Mit „Das sterbende Tier“ gelang Philip Roth eine erschütternde Todesfuge

Ah ja. Der fast 70-jährige Philip Roth schreibt über den 70-jährigen Literaturprofessor David Kepesh, der im Fernsehen über Kultur schwadroniert und ein letztes Seminar veranstaltet – „Praktische Kritik“, haha, das gern von jungen Studentinnen besucht wird, die der alte Schwerenöter mit immer derselben Methode verführt, sobald das Semester vorbei ist. Kepesh ist der „Professor der Begierde“ aus dem alten Roth-Roman, und die sexuellen Eskapaden sind seit damals dieselben geblieben, nur dass der alternde Literat mittlerweile eher melancholisch über die Vulva, die Brust und den Orgasmus fachsimpelt.

Es ist der verfallende Körper, der Philip Roth fasziniert, die vergehende und die verbleibende Zeit, und wer letzthin die Interviews des immer noch hellwachen, immer noch wenig gnädigen Genies gehört und gelesen hat, der erkennt darin auch Philip Roths letztes (und naturgemäß größtes) Thema. Mit der amerikanischen Trilogie, zumal dem altmeisterlichen und ein bisschen langweiligenMenschlichen Makel“, ist Roth noch einmal zum Bestseller-Autor geworden und endgültig zum Klassiker. Nur der Nobelpreis fehlt ihm noch, freilich wie Thomas Pynchon, J.D. Salinger und John Updike. Zuletzt hatte Roth alles Unflätige, Versaute, Wüste und Perverse aus den ernsten Romanen verbannt, obwohl doch „Sabbaths Theater“ geradezu die Klimax seiner wilden Phantasien und seiner Fabulierkunst war. Der Casus Lewinsky hatte ihn, den amerikanischen Liberalen der 50er Jahre, den Freigeist und Freibeuter, zum „Menschlichen Makel“ animiert, zu der albernen Affäre eines nicht ganz koscheren Dozenten (natürlich) mit einer vom Leben gezeichneten, tüchtigen Putzfrau, die von einem holzschnittartigen, von Vietnam traumatisierten Ehemann terrorisiert wird – und der Erzähler spielt auch noch mit, gleichsam pfeifeschmauchend zurückblickend und die Episoden verknüpfend. Das ist Prosaaus Wurzelholz und feinem Leder, gediegen, solide und poliert, mit bewegenden Momenten, Schicksalsschlägen und dem Finale auf einem zugefrorenen See, in den jemand die Axt schlägt.

Aber so sittsam, so staatstragend und altersmilde kann sich der Roth-Leser den großen Unanständigen nicht wünschen. Roths Sinn fürs Absurde und Irrwitzige kam in den amerikanischen Pastoralen der letzten Jahre fast abhanden, obwohl er doch leidenschaftlich jede Form von verheuchelter Korrektheit weiterhin grimmig bekämpfte.

„Das sterbende Tier“ (Hanser Verlag, 17 Euro) nun ist ein leises, zunehmend beklemmendes Divertimento über Begehren und Lüge, frühe Lust und letzte Liebe, die Stereotypen der Verführung und die Wonnen und Qualen der Obsession. David Kepesh erinnert sich an die Studentin Consuela Castillo, die aus einer kubanischen Familie stammt und vor acht Jahren eben nicht von Kepesh verführt wurde, sondern ihn ins Lotterbett lockte. Der Professor, der zu ihrer Nacktheit gern klassische Klavierpartituren spielt, verliert die Geliebte (die nicht seine einzige ist) schließlich, weil er aus Scham und Eifersucht nicht zu ihrem Geburtstag erscheint. Das alles erzählt er etwas betulich und essayistisch aus der Distanz, dabei durchaus genüsslich Schweinigeleien nachsinnend.

Schließlich jedoch kippt diese Hommage ans Ewig-Weibliche in eine erschütternde Todesfuge um: Zum Jahrtausendwechsel ruft Consuela an und steht schon vor der Tür des New Yorker Appartements. Ihre Haare, auf die sie so stolz war, hat sie verloren; der Krebs wird ihre Brust zerstören. Ihre Angehörigen sind derweil gestorben, ihre Erwartungen ans Leben haben sich nicht erfüllt, mit 32 Jahren hat sie Angst vor dem Tod. Kepesh fotografiert sie ein letztes Mal, nackt. Am Ende klingelt wieder das Telefon, und Kepeshs Schicksal wird sich entscheiden, indem er sich entscheidet.

Außerdem enthält dieses Buch vier Seiten über das Sterben eines Freundes, vier Seiten, die in größter Klarheit die Literatur transzendieren.

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