Kritik: „The Walking Dead“, Staffel 9, Folge 5: Darum ist der Abschied Rick Grimes‘ feige

Keine Lust mehr auf die Serie, aber im Kino groß rauskommen – Grimes-Darsteller Andrew Lincoln will doch nicht von den Zombies lassen. Seine Figur stirbt daher nicht.

Die Rezension enthält Spoiler.

Eine weniger mutlose Entscheidung hätten die „Walking Dead“-Macher nicht treffen können: Rick Grimes stirbt nicht, sondern er verabschiedet sich ins Ungewisse – aber nur, was die Serie betrifft. Dessen Darsteller Andrew Lincoln hat einfach derzeit keine Lust mehr auf Fernsehen, hält sich seine Rückkehr jedoch offen. Er will nun jedoch mit bis zu drei Rick-Kinofilmen die Leinwand erobern.

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Seine Freunde um Michonne und Daryl denken, dass Rick gestorben ist. Er sprengt die Brücke, auf der er und eine Horde Zombies stehen, in die Luft. Allerdings wird Rick durch die Explosion nicht nicht in tausend Körperteile zerlegt, sondern landet heil am Ufer des Flusses.

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Solch wundersames Überleben ist im Fernsehen üblich, es ist auch hier nicht das Problem. Das Problem ist, dass Rick nicht gestorben ist. Der Hauptdarsteller wird nun bis zum Ende von „The Walking Dead“ wie ein Schatten über der Serie liegen. Es wird immer Hoffnung geben, dass der beliebte Lincoln zumindest in Flashbacks zu sehen ist. Der zum Hauptdarsteller beförderte Norman Reedus (Daryl), keine sehr komplexe Figur, wird nicht in dessen Fußstapfen treten können. An die Stelle der seit einigen Folgen lauernden Erwartung – wie stirbt Rick, stirbt er überhaupt, sieht man ihn als Zombie? – tritt nun ein „wann kommt er wieder – und wie?“

Deshalb wird es auch nichts geben, was den Zuschauer weniger interessiert als die nun folgende, den Rest der Season beeinflussende Trauer von Freunden und Familie um ihren Anführer – denn der Zuschauer weiß eben im Gegensatz zu ihnen, dass Rick lebt.  Es wird noch sehr lästig werden, den weinenden und nun um die Führung innerhalb der Gruppe kämpfenden Leuten zuzusehen. Es ist fast immer ein erzählerischer Fehler, wenn das Publikum bis zum Ende der Geschichte mehr weiß als die Charaktere.

Es sei denn, Jadis (Polyanna McIntosh) plaudert aus, dass sie Rick gerettet hat, ihn per Hubschrauber wegbringen ließ. Was auch keinen Sinn ergeben würde: Dann würden Daryl und Co sie solange foltern, bis sie seinen Aufenthaltsort verrät, und dann wäre Rick wieder zurück im Spiel. Also wird Jadis verheimlichen müssen, was sie getan hat.

Negan zu früh entzaubert

Auch mit Negan hatte es AMC anscheinend sehr eilig. Maggie begnadigt nach spontaner Einsicht den Mörder ihres Ehemannes Glenn. „Ich bin gekommen um Negan zu töten, aber Du bist bereits toter als tot“, sagt sie zum Inhaftierten. Dies ist als Plädoyer gegen die Todesstrafe gemeint. Unabhängig davon war die Idee, nur mit einem Schürhaken bewaffnet und durch ein geschlossenes Gitter Negan töten zu wollen, natürlich idiotisch. Das Gitter zu öffnen genauso idiotisch. Aber auch das ist hier nicht das Problem. Das Problem ist, dass Negans Zusammenbruch, seine Mitleid erregende Erbärmlichkeit, in den Comics nicht ohne Grund erst zu einem viel späteren Zeitpunkt geschildert wird.

