Die meistüberschätzten Filme aller Zeiten: Der Himmel über Berlin

Mit wunderschön komponierten Bildern gibt sich „Der Himmel über Berlin“ als modernes Kinomärchen. In Wahrheit ist Wim Wenders Engelspanorama ein Edelkitsch, der seine narrative Leere hinter pseudophilosophischen Meditationen verbirgt.

Es gibt wohl kaum einen deutschen Film, der für die Schönheit seiner Bilder derart gerühmt worden ist wie „Der Himmel über Berlin“ (1987) von Wim Wenders. Man kann sich kaum satt sehen an der kunstvoll komponierten Kameraarbeit von Henri Alekan, der auch schon „Die Schöne und die Bestie“ (1946) von Jean Cocteau fotografierte.  Er war sicher genau der richtige Mann, um dieses „moderne Kinomärchen“ in Szene zu setzen. Und dieses Kinomärchen schreit eigentlich in jeder Szene danach Filmpoesie, Kabinettstück und Kunstkino zu sein. Eine Nummer kleiner ging es wohl auch nicht für den längst nach Amerika abgebogenen Filmemacher Wenders, der einst als Musterschüler des Neuen Deutschen Films galt.

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Am Drehbuch wirkte u.a. Peter Handke mit, was den zahlreichen Monologen in ihrer nicht selten überstrapazierten Literarisierung auch anzuhören ist. Vielleicht erklärt es auch die unerhörte Naivität, mit der Wenders die Geschichte der Engel Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander) inszenierte. Die beiden Himmelsgestalten atmen den im geteilten Berlin anscheinend von entsetzlicher Schwermut befallenen Menschen wieder Lebensmut ein – freilich ohne direkt mit ihnen in Kontakt treten zu können. Wie es die Gesetze der Leinwanddramaturgie und des sanft ins Spiel gebrachten mythischen Subtextes verlangen, verliebt sich der Gottesbote in eine Trapezkünstlerin und beschließt, seine Unsterblichkeit zugunsten seiner Angebeteten aufzugeben.

Über die Liebe weiß der Film auch nicht mehr als ein Fotoroman zu erzählen

Natürlich ist das auch ein Hollywood-Stoff, weswegen die Traumfabrik nicht darauf verzichten konnte, den Himmel über Berlin später gegen den Himmel über Los Angeles auszutauschen („Stadt der Engel“, 1998, noch bevor Meg Ryan in der Versenkung verschwand und Nicolas Cage zur Trash-Ikone degenerierte). Aber vor allem ist es eine Erzählung, die ohne Kitsch und albernes Geschwätz nicht zu haben ist. Diese ‚Love Story’ gibt sich intellektuell, bedient sich aber trotz allem kanonisierter Mittel der Seifenoper und verleiht ihnen mittels herbeizitierten Gedichten und dem Sprung in die Gedankenwelt der Protagonisten einen hellsichtigen Anstrich. Über Liebe erfahren wir eigentlich nicht mehr als in einem Fotoroman, außer die Erkenntnis, dass Nick Cave immer schon den passenden Soundtrack zu den großen Leib- und Seelentragödien geschrieben hat.

Mehr als zwei Stunden lang schwebt die Kamera wie schwindlig geworden um die Protagonisten herum, verfestigen raffinierte Ton-Collagen den Kunstkinocharakter des verhobenen Dramas, das dem Zuschauer eine Reflexion über Vergänglichkeit, Sehnsucht und Melancholie vorgaukelt und dabei zu keinem Ergebnis kommt, das über den Augenschmaus der flirrenden Schwarz-Weiß-Kompositionen hinausginge.

Peter Falk darf Peter Falk spielen. Natürlich „mit einem Augenzwinkern“. Eine metareflexive Volte, die den Fluss der ansonsten hochartifiziellen Handlung merkwürdig stört. Vielleicht ist es vielen Kinozuschauern auch entgangen, weil sie den Schauspieler zu der Zeit eh mit Columbo gleichsetzten und sich wunderten, warum er nicht mit seinem ikonischen Namen angesprochen wurde.

„Der Himmel über Berlin“ ist unpolitisches und infantiles Kino

Und was lernt der Zuschauer über Berlin, diese von der Geschichte so sehr zerfurchte Stadt am Rande des Universums? Gar nichts. Nicht einmal die Mauer ist echt, sie musste nachgebaut werden, weil es verboten war, sie zu filmen. Da hatte Andrzej Zulawski, der polnische Sonderling unter den osteuropäischen Filmvirtuosen, mit seiner Psycho-Orgie „Possession“ (1981) einen subtileren Kommentar zur Lage dieser Stadt im Ausnahmezustand vorgelegt. Statt bramarbasierenden Engelsgeschöpfen gab es hier eine irr gewordene Isabelle Adjani zu bestaunen, die es, kein Witz, mit einem Oktopus trieb.

Der wegen seines außergewöhnlichen Verständnisses für Kunst sicherlich nicht berühmt gewordenen Rudolf Scharping urteilte einst, dass die Geschichte von „Himmel über Berlin“ als „Parabel auf Durchlässigkeit von Mauern und Grenzen“ tauge. Das Gegenteil ist der Fall: Dieses Leinwandgemälde, dessen Äquivalent die realistisch, aber zugleich hyperkitschig gemalten Putten von William-Adolphe Bougereau sind, ist durch und durch unpolitisch und in seiner Vorstellung von Liebe und Lust wie abgeschlossen geraten. Mag der ästhetische Zuckerguss auch seine Wirkung nicht verfehlen, die Aussage dieses „melancholy blues“ bleibt infantil – und will es auch sein. Jean Cocteau hätte den Film wohl kaum gemocht.

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Natürlich gewann „Der Himmel über Berlin“ vom Deutschen Filmpreis über den Europäischen Filmpreis bis hin zur Auszeichnung für die beste Regie auf dem Filmfestival in Cannes derartig viele Goldstatuen, dass sich schon zu seiner Zeit fast verbot, auszusprechen, was doch eigentlich für das cineastisch geschulte Auge sichtbar war: Dieses nach „Paris, Texas“ (1984) mit Symbolen der europäischen Kunst- und Filmgeschichte und Bibelzitaten vollgestopfte kinematographische Traumgewebe ist das Produkt eines Romantikers, der anstatt eine Geschichte zu erzählen (die ja ein Ende hätte, ein Erwachen aus dem Traum) lieber ziellos über philosophische Probleme im „Reader’s Digest“-Format meditiert, um die narrative Leere seiner Story zu verbergen.

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