Mit ihrem ersten Album seit sechs Jahren widersetzt sich MICHELLE SHOCKED dem Musik-Monopoly

Auf der Veranda lümmeln die Tigerkatze „Miss Otis“ und die schwarze „Miss Creole“ in der Frühlingssonne, in dunstiger Ferne ist der Schriftzug „Hollywood“ zu erkennen. Rosen sprießen, der Zitronenbaum trägt erste Früchte, eine zartviolett blühende Bougainvillea rankt sich die Hauswand empor. Vorstadtbeschaulichkeit mitten in Korea Town, Los Angeles.

Aber drinnen fiebrige Hektik. Mariachi-Trompeten kesseln aus der Stereoanlage, am Esstisch sitzt Michelle Shocked mit einem halben Dutzend mexikanischer Schwarzarbeiterinnen und macht ihr Album „Deep Natural“ versandfertig, ihr erstes auf dem eigenen Label Mighty Sound. „Korrupte Anwälte spielen in der Musikindustrie Monopoly“, sagt sie beschwörend, fast predigend. „Es ist Zeit, ihnen mein eigenes Business entgegenzusetzen.“ Der Holzhaus ist bis unters Dach mit Kartons vollgestopft, in Wohnzimmer und Wintergarten türmen sich CDs. 120 000 Platten müssen in Papphüllen gesteckt und eingeschweißt werden – Shocked ist ihre eigene Plattenfirma.

Selbst ist die Frau. Nach dem Welthit „Anchorage“ und drei Alben hatte ihr die Plattenfirma Mercury 1992 untersagt, weitere Platten aufzunehmen, und mittels Knebelvertrag verhindert, dass sie ihre Musik irgendwo anders herausgab. Man warf der Folk-Rebellin Wechselhaftigkeit vor und überhörte, dass sie mit „Arkansas Traveler“ eben eine grandiose Trilogie zur amerikanischen Urmusik abgeschlossen hatte, zu Country, Blues und Swing.

Shocked begann noch einmal ganz unten, verkaufte das finster beseelte „Kind Hearted Woman“ bei ihren Konzerten, legte zwei weitere CDs im Eigenverlag nach, engagierte sich für die Umwelt und gegen die Todesstrafe. Und verklagte Mercury vor dem obersten Gericht Kaliforniens auf eine Million Dollar, Tatbestand: Sklaverei. Einen Tag vor Prozessbeginn lenkte die Firma außergerichtlich ein, die Künstlerin war frei.

Von der Polizei verprügelt. Von der eigenen Mutter ins Irrenhaus gesteckt Vergewaltigt. Kein Unglück, das ihr nicht widerfahren wäre. Doch auf der neuen Platte findet sich kein bitteres Wort. Versöhnlicher, gospelgetränktet, schwelgerischer Southern Rock, Shuffle, Blues und New-Orleans-Brass. Die vermeintliche Einzelkämpferin bettet ihre Stimme ins Kollektiv, im zweiten Teil der Doppel-CD verstummt sie gar zugunsten instrumentaler Dub-Versionen. Geborgenheit in der Gruppe: Shocked erlebt sie in der Blechbläser-Szene ihres Zweitwohnsitzes New Orleans und in der schwarzen Gospel-Kirche.

„Mir geht’s nicht um Rache. Es ist einfach großartig, dass ich endlich Kontrolle über meine Musik habe“, sagt Shocked. Ihre Stimme schwingt wie immer besorgt, ihr Blick aber verrät pures Glücksstrahlen. „Ich bin nicht mehr Teil der Musikindustrie“, sagt sie. „Und wäre es wohl besser nie gewesen.“

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