Metal in Heimarbeit

Den Stuttgarter Farmer Boys wurde der Heavy-Sound praktisch in die Wiege gelegt, aber so ganz fühlen sie sich dem Genre doch nicht zugehörig. Schließlich kommen noch diverse Einflüsse hinzu

Dem Deutschen wird der Metal ja eigentlich schon in die Wiege gelegt. Das ist kein dummer Witz, sondern das knallharte Ergebnis empirischer Studien praxisnaher Forscher aus dem Schwabenland. „Hier“, und damit ist die ganze Republik gemeint, „bekommst du bereits als Kind Lieder wie ,Der Mond ist aufgegangen‘ von Omas und Tanten vorgesungen“ , führt Alex Schlopp aus, „während das US-Baby von Gospels in den Schlaf begleitet wird. Und selbst wenn es ein Country-Song ist, hat der doch immer noch hundertmal mehr Groove als unsere Wiegenlieder.“

Außerdem könne er sich wohl kaum als einziger Teutone daran erinnern, aus der Kinderkarre die Geburtshäuser bedeutender VIPs des frühen Mittelalters erblickt zu haben. Wieder ein Vorsprung gegenüber den amerikanischen Altersgenossen, „denn dort sind höchstens ein paar Bäume so alt. Wenn man Glück hat, kann man gerade noch das Haus sehen, in dem Opa mal gewohnt hat“ Auch die Erzählungen nach der Entwöhnung von der Mutterbrust sind, so haben die Forscher herausgefunden, in Deutschland „oder eigentlich in ganz Europa“, wie Schlopps Kollege Matthias Sayer meint, „mit denen jenseits des Atlantik gar nicht zu vergleichen“. Er selbst habe noch die Geschichten seiner Mutter von den furchtbaren Bombennächten im Ohr, „das US-Kid muss vielleicht mit netten Stories von den ersten TV-Shows mit Louis Armstrong und Frank Sinatra fertig werden“. Was der kindlichen Seele zweifellos leichter fallen wird. „Unsere ganze Historie“, sagt Schlopp, „ist von vorne bis hinten eine ziemlich schwarze.“ Und eben deshalb, womit wir endlich das staunenswerte Resultat der Ausführungen vor uns wähnen, „klingt auch unsere Musik ein bisschen anders.“ So wie Metal eben. So wie die Songs der Farmer Boys, zum Beispiel. Hier erfüllen Schlopp und Sayer leitende Funktionen. Der eine, Gitarrist und von imposanter Gestalt, steht fürs „Heavy“, welches die Farmer Boys ebenso bewusst für sich selbst nicht in Anspruch nehmen, wie sie mit ihrem Bandnamen genüsslich Verwirrung stiften. Der andere, Sänger und Schöngeist der Gruppe, sorgt mit seiner Liebe zu manchen Klängen aus dem Feindeslager der Zunft dafür, dass die Farmer Boys nicht wie die x-te Neuauflage der langsam verblassenden alten Heroen klingen. Dass das Quintett komplettiert durch Dennis Hummel an den Keyboards, den Bassisten Toni Leva und Till Hartmann am Schlagzeug – ausgerechnet der Ländle-Metropole Stuttgart entstammt, hat schon manchmal, soll hier aber nicht für Witzchen sorgen dürfen. Denn derer sind genug gerissen worden über das einst so stolze Lager der Schwermetaller. Wer etwa heute noch mit dem Aufdruck „Hard Rock is the best, fuck the rest“ auf der Front seines Muskelshirts erwischt wird, riskiert ähnliche Blicke wie ein fein betuchter Banker, dem in der Mittagspause auf dem Marktplatz drei Tauben erst ins Bier, dann in die Suppe und schließlich auf den Scheitel gekackt haben. „Dabei ist diese Musik alles andere als tot“, verteidigt Sayer mutig und leidenschaftlich seine Passionen „Wo man früher nach Donington oder zum Monsters of Rock pilgern musste, um Metal im großen Rahmen zu hören, finden inzwischen fast jedes Sommerwochenende riesige Festivals statt.“

Warum der Eindruck falsch ist, Metal sei zur sterbenden Kultur und seine Anhänger zur raren Spezies geworden, wissen dann wieder eher die Soziologen Schlopp & Sayer zu erklären. Und auch hierfür werden die so prägenden Jahre der Kindheit und Jugend zum Beleg herangezogen. „Früher war noch Rebellion“, sagt Sayer erst mal. „Ich bin noch mit dem Bad Religion-T-Shirt aus dem Versandkatalog von Bullshirt an einem Tag pro Woche in die Schule gegangen“, führt Schlopp die Biografie einer Revoluzzer-Jugend weiter, „nämlich immer dann, wenn wir Religionsunterricht hatten“. Das könne man zwar heute auch noch tun, „aber dann sagt doch der Pauker wahrscheinlich ,Oh, geil, von denen hab ich auch ’ne Scheibe‘.“ Und weil eben mit Killernieten auf der Lederjacke kein Rentner in der Ladenpassage mehr zu erschrecken ist, sieht man die harten Jungs kaum noch auf der Straße. „Wir fragen uns ja bei jedem Konzert“, gibt Alex Schlopp zu, „wo die plötzlich alle herkommen.“

