Loyle Carner: „Ich hoffe, meine Musik kann wie ein Freund sein“
Loyle Carner im großen ROLLING-STONE-Interview über sein neues Album „hopefully !“

Mit „hopefully !“ öffnet Loyle Carner das bisher persönlichste Kapitel seiner musikalischen Laufbahn. Er singt statt nur zu rappen, experimentiert mit neuen Stilen, teilt Ängste ebenso wie Glücksgefühle und findet Inspiration auch im Familienleben.
Mit Lucie Engert und Swantje Flinder sprach Carner über Wachstum, Männlichkeit und das Vatersein.
Dein neues Album „hopefully !“ erscheint am 20. Juni und du bis auf Tour Tour – es passiert gerade eine Menge. Wie fühlst du dich dabei? Bist du überwältigt?
Ja, irgendwie schon. Ich habe mich ein bisschen vor der Verantwortung gedrückt, um ehrlich zu sein. Ich bin erst vor ein paar Tagen zurückgekommen und mir wurde wieder klar: Oh Mist, da passiert echt viel gerade. Es ist beängstigend, aber auch aufregend. Sehr aufregend.
Das neue Album hat eine ganz andere Stimmung als dein letztes. Wie würdest du den Unterschied in deiner Musik beschreiben?
Ich glaube, ich fühle mich einfach wohler in meiner Haut. Ich bin entspannter darin, ich selbst zu sein und mit diesem Gefühl kommt irgendwie eine gewisse Leichtigkeit. Ja, es fühlt sich einfach leichter an. Ich fühle mich leichter, auf eine Art.
Und wie hat sich dein kreativer Prozess im Vergleich zu deinen vorherigen Alben verändert?
Ich spiele jetzt mit einer Band, was die Entscheidungsfindung eher zu einem gemeinsamen Prozess macht. Das ist für mich etwas Besonderes – und auch einfacher. Und mein Sohn war die ganze Zeit mit im Studio. Das hat alles viel spontaner und unmittelbarer gemacht. Er lebt total im Moment und das ist einfach ansteckend. Das hatte auf jeden Fall einen großen Einfluss.
Du singst jetzt mehr statt nur zu rappen. Wie fühlt es sich an, deine Stimme so offen zu zeigen?
Es ist verdammt beängstigend. Ich kann nicht lügen. Aber es ist auch schön, weil Verletzlichkeit bedeutet, dass man etwas Neues wagt. Und ich muss Neues machen, um geistig lebendig zu bleiben. Also ja, es musste sein. Aber es ist echt gruselig, Mann.
Wir haben gelesen, dass du auch viel mit deinem Sohn gesungen hast. Stimmt das?
Ja, absolut. Wir singen im Auto, zu Hause, beim Einschlafen. Singen ist ein großer Teil meines Lebens, nur nicht unbedingt etwas, bei dem ich mir selbst vertraue. Ich hab nicht drüber nachgedacht, dass ich die Songs später live auf Tour spielen muss. Jetzt muss ich wohl lernen, ein bisschen besser zu singen.
Du hast ja schon erwähnt, dass dein Familienleben deine Musik beeinflusst. Wie hat das Vatersein dies auch verändert?
Ich habe weniger Zeit, also versuche ich, mehr mit weniger Worten zu sagen. Früher konnte ich mir ewig Zeit nehmen, jetzt habe ich vielleicht 20 Minuten, um auszudrücken, was ich fühle. Das macht mich präziser, direkter. Und ich mag das eigentlich.
Wenn du zurückblickst – wie würdest du die Reise beschreiben, die dich zu diesem neuen Album geführt hat?
Ich würde nichts daran ändern. Klar, es gibt Dinge, auf die man zurückblickt und denkt: „Oh Mann, das hätte ich besser machen können“, aber am Ende bin ich echt glücklich mit allem, was ich gemacht habe. Es hat mich zu dem Punkt geführt, an dem ich jetzt bin. Ich habe mit der Zeit gelernt, wer ich bin und wie ich mich zeigen will. Ich habe noch einen langen Weg vor mir, aber ich lerne Stück für Stück.
Gab es Herausforderungen beim Entstehungsprozess von „hopefully !“?
Viele. Ich habe wirklich versucht, ich selbst zu sein, aber ich war ziemlich nervös, was das Singen angeht. Also habe ich viele Freunde gefragt, ob sie für mich singen wollen – Leute, die ich sehr schätze. Viele haben aber abgelehnt oder gar nicht geantwortet. Am Ende habe ich es dann selbst gemacht. Es war anfangs beängstigend, aber im Nachhinein echt cool. Ich sehe mich selbst nicht wirklich als Sänger.
Gibt es einen Song auf dem Album, der dir persönlich besonders viel bedeutet?
