Millionen machen andere

Die Geschichte des MP3-Entwicklers Karlheinz Brandenburg, der noch immer kleine Brötchen backt, während die Musik längst woanders spielt

Seine Erfindung hat die Musikindustrie erschüttert wie selten zuvor. MP3 oder MPEG Layer 3 heißt das Wunderkind, das Brandenburg aus der Taufe hob – ein Verfahren zur Komprimierung von Audiodaten, mit dem Musikdateien bis auf ein Elftel ihrer Größe zusammenschrumpfen. Seitdem ist das Internet zur klingenden Datenautobahn mutiert: Hoffnungsvolle Newcomer stellen hier ihre Musik vor, zehntausende Songs kann man legal kaufen, hunderttausende – von Fans illegal ins MP3-Format konvertiert – lassen sich ebenso problemlos heruntersaugen. Der wirtschaftliche Schaden ließ die Musikindustrie in Doomsday-Szenarien erstarren.

Inzwischen haben auch die Medienmultis das Potenzial der digitalen Distribution für sich entdeckt. Und nicht nur sie: Geschäftstüchtige Techno-Kids in den USA haben bereits Millionen mit MP3 verdient Nur an einem geht das große Geld vorbei: an Karlheinz Brandenburg, dem Erfinder vom „Fraunhofer Institut“ in Erlangen…

In einem unauffälligen Bürokomplex mitten im Gewerbegebiet von Tennenlohe, einer Ortschaft zwischen Erlangen und Nürnberg, befindet sich sein Büro. Brandenburg ist Abteilungsleiter für Multimedia im „Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen“. Ein schmaler Gang führt in Brandenburgs Reich: ein kleiner, schmucklos eingerichteter Arbeitsplatz mit einem aktenschweren Schreibtisch und dem obligatorischen Computer. Das Institut ist kein futuristischer Glaspalast mit Hochsicherheitsstufe, vielmehr erinnern die spartanischen Räume an die finanziellen Engpässe von universitären Einrichtungen. Brandenburg trägt einen grauen Anzug, eine sauber gescheitelte Frisur und pflegt einen festen Händedruck. Den computerfixierten, etwas weltfremden Wissenschaftler nimmt man ihm locker ab.

Vor allem, wenn er von Dieter Seitzer, einem Professor für Elektrotechnik an der Uni Erlangen und den Anfangen von MP3 erzählt. „Professor Seitzer hatte 1977 zusammen mit einem Kollegen von der Frankfurter Uni die Idee, dass es möglich sei, Musik auch über ISDN zu übertragen. Als er ein Patent eintragen lassen wollte, meinte der Patentprüfer aber, es sei doch bekannt, dass das technisch nicht möglich ist, da die Bit-Rate nicht ausreiche. Dem entgegnete Seitzer, dass es bei entsprechender Kompression sehr wohl möglich sei. Dafür wollte der Patentprüfer den Beweis, und deshalb suchte Seitzer einen Doktoranden, der dem Problem auf den Grund gehen sollte: mit welcher Qualität Musik in verschiedenen Bit-Ratenbereichen übertragbar sei. Der Doktorand war ich.“

Die Qualifikation hatte sich Brandenburg an der Uni Erlangen erworben – mit einem Doppelstudium: Elektrotechnik und Mathematik. „Die Mathematik hat mir zwar immer mehr Spaß gemacht, aber tolle Noten sind dabei nie herausgesprungen.“ 1982 fing der heute 44-jährige Brandenburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Professor Seitzer an. In dieser Zeit begann auch die Entwicklungsarbeit für die Audio-Codierung. 1983 erzielten Erlanger Wissenschaftler erste Ergebnisse auf einem digitalen Signalprozessor, den Heinz Gerhäuser entwickelt hatte: das erste derartige Gerät weltweit, mit dem man Musik in Echtzeit kodieren und dekodieren konnte. „Wir wurden seinerzeit mehr oder weniger für verrückt erklärt: ,Es ist doch bekannt, dass das nicht funktionieren kann – und selbst wenn es funktionieren würde, sind doch gerade die Compact Discs mit 600 Megabyte auf den Markt gekommen. Wozu Datervreduktioni Die braucht man doch nicht!‘ Aber wenn man 10:1 komprimieren kann, dann ist das in vielen Bereichen auch ein Kostenfaktor 10:1 – und damit immer von Interesse.“

