NEUE BÜCHER

Hitchcock

***1/2

von Éric Rohmer und Claude Chabrol

Zwei Franzosen mussten es richten, dass ein Engländer, der längst nach Amerika abgewandert war, von der europäischen Kritik nicht mehr mit einem Naserümpfen abgetan wurde. Die Wirkung des filmwissenschaftlichen Plädoyers von Éric Rohmer und Claude Chabrol, damals in Diensten der „Cahiers du Cinéma“, später selbst nicht die allerschlechtesten Regisseure, ist nicht zu unterschätzen.

„Hitchcock“ war im Oktober 1957 weltweit das erste Buch über den Meister des Suspense, das seine alle bis dato gedrehten Filme in chronologischer Reihenfolge unter die Lupe nahm.“Vertigo“ – in dieser ersten deutschsprachigen Ausgabe im Anhang ergänzt -„North by Northwest“ oder „Psycho“ sollten später den Rang als Auteur bestätigen, den Rohmer und Chabrol ihrem Vorbild zugewiesen hatten. Da hatte dann bereits ihr Kollege François Truffaut die Hitchcock-Apologie übernommen. Doch bis zu dieser mit Verve vorgetragenen Streitschrift galt der Brite als Lieferant von solider Stangenware und Kassenknüllern, nicht als Künstler mit eigener Handschrift. Die Analysen der beiden Nouvelle-Vague-Vertreter, die sich als präzise und weitsichtig erweisen sollten, räumten mit diesem Vorurteil ein für allemal auf. Was sie zu zentralen Themen und Motiven in Hitchcocks Œuvre, etwa zur „Schuldübertragung“, zu sagen haben, besitzt weiterhin Gültigkeit.

(Alexander Verlag, 29,90 Euro)

ALEXANDER MÜLLER

Die amerikanische Fahrt

***1/2

von Patrick Roth

Wer die cineastischen Referenzen in diesen „Stories eines Filmbesessenen“, so der Untertitel, nicht kennt, etwa die Stummfilme von D. W. Griffith, hat ein bisschen Pech gehabt. Man erfährt zwar einiges über Roths Faszination und die Ästhetik so manches Streifens, aber es bleibt diese Unzufriedenheit angesichts der Leerstellen. Etwas weniger Zurückhaltung beim Inhaltsreferat hätte man sich mitunter schon gewünscht.

Vielleicht ist aber auch das gerade die Qualität dieser Texte: Man glaubt nach ihrer Lektüre nicht, die Filme schon so gut zu kennen, dass man sie sich gar nicht mehr ansehen muss.

Roth ist in mehrfacher Hinsicht ein Pendler zwischen den Welten, er ist in den USA genauso zu Hause wie in Deutschland, arbeitet als Filmemacher und Literat. In diesen autobiografischen Essays zeigt sich ganz schön, wie die damit verbundenen unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen, übereinander geblendet, fruchtbar werden. Gleich im ersten Text erzählt er, wie er Los Angeles im Auto erkundet und sich dabei selbst eingelesene Kassetten mit seinen Lieblingsautoren anhört. Darunter Hebel, Hölderlin, Celan, Arno Schmidt.

Viele Jahrzehnte später lässt er in seinem Dokumentarfilm „In My Life -12 Places I Remember“ einen Navajo-Indianer via Doppelbelichtung durch den Mainzer Dom reiten, ohne selbst genau zu wissen, was das eigentlich soll. Nach diesem Buch kann man es wissen. Hier offenbart sich sein poetologisches, wenn nicht gar erkenntnistheoretisches Programm. Das Eigene soll sich im Fremden spiegeln, um sich dem Fremden leichter nähern zu können, zugleich aber auch das Eigene immer wieder infrage zu stellen. In vielen dieser im besten Sinne kosmopolitischen Essays gelingt ihm das. Mit sowohl analytischem als auch ästhetischem Mehrwert.

(Wallstein, 19,90 Euro) FRANK SCHÄFER

Inferno *

von Dan Brown

Pendler und Badeurlauber mit einem Rest Selbstachtung, bitte kurz weghören: Der Da-Vinci-Code-Entschlüssler ist wieder los. Diesmal gilt es, ein Virus aufzuhalten, das ein genialer, aber leider verrückter Wissenschaftler mit Malthusianismus-Meise entwickelt hat, um der Bevölkerungsexplosion Herr zu werden.

Dan Brown, der ewige Amateur und prätentiöse Stümper ohne Sinn für Satzbau und Dramatik, hat es auch mit diesem nichtswürdigen Stiefel voll haarsträubender logischer Brüche wieder auf genügsamste und geistig instabile Leser abgesehen, weshalb er jede noch so offensichtliche Anspielung sicherheitshalber erklärt und auch bereits mehrfach Erwähntes ad nauseam wiederholt. Dabei merkt er nicht, dass man Spannung nicht mit seitenlangen, aus Reiseführern und Lexika zusammengestoppelten, für die Handlung aber irrelevanten Referaten über Kunst und Literatur erzeugt.

„Symbologie“ gilt ihm als eigenständige Wissenschaft, und er glaubt, die Mitglieder der Wiener Dante-Gesellschaft (!) ließen sich ohne zu lachen in einem Vortrag erzählen, Dantes bekanntestes Werk sei, wie sie ja sicher wüssten (!!), die „Göttliche Komödie“. Am Schluss ist dann alles ganz anders als erwartet oder was. Schlimm!

(Lübbe, 26 Euro)

RENÉ REINHOLZ

Heim schwimmen

****

von Deborah Levy

Wenn in einem als Kammerspiel angelegten Roman eine Knarre auftaucht, und sei es nur ein altes persisches Schießeisen, ist klar, dass auch geschossen wird. An Tschechows durchschlagender Bühnenmaxime führt kein Weg vorbei. Und wenn sich die Akteure dann noch in der flirrenden Hitze der Côte d’Azur um einen Villenpool gruppieren, wird darin auch eine Leiche schwimmen. Ganz so wie in Jacques Derays launischem Psychodrama „La piscine“ mit Romy Schneider und Alain Delon. Nicht allein schon deswegen, weil ein dürres, schönes Mädchen -sei es mit kleinem Jane-Birkin-Busen wie im Film oder mit üppigem wie in diesem Buch -allen Beteiligten auf fatale Weise den Kopf verdreht. Die Spirale der wechselseitigen Verstrickungen erfasst am stärksten einen berühmten Schriftsteller. Er verbringt seinen Urlaub mit seiner Frau -einer Kriegsberichterstatterin -, der pubertierenden Tochter und einem Ehepaar, das in London finanziell zu ersaufen droht: „Mit Kitty Finch so intim zu sein, war eine Lust, eine Qual, ein Schock und ein Experiment gewesen, vor allem jedoch ein Fehler.“

Dass die Theaterautorin Deobrah Levy in ihrem 2012 für den „Man Booker Prize“ nominierten Romandebüt Nebenfiguren wie einen Barbetreiber einführt, der „mit jedem Tag ein wenig mehr wie Mick Jagger aussah“ und Keith Richards in Villefranchesur-Mer Pepsi trinken lässt, verstärkt nur den Eindruck eines höllischen Sommers in Südfrankreich. „Exile On Main St.“ dürfte ein guter Soundtrack sein für diesen Roman. (Wagenbach,

17,90 Euro)

PHILIPP HAIBACH

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