Ja, definitiv ein Song namens „lyin”. Ich habe ein Video dazu gemacht, das zeigt, wie ich meinen Sohn ins Bett bringe. Der Song handelt aber auch von der Angst, nicht zu wissen, ob dein Kind es schafft, also diese Unsicherheit während der Schwangerschaft. Es ist so viel Hoffnung und Freude, aber gleichzeitig auch Angst.
Das Album klingt auch experimenteller – mit Indie- und Alternative-Elementen. Gibt es Artists, die dich besonders inspiriert haben?
Elliot Smith war ein großer Einfluss. Ich habe ihn für dieses Album nochmal richtig entdeckt. Außerdem habe ich meinem Sohn viele meiner Lieblingsbands aus meiner Jugend gezeigt – Radiohead, Red Hot Chili Peppers, The Smiths. Viel britische Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Es war schön, all das nochmal zu hören.
Du sprichst in deiner Musik oft über Themen wie toxische Männlichkeit und mentale Gesundheit. Welche Rolle siehst du da für dich als Künstler?
Ich sehe Musik mehr und mehr als Möglichkeit für radikalen politischen Ausdruck. Nicht im Sinne von klaren Statements, sondern durch mein Dasein als jemand, der aussieht wie ich, sich aber bewusst von den erwarteten Stereotypen entfernt. Beim letzten Album habe ich gesehen, welchen emotionalen Einfluss es auf Männer und ihre Beziehungen hatte – zu ihren Vätern, zu ihren Familien. Und ja, da entsteht Verantwortung. Ich denke nicht ständig dran, aber ich versuche, ehrlich zu bleiben in dem, was ich tue.
Hast du einen Rat für junge Männer, wenn es um Emotionen und Verletzlichkeit geht?
Such dir einen älteren Mann, dem du vertraust. Jemanden, mit dem du ehrlich über Gefühle reden kannst. Denn je näher du dem kommst, wovor du Angst hast, desto kleiner wird es.
Was wünschst du dir für die Fans, die „hopefully !“ hören?
Ich wünsche mir, dass sie es hören, wenn sie es brauchen. Ich hoffe, meine Musik kann wie ein Freund für sie sein. Es soll sich nicht aufdrängen, sondern Teil ihres Lebens werden, wenn sie es wollen. Vielleicht hören sie es draußen mit Kopfhörern im Transparenzmodus, sodass sie die Vögel und Bäume trotzdem noch wahrnehmen können.
Du bist kürzlich wieder mit Jorja Smith aufgetreten. Wie war es, mit ihr zu performen?
Es war cool. Sie ist ein echter Superstar – wunderschön, unglaublich talentiert, eine clevere Sängerin und Songwriterin. Es ist manchmal hart für sie, weil so viele Erwartungen an sie gestellt werden. Aber es war schön, Teil dieser neuen Ära von ihr zu sein. Ich sehe sie nicht mehr so oft, deshalb war das echt besonders.
Wie ist es für dich, mit anderen Menschen an deiner Musik zu arbeiten?
Ja, es fühlt sich an wie Sicherheit. Die Zusammenarbeit mit anderen Menschen gibt einem das Gefühl, dass man nicht allein ist, denke ich. Das bedeutet mir wirklich viel.
Wenn du deinen Kindern eine Botschaft für in zehn Jahren mitgeben könntest, was würdest du sagen?
Ich weiß nicht, vielleicht sowas wie: „Sorry, dass ich so ein verrückter Vater bin.“ (Lacht) Keine Ahnung… Einfach: „Mach weiter. Du hast es immer noch in dir. Und wenn ich dann nicht mehr da bin, dann… geh einfach weiter. Du schaffst das. Es bringt nichts, zurückzuschauen. Einfach vorwärts gehen.“
Und gibt es irgendeine bestimmte Botschaft oder ein Gefühl, das du ihnen mit dem neuen Album mitgeben möchtest?
Ich würde sagen: Ich bin stolz. Ich bin wirklich stolz auf sie. Ich möchte nur, dass sie das wissen. Mehr eigentlich nicht. Das Album ist einfach ein Fest für sie und für meine Liebe zu ihnen.
Loyle Carner: 2025 Tour in Deutschland
Tickets für die hopefully !-Tour gibt es über die Website des Künstlers bzw. auf Live Nation ab 70 Euro.
- 15. Oktober 2025 (Mittwoch) — Berlin, UFO im Velodrom
- 16. Oktober 2025 (Donnerstag) — Hamburg, Sporthalle Hamburg
- 18. Oktober 2025 (Samstag) — München, Zenith München
- 21. Oktober 2025 (Dienstag) — Frankfurt, myticket Jahrhunderthalle
- 22. Oktober 2025 (Mittwoch) — Köln, Palladium Köln