Leiden wie ein Tamagotchi

Zu Mouse On Mars fällt jedem etwas ein. Und allen etwas anderes. Da sie schon immer gerne an Rechnern rumgetüftelt haben, ohne auf die Gitarre zu verzichten, feiert sie jetzt mancher als Vorreiter des großen Schulterschlusses von Indie-Rock und elektronischer Musik. Andere Leute machen in ihnen die Kinder des Krautrock aus – schon weil sie symbolträchtig aus Köln und Düsseldorf stammen. Dritte wiederum sehen sie ganz einfach als drolligste Erfindung, seitdem es künstliche Intelligenz gibt. Tamagotchis einmal ausgenommen.

All dieses könnte man für wahr halten, sieht man Jan St. Werner und Andi Toma da sitzen, wie sie in einem Berliner Cafe milde in die Sonne blinzeln. Natürlich wissen sie, daß sie nun an einem Punkt stehen, zu dem Plattenfirmen ihre Künstler in den Waschzetteln gerne hinschreiben. Und über jene Gitarrenbands, die sich dem Diktat der Zeit beugen und eine Blechbüchse mit in den Proberaum schleppen, lächeln beide freundlich. Überhaupt sehen beide so lieb aus, daß ihnen während des Interviews fremde Kinder auf den Schoß klettern wollen.

, Aber natürlich leidet man auch“, sagt Jan St. Werner, der das Musikgeschäft mit ironischem Abstand betrachtet, deshalb seine Ernsthaftigkeit aber nicht abgelegt hat. „Viele glauben ja, unsere Musik sei eine kühle und konstruierte Angelegenheit. Aber es kommt alles vom Herzen. Es ist eine Sache des Suchens. Wir feilen unglaublich lange an einem Sound, bevor er uns gefällt. So etwas ist mit einem hohen Maß an Leiden verbunden. Dieses Bild des Niedlichen, das einige Leute immer wieder von uns zu zeichnen versuchen, ist vollkommen falsch.“

Mouse On Mars wissen, daß sich freundliche Attribute ins Gegenteil verkehren können, wenn es einen aus der Obskuritätenecke auf die Titelseite verschlägt. Als alles begann, war das Duo ziemlich allein. „Wir wollten nie eine Elektroband sein, die für ein paar Anhänger experimenteuer Musik arbeitet“, erinnert sich St. Werner. Deshalb gingen sie 1993 zu dem englischen Label Too Pure, das damals noch eine Nische besetzt hielt, in der die Koordinaten Rhythmus und Song keine Gegensätze darstellten, und in der sowieso alles möglich war. So kam es, daß St. Werner und Toma gelegentlich mit einer so sonderbaren Band wie Pram kooperierten, die auf diesen recht befremdlichen Instrumenten spielt, die man in den Therapie-Räumen von Psychiatern findet, verbeulte Trompeten zum Beispiel oder auch Glockenspiele.

Musik ist für Mouse On Mars das klingt vielleicht ein bißchen altmodisch – die Dokumentation eines Prozesses. Daß die beiden erstmal nicht wissen, wie sie dahin kommen, wo sie hin wollen, wird auf der Habenseite verbucht. Elektronik bedeutet für die beiden ein schier unerschöpfliches Reservoir an Manipulationsmöglichkeiten, und dazu hat bis heute noch keiner ein Lehrbuch verfaßt Eingespielte Autodidakten sind Mouse On Mars, und sie hätten gegen den Begriff des Dilettanten ebenfalls nichts einzuwenden, wäre der nicht so ungünstig besetzt.

St. Werner: „Ein bißchen Idiot sein, find ich gut.“ Toma: „Man freut sich, wenn etwas gelingt, und wenn diese Freude nicht mehr da ist, kannst du einpacken.“ St. Werner: „Vom Profi zum Zyniker ist es nur ein kleiner Schritt.“ Toma: Ja, Probleme sind eine gute Sache.“

^Autoditacker“ haben sie folgerichtig ihr drittes Album betitelt. Und die Chancen, daß es in die Charts einsteigt, stehen gut. Mouse On Mars spielen Pop, verzichten dabei aber auf sämtliche gängige Pop-Assoziationen. Wodurch sie den beneidenswerten Zustand erreichen, daß sie sich nur noch an sich selber zu messen haben. Die Titel der Stücke beschreiben abstrakte Vorgänge, doch der Beat ist mit warmen Koloraturen versetzt. Im Stil von Dub-Artisten verschleppen und verschieben Mouse On Mars die Harmoniefragmente, und bei einer günstigen Schichtung schält sich auf einmal eine wunderbare Melodie heraus.

Verweise auf diese Technik finden sich im Pop überall, wo mit Überfluß an Sounds gearbeitet wird. Interessanterweise ist der viellagige Gitarren-Noise von My Bloody Valentine der Musik von Mouse On Mars näher als das Computer-Blubbern von The Orb.

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