Brandenburg ließ sich von Skeptikern nicht entmutigen. „Ich bin die Dinge langsam angegangen und habe viel an Echtzeitrealisierungen gearbeitet, ohne wesentliche eigene Ideen einzubringen. Im Februar *86 hatte ich dann die Idee, dass man die Audiokomprimierung auch ganz anders angehen könne. Der Stand der Technik war bis dahin das sogenannte Bit-Zuteilungsverfahren – und die neue Idee bestand nun darin, sich durch eine besondere Verknüpfung diesen Schritt zu sparen. Binnen einer Woche hatte ich die entsprechenden Programme geschrieben, um zu sehen, ob die Grundidee wirklich gangbar ist. Es funktionierte. Von da an ging’s nur noch darum, diese neue Idee auszuarbeiten.“

Das Ergebnis seiner Forschungen veröffentlichte er in seiner Doktorarbeit „Die Dissertation wurde im April ’89 abgegeben, und kurz darauf ging ich in die USA, zu AT&T nach New Jersey. Da ging’s dann los mit Standardisierung: International Standards Organisation (ISO) und MPEG. Professor Seitzer war zu dieser Zeit gleichzeitig Chef des Fraunhofer Instituts in Erlangen und des Lehrstuhls für Technische Elektronik, an dem ich als Assistent war.“ Logisch, dass sein Musterschüler mit dem Auftrag betraut wurde.

Brandenburg arbeitete an der Vereinheitlichung des Komprimierungsverfahrens, um weltweit eine gültige Norm einführen zu können. Sein „Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikkodierung“, wie Brandenburg bescheiden seine Dissertation betitelte, war dabei ursprünglich für die Anwendung im DAB – Digital Audio Broadcasting – gedacht „Die konkrete Anwendung, die die Entwicklung der ersten Jahren angestoßen hat, war der digitale Rundfunk, wo klar war, dass man Audiokompression braucht, um genügend Kanäle in die beschränkte Bandbreite zu bekommen. DAB war ein internationales Projekt, bei dem Forschungsinstitute, Firmen der Unterhaltungselektronik und Rundfunkanstalten zusammenarbeiteten, um ein digitales Rundfunksystem zu entwickeln.“

Das DAB-Projekt blieb allerdings bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Nur das Komprimierungsverfahren setzte sich durch. Und zwar in drei verschiedenen Varianten. Die populärste Version ist der MPEG Layer 3 oder auch kurz MP 3 genannt. Dieses Verfahren basiert auf dem Prinzip, die Datenmenge bei der Speicherung zu verringern, indem alle unhörbaren Elemente automatisch herausgefiltert werden. „Die Grundidee ist die ,gehörangepasste Kodierung‘. Wenn wir z. B. hier reden und draußen würde ein Zug vorbeidonnern, dann würden Teile unseres Gespräches vom Lärm überlagert Die leiseren Töne werden verdeckt von den lauteren. Das passiert im menschlichen Ohr. Ein komplexer Vorgang, der bedeutet, dass leise Töne bei ähnlichen Frequenzen von lauteren Tönen verdeckt werden können. Wenn die Frequenzen nun extrem unterschiedlich sind, werden die Verdeckungseffekte wieder geringer.