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Da war Negan längst toleriertes, wenn auch scharf beäugtes Mitglied von Alexandria, baute mit und tötete auch Untote. Da seine Motivation nun bereits verraten ist – den Ex-Saviours-Chef plagt längst eine Todessehnsucht, er will umgebracht werden, er will zu seiner verstorbenen Ehefrau Lucille in den Himmel –, erübrigt sich auch die Frage, ob er dennoch nicht zur Gefahr für die Gruppe werden könnte. Nein, wie denn auch. Nun bleibt Negan einfach der arme Hund.

Schlecht für Maggie: Da Rick unerwartet überlebt, dürfte diese Fügung für Lauren Cohans Figur ausgeschlossen sein – nochmal den gleichen Trick werden die AMC-Leute nicht bringen, sie einfach räumlich entfernen. Maggie wird also sterben.

Flashbacks mit Shane und Hershel

Die Klasse der Staffeln eins und zwei demonstrieren die Gastauftritte jener zwei Schauspieler, die damals schon größte Aufmerksamkeit auf sich zogen. Shane (Jon Bernthal) und Hershel (Scott Wilson) kehren in Ricks Visionen zurück. Beide erhalten gute Szenen. Hershels Farm war bis heute einer der besten Schauplätze der Serie; und allein den Mann oben auf dem Heuboden zu sehen, in inniger Umarmung mit Rick, macht einiges gut.

Und Jon Bernthal demonstriert, warum sein Shane der größte Antagonist war, dem Rick sich entgegenstellen musste. Er ist einfach lebensnah und mit ihm auf Augenhöhe. „Du siehst scheiße aus“, so begrüßt er den Freund. Dann bringt er, längst überfällig, in Erinnerung, dass Judith nicht Ricks, sondern seine eigene Tochter sein dürfte, wenn auch mit dezenter Wortwahl: „One could argue it is my girl …“. „Sie hat aber nicht Deine Nase“, entgegnet Rick. Am Ende fordert Shane ihn auf, seiner Wut freien Lauf zu lassen. Es wird dieser Traum sein, die Wucht von Shanes Worten, die Rick aufwachen lassen wird – und ihm das Leben rettet. Das ist die Pointe: Der von Rick ermordete Freund rettet ihm selbst das Leben. Lincoln und Bernthal haben einfach eine gemeinsame Chemie, anders als Lincoln und etwa Jeffrey Dean Morgans Negan.

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Mit Traumsequenzen ist das immer so eine Sache, denn Fantasien beflügeln auch diejenigen, die für Spezialeffekte zuständig sind. Darstellungen werden oft zu „Hinter dem Horizont“-Spielereien, und auch „The Walking Dead“ ist davor nicht gefeit. Eine besonders seichte Sequenz zeigt Rick inmitten einer Ebene voller toter Menschen in schöner Jenseits-Landschaft, darunter alle seiner Freunde als Leichen. Sogar Tyreese-Schauspieler Chad L. Coleman ist als Toter zu sehen, der Arme darf bei seinem Kurzcomeback jedoch nicht mal was sagen, sondern nur herumliegen – anders als Sasha (Sonequa Martin Green), die, umgeben von sanften Braun- und Gelbtönen, wie in einem Werbevideo für Scientology auftritt und die „Walking Dead“-Phrasenmaschine anschmeißt, von den Werten der Gemeinschaft erzählt.

Es sind immer dieselben Satzbausteine, immer derselbe Motivationstalk. „We change, we help each other“, „we make each other better and it never ends“, „we do what we have to do“, „it’s never the end of everything, we don’t die“.

Rick muss weinen.

Die Szene ist auch deshalb so bedauerlich, weil ihr eine der bildstärksten vorangegangen ist, eine, die Zuschauer seit der Pilot-Episode nicht in Ruhe ließ: Rick im Krankenhaus und sein erster Kontakt mit der Welt der Zombies: „Don’t Open, Dead Inside“ stand als Graffiti auf einer verriegelten Doppeltür im Hospital. Der Cop, aus einem Koma erwacht, wusste da noch nicht, was das zu bedeuten hat. Diesmal ist das „Don’t“ durchgestrichen, und auf der Tür steht nicht „Dead inside“, sondern „outside“.

Im Himmel ist’s am Schönsten.

AMC
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