Rechtfertigung, die er je brauchte: Seine schmerzlich erworbene Erleuchtung entsprang letztlich der vielleicht einzigen Erfahrung, die ihm das überhaupt ermöglichen konnte: Es war sein Sterben, das Freddie Mercury rettete.

Stroboskopus

Wie wurden Queen von der Hardrockzur Disco-Band? Und was brachte es?

Die Wandlung von Hardrock-Queen zu Disco-Queen Ende der 70er-Jahre erwies sich als riesiger Erfolg – nicht zuletzt für Business-Queen: „Another One Bites The Dust“ ist die meistverkaufte Queen-Single aller Zeiten. Dass man sie auch als ihre wahrscheinlich beste bezeichnen muss, liegt an dem Mann, der sie letztlich angezettelt hat. Nein, nicht an Freddie Mercury, der sowieso am liebsten große, theatralische Balladen sang. Sicher auch nicht an Brian May, der jeglicher Gitarren-Reduzierung durch Dance-Beats argwöhnisch gegenüberstand, anders als Drummer Roger Taylor. Der stille Bassist John Deacon aber war ein richtiger Soul-Fan und hing, so will es die Legende, sogar bei den „Good Times“-Sessions der Gruppe Chic ab, bei denen er sich die berühmte Bassline von Bernie Edwards persönlich erklären ließ, um sie dann in leicht abgewandelter Form zum Totem-artigen Rückgrat des Welthits zu machen. Der ganze Disco-Aspekt bei Queen ist definitiv Deacons Ding.

Auf dem folgenden Album „Hot Space“ (1982) tobt sich Deacons Lust auf Disco-Queen dann vehement aus, jedenfalls auf der sehr kohärenten A-Seite. Stücke wie „Back Chat“ oder „Body Language“ klingen aus heutiger Perspektive visionärer als damals. Bass und Drums sind fast ausschließlich elektronisch, Brian May war die meiste Zeit offenbar in der Teeküche, gegen all das ist aus heutiger Warte nichts auszusetzen. Für Freunde von Queen als Rocker muss es aber ein Albtraum gewesen sein, ich persönlich habe damals andere, für mein Empfinden modernere Dinge als Queen gehört – eine Auffassung, mit der ich objektiv falsch lag, denn „Hot Space“ war tatsächlich sehr modern. Allerdings weit davon entfernt, „hot“ zu sein. Eiskalt vielmehr, der Atmosphäre der eher weißen New Yorker Schwulenclubs der frühen 80er-Jahre verpflichtet, eher Stroboskop als Discokugel.

Freddie Mercurys superaufgeladene Performance macht das Werk etwas anstrengend, zum regelrechten Work-out. Es geht ein wenig zu wie im Fitnessstudio, wie sie damals groß in Mode kamen -und in denen diese Platte bestimmt auch sehr gerne benutzt wurde.

HANS NIESWANDT

Leben nach Freddie

Wie ging es mit Queen nach 1991 weiter und was bedeuten sie heute?

Wie macht die Königin weiter, wenn der König tot ist? Wie ersetzt man einen Sänger, der unersetzlich ist? Was ist Legendenbewahrung, was Leichenfledderei? Vor diesen Fragen standen Queen, nachdem Freddie Mercury von ihnen gegangen war. Ein paar Monate später, im April 1992, gab es erst mal ein großes Tribute-Konzert, bei dem deutlich wurde, vor welcher Herausforderung Queen standen. Zwar hatten große Rockbands wie AC/DC oder Van Halen vorgemacht, dass man durchaus mit einem neuen Frontmann mindestens genauso erfolgreich sein kann, aber mit Verlaub: So schwer zu singen sind deren Lieder dann doch nicht. In Wembley gab es schöne Auftritte von Elton John und Axl Rose, von Robert Plant und Roger Daltrey, aber der Einzige, der annähernd an Mercurys Stimmgewalt herankam und auch vor großen Gesten nicht zurückschreckte, war George Michael. Der seine Bandphase freilich schon hinter sich und es nicht nötig hatte, irgendwo einzusteigen.

Bassist John Deacon zog die Konsequenzen und ging 1997 in Rente. Gitarrist Brian May und Schlagzeuger Roger Taylor tourten ab 2005 als Queen + Paul Rodgers – der „neue“ Name sollte deutlich machen, dass der Ex-The-Free-Sänger kein Ersatz für Mercury war, sondern eher ein Gast. „The Cosmos Rocks“ von 2008 bleibt ihr einziges gemeinsames Album. 2009 erklärte Rodgers das zwar unpeinliche, aber auch unspektakuläre Projekt für beendet. 2011 traten sie bei den „MTV Europe Music Awards“ zum ersten Mal mit Adam Lambert auf, der als flamboyanter Finalist bei „American Idol“ aus seiner Queen-Verehrung nie einen Hehl gemacht hatte.

