Kraftwerk: Musique nonstop

Das bedeutendste Werk deutschen Pop-Schaffens liegt nun als Remaster vor: Kraftwerk strahlt in die Zukunft.

Die Mail aus der Redaktion war kurz, aber aufregend: „Ralf Hütter spricht – wohl nächste Woche in Köln.“ Der Kopf von Kraftwerk gilt unter Musikjournalisten als Herausforderung, weil er nicht gerade als Freund von Interviews gilt. Und wenn er spricht, dann ausschließlich sachgebunden – bevorzugt über ein neues Album, vielleicht noch über die Rennrad-Sammlung, seine heimliche Leidenschaft. Das klingt auf dem Papier vielleicht etwas exzentrisch, doch in der Realität ist der 63-jährige Düsseldorfer wesentlich umgänglicher. Mit dem Thema der Unterhaltung haben wir diesmal Glück: Im Oktober wurden die acht essenziellen Alben von Kraftwerk, „12345678 Der Katalog“, neu veröffentlicht. Die Remasters wurden mit neuester Remastering-Technik sorgfältig überarbeitet und mit erweitertem Original-Artwork aus den Kling Klang-Archiven ergänzt. Nicht einmal eine boshaft gesonnene Mensch-Maschine würde unter solchen Umständen ein Gespräch über das Gesamtwerk der mit Abstand wichtigsten deutschen Band aller Zeiten verweigern.

Die Mensch-Maschinen auf der Bühne: Konzerte der vier Programmierer um Ralf Hütter (unten, hinter seinem Laptop) sind stets Cyberspace-Veranstaltungen in der Computerwelt.

In Begleitung des Produktmanagers seiner Plattenfirma huscht Hütter in den Raum. Überraschend jung sieht er aus, die Haare voller als gedacht, an den Füßen ein paar Chucks. Sein Händedruck ist fest, die manchmal leicht stockende Sprache von einer rheinländischen Melodie durchsetzt.

Fragen zum Privatleben werden wir uns also verkneifen, und auch nicht zu den einstigen Kraftwerk-Kollegen Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür. Die beiden letzteren sind schon seit Jahrzehnten nicht mehr dabei, wurden längst ersetzt durch Fritz Hilpert und Henning Schmitz. Der Ausstieg des Mitgründers und Mit-Konzeptionalisten Florian Schneider allerdings ging im Januar durch die Presse – ohne dass es ein echtes Statement von der Beteiligten dazu gegeben hätte. Hütter erweist ihm in unserem Gespräch immerhin die Ehre, dass er ihn als einzigen Kraftwerk-Musiker überhaupt namentlich erwähnt.

Soviel ist klar: Dieser Wernher von Braun des Techno-Pop versucht noch immer, sich, sein Werk und alles, was damit zu tun hat, unter Kontrolle zu halten.

Ab wann gab es bei Kraftwerk diesen Hang zum konzeptuellen Gesamtkunstwerk?

Eigentlich von Anfang an. Wir hatten ja viele Freunde in der Düsseldorfer Kunstszene, und schon auf dem ersten Album gab es das Bild eines Transformators, fotografiert von den bedeutenden Konzeptkünstlern Bernd und Hilla Becher. Den üblichen Rock-Zirkus haben wir nie mitgemacht. Schon sehr früh, um 1970, benutzten wir auf einer Kunst-Party eine Rhythmusmaschine und verließen die Bühne, während die Musik weiter spielte. Wir haben dann unten dazu getanzt. In diesen Tagen wurde ja vieles wie ein Happening installiert.

Aber warum ignorieren Sie dieses Frühwerk heute und beginnen bei dieser Werkschau erst mit „Autobahn“?

Die ersten drei Alben entstammen einer frühen Phase, die Ideen austestete und Skizzen entwarf. Erst mit „Autobahn“ wurde Kraftwerk zur Mensch-Maschine. Das entsprechende Album kam erst vier Jahre später, aber bereits auf der ersten Amerika-Tournee haben wir uns so vorgestellt, wie wir das heute noch tun: „Meine Damen und Herren, Kraftwerk, die Mensch-Maschine.“ Das ist wie ein Programm, das seitdem abläuft.

Hat es Sie seinerzeit überrascht, dass ein so avantgardistisches Stück wie ^Autobahn“ 1974 zum globalen Hit wurde?

Ja, natürlich. Wir waren überhaupt nicht bereit, auf Tournee zu gehen, und mussten auf die Schnelle unser Equipment zusammenhämmern. Das war im Studio ja ganz wild verkabelt. Wir haben das dann ein bisschen geordnet und in Pappkartons gepackt. In New York haben wir als erstes einen Road-Manager engagiert und die Pappkartons in professionelle Flight-Cases umgepackt.

