Miike Snow: „Pop muss mit der Zeit gehen“

Das schwedisch-amerikanische Trio Miike Snow lässt seiner Liebe zu Prince und den Bee Gees freien Lauf.

„Es gibt zwei Arten von Popsongs“, behauptet Andrew Wyatt. „Ein schlechter versucht deine Gefühle zu manipulieren, ein guter versucht sie zu verstehen.“ Der vollbärtige Sänger von Miike Snow sieht nicht aus wie jemand, dem überhaupt was an Pop­musik liegen könnte. Die langen Haare hängen strähnig über die Schultern einer speckigen Lederjacke, auf seinen Stoffhosen knäulen sich Fussel zu kleinen Hainen zusammen.
„Unser Ziel war es von Anfang an, Hits zu schreiben“, sagt er, während er bedächtig einen Zahnstocher von einem Mundwinkel in den an­deren schiebt.

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2007 gründete Wyatt zusammen mit Christian Karlsson und Pontus Winnberg die Band, die sie in Ermangelung eines besseren Einfalls nach einem Freund benannten. Wyatts schwedische Bandkollegen hatten da bereits als Produzentenduo Blood­shy & Avant Stars wie Madonna, Kylie Minogue oder Britney Spears Songs, auf den Leib geschrieben (darunter Spears’ einzig erträglicher Song, „Toxic“, an dem sich Jochen Distelmeyer jüngst versuchte). Wyatt wiederum war unter anderem für Bruno Mars’ Nummer-eins-Single „Grenade“ mitverantwortlich.

Zusammenschluss der Pop-Experten

Das Talent, eingängige Songs zu schreiben, eint das Trio. „Es gibt viel Popmusik, bei der ich kotzen muss, weil sie zynisch ist und nur zur Gewinnmaximierung geschrieben wurde“, erklärt Wyatt. „Was ich jedoch erst durch Miike Snow verstanden habe, ist, dass es nicht generell falsch ist, in diesem System zu agieren. Ein Song wie ‚Toxic‘ zeigt doch, dass es möglich ist, ein subversives Element und eine persönliche Wahrheit in dieser Art von Musik zu verpacken.“

Miike Snow verstehen sich als Schöpfer progressiver Popmusik, die eingängig ist und trotzdem nicht die niedersten Instinkte der Hörer anvisiert. Nachdem ihr erstes Album 2009 mit „Animal“ einen echten
Indie-Hit abgeworfen hatte (der sich inhaltlich ironischerweise auf genau jene animalische Seite des Menschen schlug), machte die Band mit dem Nachfolger, „Happy To You“, „den Fehler, unbedingt Karriere machen“ zu wollen, wodurch die ganze Sache erst zum Job und schließlich zur Belastung wurde.

„Musikalisch gab es zwischen uns nie Unstimmigkeiten. Über Dinge wie das Artwork oder die Bühnenshow dagegen haben wir oft gestritten. In dieser Stimmung jeden Tag 24 Stunden zusammen zu sein kann einen wirklich kaputtmachen.“

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Nach einer zwei Jahre währenden Tour gingen die drei auf Abstand. Wyatt nahm mit 75-köpfigem Orchester ein Soloalbum auf, Winnberg veröffentlichte mit der Band Amason schwedischsprachigen Elektropop, und Karlssons Nebenprojekt Galantis gelang mit „Run­away (U & I)“ ein internationaler Dance-Hit. Genug Erfolgserlebnisse, um das dritte Album mit Miike Snow locker anzugehen. „Wir haben endlich den Spaß an der Sache wiedergewonnen“, so Wyatt.

Traurige Roboter

„iii“ ist weniger elektronisch und auf die Tanzfläche zugeschnitten als die Vorgänger, dafür darf die Liebe zu Prince und den Bee Gees stärker zutage treten. Mit „I Feel The Weight“ hat die schwedisch-amerikanische Freundschaft sogar eine funkige Future-Soul-Ballade aufgenommen. „Der Song entstand, nachdem ich mit meiner deutschen Freundin Schluss gemacht hatte“, sagt Wyatt mit wundem Lächeln. „ Das Leben kann sehr schön sein – aber eben auch richtig scheiße.“

Wie der Zufall es wollte, ging auch Pontus Winnberg gerade durch eine Trennungsphase. „Er konnte in seiner pragmatisch-technischen schwedischen Art aber nicht über seine Gefühle sprechen“, erzählt Wyatt. „Also schrieb ich den Song für ihn mit und benutzte für den Refrain diese Computerstimme. Denn genau so war Pontus in diesem Moment: wie ein trauriger Roboter.“

Miike Snow in New York City. (Photo by Neilson Barnard/Getty Images for Target)
Miike Snow in New York City. (Photo by Neilson Barnard/Getty Images for Target)

Mit Auto-Tune in die Zukunft

Der Einsatz des auf dem Album oft verwendeten Tools Auto-Tune hatte aber auch praktischere Gründe. „Man steht heute unter anderen wirtschaftlichen Zwängen als früher. Ich kann es mir nicht mehr leisten, vier Stunden in eine Gesangsspur zu investieren. Mir egal, ob jemand wie Nigel Godrich denkt, ich bin ein Würstchen. Deal with it!“ In „For U“, einer Zusammenarbeit mit Wyatts alter Freundin Charli XCX, kommt ein Vocal-Sample zum Einsatz, das in seiner synthetischen Hektik eigentlich nerven müsste, im experimentierfreudigen Kosmos von Miike Snow aber wie ein neuartiges Instrument klingt.

„Man muss mit der Zeit gehen“, sagt Wyatt, der nicht glaubt, dass die Musikwelt noch einmal Giganten wie Jimi Hendrix hervorbringen wird. „Heute kann man alles Mögliche mit Computern bearbeiten. Es ist auch nicht mehr wichtig, ob man ein Instrument spielt. Wichtig ist nur, dass irgendwie Musik zustande kommt“, erklärt er mit trotzigem Selbstbewusstsein. Dann nimmt er den Zahnstocher aus dem Mund und grinst. „Wäre ich Traditionalist, wäre ich doch nicht im Pop-Business.“

Neilson Barnard Getty Images for Target
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