Die Audiokodierung basiert nun darauf, dass man das Signal fein unterteilt, sich die einzelnen Frequenzen anschaut und analysiert, welche Töne sowieso von anderen verdeckt werden. Oder wie viel ich am Signal eigentlich verändern darf, ohne dass die Änderung hörbar wird. Auf diesem Weg kann ich die Zahl der Bits, die ich zur Darstellung brauche, um Faktor 10 – oder bei neueren Verfahren sogar 20 verringern, so dass ,goldene Ohren‘ es zwar hören, es für den Normalbetrieb aber nicht störend ist“

Die Idee für die Skelettierung von Musikdateien ist angelehnt an ein Verfahren, das in einem artverwandten Anwendungsbereich entwickelt wurde. „Das klassische Feld war damals die Sprachkodierung, wo schon seit Jahrzehnten daran gearbeitet wurde, Sprache zu komprimieren. Wobei hier natürlich die Bedingungen andere sind: Zum einen braucht man nicht die makellose Qualität einer HiFi-Aufnahme, zum anderen kann man die Eigenarten des menschlichen Spracherzeugungssystems simulieren und damit Sprachcoda, gerade bei niedrigen Bit-Raten, sehr effizient bekommen. Eines der damals aktuellen Kodierungssysteme war Mitte der 70er Jahre am Heinrich-Hertz-Institut in Berlin entwickelt worden: die sogenannte ,adaptive Transformationskodierung‘. Ab ’86 haben wir in Erlangen versucht, die verschiedenen Elemente, die es in der Kodierung bereits gab, anders zusammenzusetzen, als es damals üblich war.“

Eine Entwicklung, die sich schon bald als bahnbrechend erwies. Speziell in den USA. MP3 trat einen ähnlichen Siegeszug an wie Faxgerät, Videorecorder oder Autofokuskamera, die ebenfalls von deutschen Erfindern entwickelt wurden, aber ihren kommerziellen Durchbruch im Ausland feierten. Bei MP3 war ausschlaggebend, dass die neue Technologie über das Internet einer größeren Anzahl von Nutzern zugeführt wurde – und sich vor allem über die Computercracks der US-Colleges explosionsartig ausbreitete. „Es war die richtige Technologie zur richtigen Zeit Wobei die Art der Verbreitung in dieser Form sicher nicht geplant war. Die MPEG-Gremien hatten sich zwar entschlossen, die Beispiel-Software kostenlos abzugeben, um so die Ideen, die darin steckten, weiter zu verbreiten – wobei das allerdings Software war, die als Hilfe für professionelle Entwickler gedacht war, die sehr wohl wissen, dass es Patentrechte gibt und die Verfahren dementsprechend lizenzieren. Dass die Beispiel-Software von Leuten verwendet wurde, die nicht mal wissen, was ein Patent ist, und es entgegen den ursprünglichen Plänen einsetzten, hat die Verbreitung sicher enorm beschleunigt, war so aber nicht beabsichtigt.

Wir hatten 1995 als Shareware eine Encoder-Version im Internet zum Download freigegeben – auch wieder mit dem Ziel, dadurch Profis anzuregen, sich unser System genauer anzuschauen. Diese Shareware war Kommandozeilen-orientiert und wurde deshalb von der breiten Bevölkerung kaum genutzt. Immerhin demonstrierte sie, welche potenziellen Möglichkeiten sich hier auf taten. Und darauf basiert der Ruf von MPEG Layer 3: Es war für die Leute zugreifbar, sie konnten damit experimentieren, sehen, was geht und was nicht Die PCs waren 1994 gerade schnell genug geworden, die Verbreitung von Soundkarten war da. Später dann noch CD-ROM und der CD-Brenner. Es waren also mehrere Technologien, die gleichzeitig zusammenkamen. User, die übers Internet Musik austauschen wollten, betrachteten MP3 zu diesem Zeitpunkt als das zugänglichste und beste Verfahren. Mittlerweile gibt es durchaus bessere Verfahren, etwa Advanced Audio Coding (AAC).“

