Michael Stipe

"The End Of The World As We Know It" besangen R.E.M. zwar schon vor Jahren, doch so ganz hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

mAbend nach George W. Bushs Wiederwahl 2004 traten R.E.M. in Neu‘ Yorl{auf-und begannen mit „h’s The End OfThe World As We Knotv It (And I Feel Fine)“. Was lässt dich drei Jahre später sagen: „I feel fine“?

Keiner von uns wollte diese Show damals spielen. Wir waren ja davon ausgegangen, es würde eine Siegesfeier (R.E.M. hatten Bushs Gegner John Kerry bei der ,yote For Change“Tour unterstützt). Es wurde das exakte Gegenteil. Mir war nicht danach, Leute zu unterhalten. Ich wollte einen trockenen Martini und in mein Glas heulen. Also fingen wir eben mit diesem Song an — und es funktionierte. Was mir heute ein gutes Gefühl gibt? Ich glaube an dieses Land. Es ist, wie William Burroughs sagte, eines der großen Menschheitsexperimente. Wir sind vielleicht kein Land, das sich sauber längs der Mitte teilen lässt. Und vielleicht sind wir reichlich konservativ. Aber die Ideale, für die wir überall auf der Welt stehen, die sind wieder erreichbar. Wir repräsentieren etwas Kraftvolles, etwas, das die Hoffnungen und die Träume der Menschen anspricht. Als Amerikaner hab ich das noch nicht aufgegeben.

Der Mttsi^ verdankst du ein gutes Leben. Ist sie dir auch immernoch ein Rettungsanker, ein Aus weg au» Einsamkeit 101 ci Problemen, so wie ganz am Anfang, als du bei R.E.M. angefangen hast?

Als ich 15 war und mir Platten von den Ramones und Patti Smith kaufte, oder das erste Television-Album gleich am Tag, als es rauskam – da war ich sehr allein. Ich hatte sogar Angst, diese Platten irgend jemandem vorzuspielen, weil ich dachte, das versteht eh keiner. So viel gab mir die Musik. Dass ich für das, was ich tue, sehr gut bezahlt ¿werde, rangiert unter ferner liefen. Wir haben mit dieser Sache nicht angefangen, um Karriere zu machen. Wir wussten einfach nur, dass wir das machen wollten. Und wenn uns die Lust mal ausgehen sollte, würden wir eben wieder aufhören.

Worin liegt heute die Herausforderung? Die große Herausforderung ist das Schreiben. Auftreten ist leicht. Also – nicht gerade leicht für den Körper, doch es fällt mir nicht schwer. Aber ich erkenne einen großen Song, wenn ich einen höre, und die Herausforderung ist, so einen zu schreiben. Hat bei R.E.M. oft genug nicht hingehauen flacht), aber das Bemühen ist da. Am schlimmsten fand ich immer die Vorstellung, mittelmäßigzu werden. Nichts mehr zu sagen zu haben, sich zu wiederholen. Was das betrifft, haben wir nun wirklich einen guten Job abgeliefert.

Bedeutet Musik den jungen Leuten heute noch genauso viel wie damals, als du 15 warst?

Ganz bestimmt nicht. Es gab damals nicht die vielen Ablenkungen, die wir 2007 haben: PlayStation, Kabelfernsehen, das Internet, Blogs, DVDs. Musik hört man nebenbei, während man andere Dinge tut- E-Mails beantwortet oder durchs Internet surft und nachguckt, wer diese Woche in welchem Club abgestürzt ist.

Was ist denn positiv an diesem Wandel, an diesen grenzenlosen Ablenkungen?

Gegenfrage: Was daran ist nicht gut? Die Technologie eliminiert den Mittelsmann. Sie eliminiert das Mediensystem — eure Zeitschrift eingeschlossen—, das eingerichtet wurde, um zu berichten, was auf der Welt passiert. Facebook ist faszinierend, diese abstrakte Gemeinschaft von Leuten, die über die ganze Welt verstreut sind, aber etwas gemeinsam haben. Sie debattieren über Bands wie GrizzlyBear und Akron/Family und sagen: „Wow, wenn dir das gefällt, dann musst du unbedingt mal The National hören.“ Die Plattenfirmen in den Sixties hatten keine Ahnung, was läuft, also nahmen sie jeden unter Vertrag, der hip aussah und einen klingenden Namen hatte. Da musste man sich durch jede Menge Mist wühlen. Weshalb man auf Leute hörte, denen man vertraute, Autoren wie Lenny Kaye oder Lester Bangs, die einem sagten: „Das hier ist großartig, da müsst ihr ein Auge drauf haben.“ Jetzt posten die Leute selbst, und man sucht sich in so einer abstrakten Community diejenigen, denen man vertraut, wenn sie sagen: „Hier sind fünf Platten, die man gehört haben muss“ oder „Diese Ausstellung muss man gesehen haben“. Mist gibt es trotzdem noch reichlich. Allerdings mit Schichten darin, die mich faszinieren. Schlechte Amateur-Selbstporträts – manche sind umwerfend. Es hat schon was, wenn jeder Norm alo seine Urlaubsfotos online stellen kann.

Gab es Dinge in deinem Leben mit R.E.M., bei denen du heute denkst: Das hätte ich anders machen sollen?

Ein Freund war mit einer Filmcrew im Mittleren Westen unterwegs und schrieb mir eine SMS, er sitze gerade bei der ältesten Frau der Vereinigten Staaten. Ich schrieb zurück: „Hol dir ein paar Tipps.“ Was sie ihm sagte, war: „Mach dir nie Sorgen.“ Ich wünschte, ich hätte in meinen 20ern und 30ern das Selbstvertrauen gehabt, das ich heute zu haben vorgebe. Was mein Können, meinen Intellekt und meinen Humor betrifft, bin ich heute noch genauso unsicher wie immer schon.

In jüngeren R.E.M.’Songs wie „Final Straw“ und „I’m Gonna DJ“ hast du über den Stand der Dinge in den USA geschrieben. Die nächste Präsidentschaft steht bevor. Was lässt dich hoffen?

Das kann ich nicht beantworten. Hinweise sind immer willkommen (lacht). Ein winziges Beispiel: Ich sehe derzeit die dritte oder vierte Umweltbewegung in meiner Lebenszeit. Vielleicht setzt sie sich diesmal durch.

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