Was aber kein Phänomen sei, das nur in der Metal-Szene existiere., „Die Biker und Grufties haben ja auch inzwischen alle Krawatten-Berufe“, meint Matthias Sayer, „und schmeißen sich nur zum Konzert am Wochenende in die alte Kluft. Sogar beim Depeche Mode-Gig dachte ich neulich, da wären ein paar tausend Waver aus der Mottenkiste gesprungen.“ Es gäbe halt keinen Grund mehr, sich immer und überall zum Underground auch optisch zu bekennen, „wenn es doch gar keinen Underground mehr gibt. Seit die Charts nicht mehr von Leuten getippt werden, die gar nichts von Metal wissen, kommt jede Single von Running Wild in die Hitparaden, und das nimmt der Musik ihren guten schmutzigen Ruf.“

Wir möchten jetzt aber doch gern von der Kultur zur Bandgeschichte kommen und nehmen Sayers Geständnis, erst kürzlich einen Abend mit Depeche Mode verbracht zu haben, als willkommenen Anlass, noch einmal genauer über die gar nicht heimlichen Obsessionen des Frontmannes zu sprechen. Zumal der 26-Jährige mehr als bloß dieser einen frönt und mit ihnen noch dazu gern die Erklärung liefert, warum die Band sich als ein Unikat auf dem Markt begreift. „Es gibt zwar eine ziemlich große Schnittmenge unserer Vorlieben“, sagt Sayer, „aber interessant wird unsere Musik erst durch das, was uns unterscheidet.“ Dann outet sich Alex Schlopp als Fan von Motörhead, und der Kollege spannt den Bogen überraschend weit. „Ich mag neben den erwähnten Depeche Mode auch die Sounds von Giorgio Moroder, Michael Crem und Jan Hammer. Und ich liebe die Romantiker der Klassik, Leute wie Bruckner und Grieg.“

Was dazu fuhrt, dass die zwei Köpfe der Farmer Boys, Alex an der Gitarre, Matthias gerne am Klavier, ihre Songideen meist erst alleine ausarbeiten und dann „den oft turbulenten Diskussionen mit den anderen aussetzen“. Eine Session-Band „wie die Red Hot Chili Peppers„, lacht Sayer, “ bei denen ich mir immer vorstelle, dass sie sich zwei Stunden im Studio den Arsch abspielen und dann mit einem neuen Song aus der Tür treten, so eine Band sind wir nicht.“ Die Songs der Farmer Boys, bestätigt auch Alex Schlopp, „entstehen eher in Heimarbeit. Die Ergebnisse sind dann manchmal recht gedankenschwer, aber das hilft, die anderen zu provozieren. Und nur so entsteht der Sound, den wir uns wünschen.“

Der wiederum zwar beinahe jedes Metal-Klischee erfüllt, doch nur selten dem Hörer schon bekannt vorkommt. „Genau das ist unser erklärtes Ziel“, freut sich Schlopp, „auch wenn es verdammt schwer ist, so wie Metallica wie ein Original zu klingen, obwohl man ja bekannte Versatzstücke benutzt.“ Zum Beispiel die dem Genre keineswegs nur angedichtete Liebe zum Pathos. „Natürlich machen wir zum Teil sogar extrem pathetische Musik“, gesteht Sayer, „aber wir nehmen uns halt nicht allzu ernst dabei“ Das sei so wie bei seinen favorisierten Filmemachern. Weil er Streifen wie „Schlaflos in Seatde“ nun mal hasse und sich „lieber die Filme mit Harvey Keitel und solchen Leuten“ anguckt, versuche er schon länger, deren Humor in Musik zu übertragen. „Da gibt es etwa ,Das Begräbnis‘ mit Christopher Walken, dessen Sohn erschossen wurde. Und dann stehen alle diese Mafia-Paten in der Spaghettiküche und putzen ihre Waffen für den Rachefeldzug. Eine Gothic-Band hätte da jetzt bestimmt extrem tiefe Stimmen eingesetzt und das Ganze höllisch ernst genommen.“ Nicht so die Farmer Boys. Aber die haben ihre erste Platte ja auch schon „Countrified“, die zweite „Till The Cows Come Home“ getauft – und posieren jetzt auf dem Cover des dritten Albums „The World Is Ours“ in Raumanzügen vor den feinen Gästen eines noblen Cocktail-Empfangs.

Ein bisschen Spaß muss sein. Man komme ja nun mal „aus Deutschland und kann dann nicht, wie viele das versucht haben, vom Leben in den Slums singen. Die gibt’s hier eben nicht, und wir sind auch nie von unseren Vätern in den Arsch gefickt worden.“ Recht drastisch, der Herr Schlopp. „Na ja, wir sind ja auch noch immer beim Metal hier. Der bewegt sich nun einmal gern am Abgrund.“

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