Das Rennen aber machte zunächst MP3 – der nachwachsenden Konkurrenz durch Liquid Audio oder Microsofts MS Audio 4.0 zum Trotz. MP3 stand geradezu synonym für die digitale Musikübertragung. Wie ein Lauffeuer verbreiteten sich die Informationen über die neue Zauberformel im Internet MP3 löste als Suchbegriff gar das Stichwort Sex ab. Unter Adressen wie www.mediafind.de, www.musicseek. net oder www.playdudexom finden MP3-Fans Suchmaschinen, die das Netz nach Musikdateien durchforsten. Zahllose Websites wie www.launch.com oder www. Usten.com bieten legales MP3-Vergnügen, aber auch illegale MP3-Seiten schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Passwörter zum Download verstecken die Piraten auf ominösen Schmuddelseiten – und bevor sie von Internet-Fahndern dingfest gemacht werden können, sind die Seiten längst wieder verschwunden. Brandenburg ist von diesen illegalen Aktivitäten nicht gerade begeistert „Natürlich erinnere ich mich an meine eigene Jugend: Es gab Kassetten- und Tonbandgeräte, und ich konnte mir nicht all die Platten leisten, die ich mir gerne gekauft hätte. Man lieh sich Platten vom Freund und nahm sie auf Tonband auf. Insofern kann ich nachempfinden, was im Internet passiert, muss aber trotzdem konstatieren: Das ist eine Urheberrechtsverletzung. Das Fraunhofer Institut lebt auch davon, dass wir geistiges Eigentum produzieren – und dafür später von anderen bezahlt werden wollen. Insofern habe ich volle Sympathie mit allen Künstlern und auch mit den Plattenfirmen, die nicht damit einverstanden sind, dass ihre Ware frei im Internet erhältlich ist, ohne dass sie je dafür Geld sehen. In Sachen Internet-Piraterie muss es die notwendige Aufklärung geben.

Andererseits muss man natürlich auch vernünftige Lösungen anbieten – verbunden mit der Erlaubnis zum Kopieren in begrenztem Umfang: Wenn etwa die Schwester ihrem Bruder die Musik nicht mehr ausleihen darf, weil sie auf dem anderen Player nicht mehr spielt – das versteht niemand mehr.“ Noch ist der digitale Musikvertrieb übers Internet nicht ausgereift Langfristig aber werde sich das Internet als Instrument der Musikindustrie durchsetzen – da ist sich Brandenburg völlig sicher. Der Weg zur Normalität im Umgang mit Urheberrechten und Musik im Internet scheint frei. Der Umbruch in der Musikindustrie setzt sich fort „Natürlich haben wir damals vom breiten Erfolg geträumt, 1995 hatten wir auch erste Kontakte zur Musikindustrie, die damals an dieser Thematik allerdings wenig interessiert war. Wir hatten allerdings auch Kontakte zu Firmen, die das Potenzial erkannten und sich die Frage stellten, wie man frühzeitig einen Kopierschutz für den elektronischen Musikvertrieb aufbauen könne. Da war etwa die Firma ,Cerberus Sound & Vision‘ in England, deren Chef uns 1995 in Erlangen besuchte. Ich erinnere mich noch heute genau, wie er bei uns im Labor stand und sagte: ,Wisst Dir eigentlich, dass Ihr die Musikindustrie zerstört? 4 „

Eine delikate Frage, die Brandenburg aber stets vom Tisch wischt. Erstens habe die Musikindustrie längst erkannt, dass MP3 keine Bedrohung, sondern eine Chance sei; außerdem weist er auf die Zusammenarbeit mit der Musikindustrie bei der Entwicklung eines wirksamen Kopierschutzes hin. Der Verband der US-Plattenindustrie (RIAA) hatte zu diesem Zweck 1998 ein Konsortium aus über hundert Unternehmen der Bereiche Musikindustrie und Informationstechnologie ins Leben gerufen. Bei der „Secure Digital Music Initiative“ (SDMI) waren die Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts von Anfang an dabei.

