Light In The Attic – Licht im Popkultur-Keller

SELTEN GAB ES SO VIELE begeisterte Reaktionen auf eine Heft-CD des ROLLING STONE wie im vergangenen Monat auf „Lost & Found“, die Compilation des Entdecker-Labels Light In The Attic. Qualität zahlt sich eben doch früher oder später aus.

Im Fall von Light In The Attic Records eher später. Das Label aus Seattle holt seit Jahren alte Aufnahmen aus den Archiven der Popgeschichte, entstaubt sie und legt sie in edlen Editionen neu auf. Manchmal sind es Meisterwerke wie Jim Sullivans „U.F.O.“ oder Karen Daltons „In My Own Time“, die lange Zeit vergriffen waren. Manchmal auch Klassiker von Serge Gainsbourg oder Lee Hazlewood. Viel häufiger jedoch sind es Entdeckungen, die selbst Kenner in Entzücken ausbrechen lassen, wie etwa „Dreamin‘ Wild“ der Brüder Donnie und Joe Emerson, die Ende der Siebziger im zarten Jugendalter eine einzige fiebrige Platte mit Papas finanzieller Hilfe aufnahmen, um danach auf Nimmerwiedersehen von der Bildfläche der US-Rockmusik zu verschwinden. Oder Ray Stinnett, der 1971 mit „A Fire Somewhere“ ein wunderbares Singer/Songwriter-Album zwischen Southern-Boogie und Folkrock schuf, das dann nie erschien. Bis jemand bei Light In The Attic darauf stieß. Die Reihe dieser Zufälle scheint endlos und die Geschichten dahinter so reich an Tragik und Missverständnissen, dass sie hier unmöglich alle erzählt werden können.

Deshalb beschränken wir uns auf die des Mannes, der schon früh den Traum hatte, nach ebenjener Musik zu forschen, die in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt wurde. Sein Name: Matt Sullivan. Er ist Mitbegründer und Mitbesitzer von Light In The Attic. Bereits in der Highschool versuchte er sich als musical director bei einigen lokalen Radiosendern in Seattle, absolvierte Mitte der Neunziger Praktika bei den Plattenfirmen SubPop und Loosegroove und arbeitete später beim spanischen Punkund Indie-Label Munster Records in Madrid. „Die Leute dort stellten mir Bands vor, von denen ich noch nie gehört hatte, Bands wie The Monks oder The Small Faces“, erinnert sich Sullivan. Die Erfahrung führte zur Gründung seines eigenen, auf Reissues spezialisierten Labels. 2001 war das, im Jahr darauf erschien die erste Veröffentlichung auf Light In The Attic. Und Sullivan blieb seinem archäologischen Vorhaben treu. Mit den New Yorker Hip-Hop-Wegbereitern The Last Poets fing es an. Es folgten Wiederveröffentlichungen von den Barock-Poppern The Free Design und der Soul-Funk-Diva Betty Davis. Heute kennt der Firmenkatalog nicht mal mehr Ländergrenzen und umfasst Schätze vom koreanischen Gitarrenvirtuosen Shin Joong Hyun über das brasilianische Multitalent Marcos Valle bis hin zum amerikanischen Songwriter Sixto Diaz Rodriguez, dessen mythenumranktes Leben im Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Searching For Sugar Man“ verewigt wurde.

„Ich liebe es, die Geschichte eines Künstlers und seiner Musik zum Leben zu erwecken. Besonders, wenn jemand in der Vergangenheit total gescheitert ist. Es ist wichtig, neue Wege zu finden, um junge Leute mit diesen Aufnahmen vertraut zu machen, die sonst höchstens gehört werden, wenn sie von irgendeinem HipHopper wie Jay-Z gesampelt werden“, erklärt Sullivan. Das sind Worte, die aus dem Mund eines Label-Chefs, auch wenn es sich bei Light In The Attic um eine kleine Independent-Marke handelt, eher ungewöhnlich klingen. Sullivan setzt andere Prioritäten als das Gros der Branche. Es steckt viel Herzblut in seiner Arbeit. Statt umsatzorientiert in „Produkten“ zu denken, hat er sich ein großes Netzwerk von Freunden, Sammlern, Journalisten und Plattenladenbesitzern aufgebaut, die regelmäßig mit Geheimtipps ankommen, die es verdienen, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu werden. Statt aggressivem Marketing verschreibt sich Light In The Attic einem sensiblen Remastering der Original-Bänder und dem liebevollen Gestalten von Booklets und Biografien.

Doch vor all dem steht meist ein langwieriger Lizenzierungsprozess. Rechte müssen erworben werden. Verhandlungen mit einem Major-Label können schon mal bis zu sechs Jahre dauern. Bei den frühen Demos von Kris Kristofferson sei das beispielsweise der Fall gewesen. Aber Sullivan weiß, welche Eigenschaft er und seine Labelkollegen brauchen, um alles korrekt abzuwickeln:“Wir müssen geduldige Menschen sein.“ Vielleicht sind sie es, weil viele ihrer Künstler noch wesentlich länger warten mussten auf eine späte Würdigung: „Am Anfang vertrauen sie uns nicht, und es gibt auch wirklich keinen Grund dafür. Die meisten von ihnen haben gelernt, was es heißt, abgezockt zu werden“, sagt Sullivan. Das würde sich jedoch ändern, sobald ein Album veröffentlicht ist und Feedback aus aller Welt kommt: „Dann merken sie, dass wir gute Absichten haben.“

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