Der 32-jährige Lambert ist nicht der Einzige, der sich nicht mehr schämt, den Pomp und das Pathos der Band zu lieben, ihre unwiderstehlichen Hymnen und ihren ungenierten Hedonismus – Queen sind längst eine feste Größe, besonders unter Hardrockfreunden. Metallica covern gern „Stone Cold Crazy“, die Foo Fighters „Tie Your Mother Down“. Dave Grohl, selbst nicht gerade ein eindimensionaler Typ, ist ein erklärter Fan der Queen’schen Vielseitigkeit: „Von Ragtime bis Space-Rock, Oper bis Funk, Punkrock bis Arena-Rock – es gab keine Grenzen für Queen, sie konnten alles machen.“

Gerade sind May und Taylor mit Lambert auf US-Tour, und das ist nicht die einzige Möglichkeit, Queen-Songs weiterhin live zu hören: Natürlich hat es der theatralische Sound von Queen längst auch auf die Musicalbühne geschafft – mit Ben Eltons „We Will Rock You“, das 2002 Premiere hatte und seitdem immer irgendwo läuft. Demnächst kommt die Bandgeschichte dann auch noch ins Kino, mit Ben Whishaw als Freddie Mercury. Er ersetzt Sacha Baron Cohen, der sich mit den verbliebenen Queen-Leuten wohl nicht einigen konnte, wie die Rolle anzulegen ist. Eine Witzfigur sollte aus einem der größten Sänger aller Zeiten nicht werden.

BIRGIT FUSS

No Synthesizers!

Neben Freddie Mercurys Gesang war es Brian Mays Gitarre, die Queen prägte. Aber was macht sein Spiel eigentlich aus?

Wie alle wahren Gitarrenhelden hat Brian May vor allem einen ganz unverkennbaren Ton -diesen leicht nasalen, ein bisschen staubig-vermufften Sound, der ganz gut passt zum viktorianischen Möbelstück, das er in den Händen hält. Um diese Gitarre, die „Red Special“, ranken sich Legenden. Aus einem Klotz Eiche, einem hundertjährigen Mahagoni-Kaminbalken und Motorradersatzteilen soll er sie mit seinem Vater Harold, einem Daniel Düsentrieb beim englischen Kriegsministerium, zusammengeschraubt haben. Und für den leicht schmatzenden, die Obertöne herauskitzelnden Anschlag sorgte ein Sixpence-Stück.

May war ein Tüftler von Anfang an. Fehlte es beim Debüt noch an Studiozeit, tobte er sich bereits bei „Queen II“ so richtig aus. Und das Intro „Procession“ offenbart gleich programmatisch, worum es ihm in den nächsten Jahren gehen sollte – um „guitar orchestrations“. Hier lässt er nur mit seiner Gitarre – und diversen Verzerrern und Phasenmodulationseffekten – Streicher und Bläser erklingen, auf „White Queen (As It Began)“ sogar ein grämelndes Fagott. Zwei Alben später, „A Night At The Opera“, verwandelt er sich im augenzwinkernden „God Save The Queen“ in eine ganze Rumpelkapelle, und bei „Get Down, Make Love“ („News Of The World“) mimt er den Space-Hippie und belauscht den Sphärengesang. May war ziemlich stolz auf solche Spielereien – „no synthesizers“!

Orchestrierung meint aber auch noch etwas anderes. Die Segnungen des Overdub voll ausschöpfend, kleistert er gleich mehrere Gitarrenspuren über-und nebeneinander, arrangiert sie wie einen Orchestersatz. Diese vielstimmigen, breitwandigen, immer etwas artifiziellüberzüchtet klingenden „Satzgitarren“ wurden seine ureigene Signatur und kamen schon auf dem dritten Album „Sheer Heart Attack“ zu ihrer vollen Prachtentfaltung („Killer Queen“!).

Im Kern war May allerdings immer ein Hardrock-Gitarrist mit dem genreüblichen Faible für Operette, die aber nicht, auch das ist typisch, die technische Kompetenz verdecken durfte. Auf „Brighton Rock“ hat er im schnellfingrigen Solomittelteil seinen Anspruch auf den Heroenstatus früh formuliert. Bei „Stone Cold Crazy“ – „Thrash Metal bevor es das Wort gab“ meinen Gutgläubige – tritt er gegen sich selbst im Duell an. Er gewinnt! Und bei „It’s Late“ versucht er sich, immerhin ein Jahr vor Eddie Van Halen, am Tapping. Ein gewisses Blendungsbewusstsein blieb. So musste er bald auch den vielen Metal-Jungspunden unter Beweis stellen („I Want It All“), dass Geschwindigkeit für ihn keine Hexerei ist. Platz 39 beim ROLLING STONE-Ranking der besten Gitarristen aller Zeiten war insofern hart erarbeitet.