Und wie war die mediale Rezeption in Deutschland?

Ursprünglich sollte es auch hier eine Kraftwerk-Tournee geben, aber als wir aus den USA zurückkamen, war erst mal kein Interesse mehr da. Zwischen 1976 und 1981 sind wir dann praktisch überhaupt nicht mehr aufgetreten. Weil die Musik live nicht mehr umzusetzen war: Die Kabel wackelten, das Equipment fiel auseinander, technisch war das alles ein Albtraum. Wenn da ein E-Werk mal die Stromspannung veränderte, ging alles rauf und runter.

Eine richtige Tour haben wir dann erst wieder zu „Computerwelt“ gemacht. Unsere Musik war nur im „Kling Klang Studio“ realisierbar.

Und warum?

Das „Kling Klang Studio, das Florian Schneider und ich ab 1970 aufgebaut haben, ist ja unser Instrument: Wir spielen Studio. Man nannte uns ja auch immer „die Knöpfchendreher vom Rhein“, das hat uns aber nicht gestört. Wir haben ja tatsächlich Köpfchen gedreht, Regler rauf und runter geschoben, Kabel eingestöpselt. In den Achtzigern kamen dann Sampler und Computer dazu, seit 2002 sind wir mit unseren Laptops mobil und können selbst im Hotel und am Flughafen arbeiten.

Was ist das für ein Gefühl, wenn man eigentlich ein Weltstar ist, aber dabei komplett hinter seinem Werk verschwindet?

Das ist Teil unseres Konzepts. Wir unterhalten uns zwar gerade, aber die Werke sprechen letztlich für sich selbst. Alles, was ich hier sage, dient nur der Beschleunigung der Erkenntnis. Es war immer unser Ziel, dass sich die Musik selbst spielt, oder für sich selbst spricht: Die Autos singen, die Reifen quietschen und summen, der Wind bläst „Tour De France“. Auch der „Trans Europa Express“ war für uns vor allem eine Klangmaschine.

Ihre Texte bestehen meist ja nur aus einzelnen Worten – und entfalten trotzdem eine geradezu hypnotische Kraft.

Die Worte haben etwas von einem Mantra, sie sind Klang-Poesie und lösen einen bestimmten Zustand aus. Wenn ich eine Geschichte erzählen wollte, so wie die meisten Rockmusiker in ihren Songs, wäre ich Schriftsteller geworden. Genauso funktionieren auch die Fotos und Videoclips von Kraftwerk, das sind elektronische Skulpturen, das ist ein Film zur Musik. Das Wort „Musikfilm“ trifft die Sache eigentlich am besten. Bei einem Musikfilm gibt es Darsteller, Techniker und so weiter.

Warum beziehen sich die Themen Ihrer Musikfilme ausschließlich auf deutsche oder europäische Kultur – von „Autobahn“ bis „Tour De France“?

Das hat sich schon Anfang der Siebziger so ergeben, als wir mit Tonbändern arbeiteten und über Klang reflektierten. Unsere Sprache transportiert sich rhythmisch anders als die englische, und die Musik von Kraftwerk ist eine Art Ethno-Musik aus der Bundesrepublik. Wenn wir nachts durch das Rhein- und Ruhrgebiet gefahren sind, dann verbanden sich die Landschaft und Architektur zu einer bestimmten Atmosphäre. „Neonlicht“ ist ein Spaziergang durch das nächtliche Düsseldorf. Das hat inzwischen fast musealen Charakter, weil es die ganzen Neon-Werbungen heute alle nicht mehr gibt.

Bei vielen Kraftwerk-Alben spürt man auch eine gewisse Wehmut und Melancholie. Aus einer weit entfernten Zukunft scheinen Sie auf die Gegenwart der Bundesrepublik zurückzublicken. Mit „Trans Europa Express“ wurde das auch visuell im Artwork sehr schön umgesetzt.

Ja, man sieht uns da unter einem Baum am Rhein sitzen, doch das Foto entstand in New York, und die Landschaft ist fiktiv. Es ist eine Collage, wie die Musik. Auch in unserer Musik fügen sich einzelne Klänge zu einem Gesamtbild.

Emil Schult, ein Beuys-Schüler und guter Freund, hat damals viele Bilder, Motive und Artwork für Kraftwerk entworfen. Im Booklet von „Autobahn“ sieht man jetzt auch seine Originalzeichnungen von 1973/74, um die sich der Text rankt.

Wird es in absehbarer Zeit überhaupt noch ein neues Kraftwerk-Album geben?

Ja. Ich habe da verschiedene Konzepte und Drehbücher, da müssen wir jetzt dran arbeiten.

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