Die Realität scheint Brandenburg recht zu geben. Das Lamento der Musikindustrie ist verklungen und hat pragmatischem Optimismus Platz gemacht Nach der technologischen Elefantenhochzeit zwischen Time-Warner und AOL wurde Mitte Januar gleich noch der Musikkonzern EMI mit ins Boot geholt mit der klaren strategischen Vbrgabe, bei der Verteilung der digitalen claims die Nase vorn zu haben. Von Bertelsmann-Boss Thomas Middelhoff, der angeblich ebenfalls um EMI buhlte, wird nun eine Investition der gleichen Größenordnung erwartet.

Und was verdient Karlheinz Brandenburg am digitalen Goldrausch? Zunächst mal verdient das Fraunhofer Institut, wiegelt der bescheidene Erfinder ab, und zwar an der Lizenzierung von MP3, die über den französischen Elektronikkonzern Thomson erfolgt. „Es gibt für Implementierungen von MP3, für Encoder und Decoder, Patente von Thompson wie auch von uns – mit einer Einschränkung: Patentschutz bedeutet normalerweise, dass man mit seiner Technologie tun und lassen kann, was man will und auch sagen kann: Jhr dürft das nicht benutzen.‘ Nachdem diese Ideen aber zur Standardisierung eingereicht wurden, musste jede Firma, die daran Patentrechte zu haben glaubte, unterschreiben, dass sie gewillt ist, ohne Unterschied und Diskriminierung jeder interessierten Firma eine Lizenz zu gewähren. Nicht kostenlos, aber in einem vernünftigen Rahmen. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass wir nicht Erbsen zählen wollen, wenn es sich um wirklich kleine Stückzahlen handelt; dann lohnt es nicht, dafür den ganzen Apparat anzuwerfen. Vor allem, wenn die Leute eh kein Geld damit machen. Wir sagen nur: Wenn jemand mit der Technologie Geld macht, dann wollen wir einen fairen Anteil davon.“

Ein fairer Anteil, der dem Fraunhofer Institut bislang noch keine Reichtümer beschert hat. Die Lizenzgebühren der gewerblichen Nutzer reichen gerade, um die Audio-Labore zu finanzieren. Zwar gibt es inzwischen Armbanduhren mit eingebautem MP3-Player sowie Gameboys, die sich zu MP3-Playern umrüsten lassen, aber selbst die Stückzahlen des populären MP3-Players „Rio“ halten sich noch in Grenzen. „Wir haben am Eingang kein goldenes Firmenschild, das fanden wir auch nicht angebracht. Der Hype in der Öffentlichkeit bedeutet nicht, dass die Stückzahlen riesig sind. Beispiel: Von ,Rio‘ und Konsorten sind 1999 weltweit rund eine Million Stück verkauft worden. Vtenn man überlegt, dass der Decoder-Chip, um den es patentrechtlich hier geht, im Bereich von fünf bis zehn Mark liegt, kann man bei Kenntnis der üblichen Lizenzsätze ermessen, dass wir davon nicht reich geworden sind. Wenn einmal 100 Millionen verkauft werden, klingt das schon interessanter.“

