Knast-Groupie No. 1

The Paperboy ****

Zac Efron, Nicole Kidman

Regie: Lee Daniels

In Gegenden mit hoher Luftfeuchtigkeit treibt das amerikanische Genrekino besonders schöne und bizarre Blüten. Südlich der Mason-Dixon-Linie, wo die Dialekte und Hutkrempen breiter werden, hat das einzigartige Lokalkolorit aus dicker Luft, segregationistischem Eigensinn und unerschütterlichem Gleichmut schon für manchen unvergesslichen Kinomoment gesorgt. Lee Daniels‘ „The Paperboy“ ist der jüngste Zuwachs im Dixieploitation-Kanon der Grindhouse-Tradition. Ein fiebriger, kleiner Südstaaten-Krimi mit 1A-Hollywood-Besetzung, der einen eindrucksvoll deliranten Schlingerkurs zwischen den sexual politics seiner Figuren und der Realpolitik im amerikanischen Süden der späten 60er- Jahre vollzieht. Daniels, der vor einigen Jahren mit seinem nicht minder grotesk hochgepitchten, dennoch einfühlsamen Sozialdrama „Precious“ in die erste Hollywood-Liga aufgestiegen ist, hat mit „The Paperboy“ das nahezu Unmögliche geschafft: eine formale Annäherung von Camp und Exploitation. Als hätte Pedro Almodóvar ein Remake von „In der Hitze der Nacht“ gedreht. Der Spanier war tatsächlich lange in die Produktion involviert, er soll sich früh die Rechte an Peter Dexters Romanvorlage gesichert haben. In den Credits taucht sein Name zwar nicht mehr auf, aber Daniels hat das Projekt im seinem Geiste fortgeführt. Fans des Romans sollten also keine werkgetreue Adaption erwarten, obwohl Dexter selbst am Drehbuch mitgeschrieben hat.

„The Paperboy“ handelt von alteingesessenen Familiendynastien, Journalisten-Ethos, unterschwelligem Rassismus, gebrochenen Männlichkeitsbildern und der hitzigen Libido des amerikanischen Südens. Vordergründig geht es um einen Mord. Hillary Van Wetter (John Cusack als Charles-Manson-Lookalike) soll den örtlichen Redneck-Sheriff auf bestialische Weise umgebracht haben, und ihm droht dafür der elektrische Stuhl. Edelfeder Ward Jansen (Matthew Mc-Conaughey) und sein schnöseliger Partner Yardley Acheman (David Oyelowo in der Sidney-Poitier-Rolle) werden von Van Wetters White-Trash-Verlobter Charlotte Bless (Nicole Kidman) um Hilfe gebeten. Die investigativen Journalisten haben sich auf Justizirrtümer und die schwarze Bürgerrechtsbewegung spezialisiert. Für Jansen bedeutet der Fall aber auch die Rückkehr an seinen Geburtsort. Der Vater betreibt seit Ewigkeiten das Lokalblatt, Bruder Jack (Zac „High School Musical“ Efron) arbeitet nach einer gescheiterten Schwimmer-Karriere als der titelgebende Zeitungsjunge seines Vaters. Charlotte sorgt für greifbare Nervosität unter den Männern. Jack, dem man seine Verklemmtheit nie richtig abnimmt, so aufreizend wie er in seinen knallengen Grobripp-Unterhosen durch den Film stolziert, verknallt sich sofort in die Südstaaten-Barbie. Die steigt stattdessen (aus altruistischen Motiven) mit Yardley ins Bett.

Kidman ist ganz großes Kino als dauer-erotomanes Knast-Groupie. Während sie sich gerade in Park Chan-Wooks „Stoker“ als emotional hochgeschlossene Matriarchin gibt, trägt sie hier sommerliche Minikleider, Goldleggings und pinke Fingernägel. Ihr gehören auch die besten Szenen des Films, die mehr als suggerieren, dass Daniels an einem gradlinigen Krimiplot wenig gelegen ist. Charlottes Gefängnis-Date mit Van Wetter etwa ist wohl der erste Geschlechtsakt der Kinogeschichte ohne jeglichen Körperkontakt. Kidman gibt die Sharon Stone und die Meg Ryan in Personalunion. Den verdächtigen Fleck im Schritt von Cusack kostet die Kamera nach diesem Spektakel genüsslich aus, ebenso wie McConaugheys ordnenden Griff an sein Gemächt.

Nach der Cannes-Premiere im vorigen Jahr soll es 15-minütige Ovationen für „The Paperboy“ gegeben haben – ob aus Begeisterung oder Empörung, ist nicht überliefert. In den USA stieß Daniels ambitioniertes, liederliches und hochgradig absurdes kleines B-Movie auf durchwachsene Resonanz – wohl auch ein Grund dafür, dass er in Deutschland nur auf DVD veröffentlicht wird. In „The Paperboy“ schlägt, was heutzutage selten genug ist, das ungezähmte Herz eines Exploitationkinos alter Schule. Daniels beweist zweifellos handwerkliches Geschick – aber so maßlos, wie er es einsetzt, um eine schwüle Southern-Gothic-Atmosphäre des geilen Irrsinns zu erzeugen, muss man ihm auch verdiente Autorenschaft attestieren. (Studio Canal)

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