FRANK SCHÄFER

„Ein elementares Begehren“

Brian May im Gespräch über die frisch ausgegrabenen Live-Aufnahmen aus dem Jahr des Durchbruchs 1974, Queens jungen Sänger Adam Lambert und die bevorstehende Veröffentlichung „neuer“ Songs mit Freddie Mercury

Wir erwischen Sie auf Ihrer US-Tour in Las Vegas, um mit Ihnen über ein vier Jahrzehnte altes Live-Album zu sprechen, aber der Zusammenhang ist leicht herzustellen: Ihre zweite Show im Rainbow Theatre im November ’74 begann so wie Ihre gestrige mit „Now I’m Here“.

Das stimmt. Die Arbeit mit dem 1974er-Projekt war eine echte Inspiration für uns. Das hat alte Gefühle wachgerufen und einen Einfluss darauf ausgeübt, was wir heute tun.

Sie hatten damals noch keinen allzu großen Namen und wagten es, eine Halle für 3000 Leute zu buchen – waren Queen Meister in der Kunst der Behauptung?

Ja, und ich sehe dasselbe jetzt bei Adam Lambert wieder. Er ist überhaupt kein arroganter Mensch, aber er stolziert selbstbewusst über die Bühne und nimmt sich, was ihm gebührt. Wir hatten zunächst Bedenken, dass es Widerstand gegen ihn geben könnte, aber sobald der Vorhang aufgeht, ist da dieser riesige Applaus. Die Leute können sehen, dass er etwas Magisches anzubieten hat. Freddie hatte auch diese gewinnende Art. Er konnte sich selbst mit Humor betrachten, aber gleichzeitig stellte er sich da hin und sagte: „Ich kann das, ich bin was Besonderes.“

Haben Sie noch einen Eindruck davon, wie es sich vor 40 Jahren für Sie anfühlte, auf dem Sprung zur ganz großen Karriere zu sein?

Auf verschiedenen Ebenen, ja. Einerseits hatten wir diesen irrsinnigen Glauben, dass wir der Welt mehr zu geben hatten als irgendeine andere Band in der Geschichte. Andererseits waren wir selbst ständig erstaunt darüber, was wir gemeinsam zustande brachten. Wir wollten uns unseren Traum erfüllen, so wie unsere Helden, wie The Who oder Jimi Hendrix zu leben, und diesen Traum mit unserem Publikum teilen. Das ist ein sehr elementares Begehren. Wir ließen uns von dieser Flutwelle einfach mitreißen. Die Strömung war stark, und manchmal gerieten unsere Visionen aneinander. Jede Platte, die wir machten, wurde schwieriger. Es gab immer große Momente im Studio, aber auch viele Konflikte, Selbstzweifel und Verzweiflung. Alles, was am Ende herauskam, war durch dieses Feuer gegangen.

Sie hatten zwar die klassische Viererbesetzung einer britischen Rockband, aber was an den alten Live-Aufnahmen heraussticht, ist die Disziplin hinter Ihrem symphonischen Sound, der immer wesentlich größer als die eigentliche Besetzung wirkte.

Wir fanden unseren eigenen Weg, etwas komplex erscheinen zu lassen, das eigentlich ziemlich einfach war. Die Produktion einer Platte vollzieht sich in Schichten, so als würde man ein Bild malen. Auf der Bühne dagegen wählt man den Fokus aus, auf den man die Aufmerksamkeit lenken will. Es ist eine Art Bluff. Man kreiert beinahe so etwas wie eine impressionistische Version dessen, was auf Platte passiert. Wir wurden uns in unseren Körpern und in unserem Geist bewusst, was in jeder Sekunde unserer Performance passieren musste. Das geschieht ganz instinktiv. Man lernt von der Reaktion des Publikums, und diese Beziehung macht einen zu einem anderen Tier. Vielleicht ist es das, was einen Rockstar ausmacht.

Was können Sie uns über „Queen Forever“ und das kommende „neue“ Material sagen?

Es ist eine eigenartige Compilation, mit der wir nun schon seit Monaten ringen. Da sind einige unerwartete Nummern drauf, die einen anderen Zugang dazu zu vermitteln, was Queen im Verlauf der Jahre ausgemacht hat. Der Höhepunkt sind aber die völlig neu produzierten Tracks, drei oder vier Songs, die auf Bändern drauf waren, die wir vor Kurzem entdeckt haben. Als wir dieses Material einmal von den Spuren der Zeit befreit hatten, blieben diese wunderschönen, glitzernden Vocals von Freddie über, und auch ein paar Momente von uns vieren zusammen, die niemand je gehört hat. Diese kleinen Juwelen werden „Queen Forever“ erinnernswert machen.

Und es bereitet Ihnen keine Bedenken, am großen Kanon herumzuschnitzen?

Nein, gar nicht. Es ist wie Photoshop. Es ist nicht destruktiv. Die Originalstruktur ist noch da. Wir haben nichts zerstört, sondern nur ein neues Portal geöffnet, und ich für meinen Teil habe das sehr genossen.

ROBERT ROTIFER

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