Mit der Adaption amerikanischer Originale reisten die Beatles in die USA, ernteten erst Spott, traten dann aber eine Lawine los

Sie wird dereinst als das größte Paradoxon in die Musikgeschichte eingehen, die Import-Export-Konfusion der Beat-Ära, besser bekannt als British Invasion. Dünne, blasse Jungs in Lederjacken und mit Schmalztollen verschlingen im puritanischen Nachkriegs-Britannien den wilden Rockabiily aus Tennessee, verdauen den fremden, fernen Lärm, kopieren ihn, so gut es geht, und wo es nicht geht, machen sie ihn kompatibel mit ihrer eigenen Musikalität. Dann hängen sie die Lederkluft in den Schrank, ziehen Rollkragenpullis über und adrette Anzüge an, kämmen sich die Haare in die Stirn und fliegen ins Ursprungsland ihrer Musik, wo sie diese vorführen und dafür als Genies gefeiert und wie Götter behandelt werden. – Truth is stranger than fiction.

Es war nicht einmal so, daß britische Musik bis Ende 1963 einen schlechten Ruf gehabt hätte. Sie hatte überhaupt keinen Ruf. Musik aus England war eine Kuriosität – wie deutsche oder dänische Musik. Okay, Cliff Richard hatte 1959 mit „Living Doll“ kurz an den Top 30 gekratzt, und Brit-Schmalzier Frank Ifield war 1962 mit „I Remember You“ gar bis Platz 5 vorgestoßen. Doch das waren Zufallstreffer, die Herkunft spielte keine Rolle. Adam Faith? Billy Fury? Fehlanzeige. Haben wir doch alles selbst, wußten die Amis, aber besser.

Dasselbe sagte man bei Capitol Records, als das englische Schwester-Label Parlophone Acetates und Tapes von Insel-Newcomern zu schicken begann, die sich The Beatles nannten und recht nette Lieder spielten zu einem Buddy-Holly-meets-the-Everly-Brothers-Sound. Capitol winkte ab. Parlophone schickte Platten und Presseausschnitte. Beatlemania in Britain. Capitol gähnte. Vee Jay, ein kleines, zu 100 % Prozent schwarzes Label in Chicago, sprang deshalb in die Bresche. Jedoch nicht aus purer Überzeugung, sondern weil man es halt mal versuchen wollte. Ohne nennenswerten Erfolg. Andere Label wie Swan und Tollie brachten ebenfalls Beatles-Platten heraus – mit ähnlich desaströsen Resultaten.

In der Fernseh-Show „American Bandstand“ erntete „She Loves You“ bei den Kids nur Kichern. Die Pony-Frisuren, meinten sie, seien einfach zu komisch. Einige Monate später standen sie dannn zusammen mit Tausenden anderen Teens am Flughafen und kreischten hysterisch, als die vier Pilzköpfe grimassierend die Gangway herunterkamen. Das ehedem so müde Lächeln der Capitol-Manager wich einem strahlenden Grinsen. Im März 1964 waren die Beatles nicht weniger als das achte Weltwunder.

Auf Beatles-Platten setzte ein Run ohnegleichen ein. Wochenlang blockierten ihre Singles die Spitze der Top 10. Das Pop-Establishment diskutierte intern die Frage, ob dieser Spuk wohl bis Weihnachten andauern würde. Dabei war die Nachhut grade erst eingetroffen. The Dave Clark Five waren die ersten, die den Beatles ins Land der für britische Beatmusik plötzlich unbegrenzten Möglichkeiten folgten, und mit sieben Top 20-Hits im ersten Jahr auch die erfolgreichsten. Dann kamen Searchers, Animals, ganz Liverpool und halb London.

Zwei Jahre geriet alles zum Hit, was ’nen englischen Akzent hatte. Wer den Zungenschlag nicht hinbekam oder, schlimmer noch, kurze Haare hatte und Erfolg haben wollte, mußte Beach Boys heißen oder Soul singen. Oder warten.

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