Zukunftsmusik. Bis dahin machen andere mit Brandenburgs Idee das große Geld. Etwa der 20-jährige Justin Franklin, Erfinder des populären MP3-Players „Winamp“ und Gründer der Firma „Nullsoft“. Der Jungunternehmer hängte sein Studium zugunsten von“Nullsoft“ an den Nagel, tauschte das Unternehmen aber 1999 gegen AOL-Aktien im zweistelligen Millionenbereich. Oder Michael Robertson, der mit „MP3.com“ als erstes kommerzielles Unternehmen Musik zum Download anbot. Er ging im Juli ’99 an die Börse und erzielte famose Gewinne: Gleich am ersten Tag schnellte die Aktie um 126 Prozent nach oben. Brandenburg zeigt sich wenig beeindruckt. „Natürlich geht das große Geld an uns vorbei. Wobei diese Umsätze dadurch Zustandekommen, dass in den USA viele Kapitalgeber intensiv in diese Technik investieren. Justin Franklin, der seinen Player zuerst kostenlos und dann als Shareware zur Verfügung stellte, ist von den Einnahmen der Shareware sicher nicht reich geworden. Er wurde reich, als AOL sagte: ,Wir finden es wichtig, dass wir diese Technologie im Hause haben und sie kontrollieren.‘ Ahnlich der Fall Robertson: Er hat die ,Garage Bands‘ angezogen – und dann Investoren gefunden, die an sein Konzept glaubten. Das ist natürlich alles Papiergeld, und es gibt eine Menge Leute, die mehr als skeptisch sind, ob da genug Substanz ist, wenn das Geld vom Börsengang einmal verbraten ist. Es gibt viele Leute, die auf einen Erfolg des Modells wetten, ohne dass er wirklich gesichert ist. Insofern ist Geldmachen mit dieser Idee auch eine spekulative Sache.“ Und an Spekulationen will sich Brandenburg nicht beteiligen; er selbst besitzt nicht einmal eine MP3-Aktie. Sein Geschäft ist die Entwicklung von neuen Technologien – nicht die Anhäufung von Geld durch Aktienspekulationen. Als Wissenschaftler hält er sich lieber an die real existierenden Besitzverhältnisse, die ihm und seinen Mitarbeitern den Fortbestand sichern. „Unser Modell besteht darin, lieber auf die langsame Tour mit Lizenzierung zu Einnahmen zu kommen – aber nicht zugunsten anonymer Aktionäre, sondern zugunsten aller Leute, die hier arbeiten-„

Hat er nicht mal vom großen Geld geträumt? Davon, sich mit der eigenen Idee selbstständig zu machen?

„Die Überlegung gab’s immer wieder mal, das will ich nicht verhehlen. Aber schließlich sind die Patente im Besitz der Fraunhofer Gesellschaft, gehören also nicht den hier angestellten Wissenschaftlern. Natürlich ist sich die Gesellschaft auch bewusst, wie viel diese Patente tatsächlich wert sind. Da würde man vielleicht Mittel und Wege einer Einigung finden. Die Frage ist nur, ob das der beste Weg wäre, die Dinge voranzutreiben. Ich denke, es ist schon ein gutes Modell, eine wissenschaftliche Basis zu haben, die mit allen zusammenarbeitet, Technologie lizenziert und neue Technologien entwickelt. Für Leute mit einem Wissenschaftler-Herz sind die Bedingungen hier schon optimal: Man hat die Einnahmen aus der älteren Technologie und damit ein Polster, um die weitere Entwicklung vorantreiben.

Zwar sind diese Einnahmen momentan kaum erwähnenswert, aber Brandenburg baut auf den fortschreitenden Erfolg seiner Technologie und dementsprechenden Lizenzeinnahmen. „Mn dem ganzen Drumherum erzielt das „Verfahren weltweit bereits Milliarden-Umsätze. Das Nachfblgeverfahren AAC, an dem wir auch entscheidend mitgearbeitet haben, ist in Japan als Standard-Audiokodierverfahren für alle künftigen digitalen Rundfunk- und Fernsehsysteme ausgewählt worden. Das allein ist schon ein riesiger Markt, und auch der elektronische Musikvertrieb sollte in Zukunft erhebliche Umsätze erzielen.“

Vielleicht behält Brandenburg dann recht und bezieht eine narrensichere Rente. Anders als Michael Robertson, dessen MP3.com gerade von der RIAA wegen Copyright-Verletzung vor den Kadi gezerrt wurde. Sollte die Phalanx der Plattenfirmen vor Gericht Erfolg haben – was angesichts der waghalsigen Urheberspielereien nicht mal unwahrscheinlich ist -, drohen dem MP3-Profiteur mehrere Millionen Dollar Strafe.

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