Mord ist unser Hobby

Abgründig, spannend, unterhaltsam — neue Krimis für den Sommerurlaub.

Wem in diesem Sommer nach waschechtem britischem Krimirealismus ist, dem seien die Fälle des Nottinghamer Detective Inspectors Charlie Resnick empfohlen: wunderbar verwinkelte, mit einer Menge britischer Lebensart angereicherte Genrestücke, in deren Zentrum der herrlich bärbeißige Katzenliebhaber Resnick steht, der seine Fälle löst wie andere ihre Kreuzworträtsel. Fern aller Aufgeregtheit legt er etwa in dem Band „Verführung zum Tod“ (dtv, 8,95) einem Serienmörder das Handwerk, der sich seine durchweg weiblichen Opfer per Kontaktanzeige ins Haus holt.

John Harvey, dessen Resnick-Fälle bereits Anfang der 90er Jahre unter Krimilesern hierzulande für Aufsehen sorgten, meldet sich nun nach Jahren unsinniger Abwesenheit zurück. Denn was seinerzeit beim Goldmann Verlag mächtig für Furore sorgte, das druckt nun der Münchner DTV-Verlag in zum Teil neuer Übersetzung: so auch Resnicks zweiten Fall, den Band „Tiefer Schnitt“ (dtv, 8,95 Euro), in welchem sich der Nottinghamer Sturkopf mit einem Psychopathen herumzuschlagen hat, der seine Opfer nach allen Regeln der Kunst mit dem Skalpell filettiert. Wie es Harvey dabei vermag, seine Leser zu staunenden Zeugen einer Ermittlungsmaschinerie zu machen, die nach den Gesetzen des gesunden Menschenverstands funktioniert, das ist furios.

Realismus der besonderen, weil direkten, unverschleierten Art bietet auch Chris Tvedts nordischer Thriller „Frei von Schuld“ (Droemer/Knaur, 17,95), der auf atemlosen 450 Seiten die Geschichte eines Osloer Anwalts entrollt, der sich mit der Mafia einlässt, zum Mörder wird – und schließlich zum mit allen Tricks kämpfenden Anwalt in eigener Sache. Tvedt, der damit ab sofort als die große Entdeckung der nordischen Krimiliteratur gelten darf, ist mit seinem Debüt etwas ganz Besonderes geglückt: das tiefenscharfe Porträt eines genialen Amoralisten, Literatur um Schuld und Sühne – hochtourig und packend, die in grellen, dynamischen Bildern zu einer Reise ins Herz der Finsternis einlädt.

Wer dagegen auf das eisige Schweigen eines großen, im fernen finnischen Winter ermittelnden Melancholikers aus ist, für den sind die Kimmo-Joentaa-Romane des hessischen WahlFinnen Jan Costm Wagner ein Muss: zum Teil klaustrophobische, in der Regel kammerspielartige Romane, die eindrucksvoll illustrieren, wie literarisch gut gemachte Kriminalliteratur sein kann. So zeigt sich Wagner, der sich mit Joentaa-Fällen wie „Eismond“ oder „Das Schweigen“ eine internationale Gemeinde erschrieb, auch in „Im Winter des Löwen“ (Eichborn, 17,95) als großartiger literarischer Exorzist. Wie es Wagner versteht, die Seelen der ins Visier seiner Ermittlungen geratenen Verdächtigen in der Manier eines Stoikers zu sezieren, das ist insofern spannend, als wir dabei einem Menschen über die Schulter blicken dürfen, der – geleitet von der anhaltenden Trauer um seine früh verstorbene Frau – nicht mehr an das Gute im Menschen zu glauben scheint. Und so gibt er sich gewohnt einsilbig, als die strohblonde Prostituierte Larissa vor seiner Tür steht – und ihn in eine ebenso geheimnisvolle wie sprachlose Liaison verstrickt. Als aber kurz darauf Finnlands berühmtester TV-Talk-Master Opfer eines Mordanschlags wird, und wenig später zwei seiner TV-Gäste umkommen, nimmt Joentaa die Ermittlungen auf – und ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Denn: Der Mörder hat bereits sein nächstes Opfer im Auge – und Kimmo kann Larissa nicht vergessen. Leise, hintergründig und in der Manier eines Erzählers, der um die Wucht seiner knappen, bildmächtigen Sprache weiß, entrollt Wagner sein finnisches Endspiel; ein Buch für Seelenwanderer, die begriffen haben, dass in einem Krimi manchmal mehr Seele stecken kann als in sämtlichen Büchern über die Seele.

Nur scheinbar hochsommerlich leicht dagegen wirkt Christian Pernaths erster, aus dem Französischen ins Deutsche übertragener Krimi „Ein Morgen wie jeder andere“ (dtv, 14,90 Euro), der auf gerade mal 216 wirklichkeitssatten Seiten eindrucksvoll vorführt, wie spannend eine Geschichte sein kann, die nicht mehr will, als detailgenau das zerrissene Gefühlsleben eines Mannes ins Zentrum zu rücken, der unfreiwillig in den Dunstkreis eines bestialischen Verbrechens gerät.

Als der bretonische Landtierarzt Belouard eines Morgens eine blutig geschlagene Frau im Straßengraben findet, kommt der saufende, unter seiner Einsamkeit leidende Melancholiker in Schwung: Er bringt die Geschundene zu sich nach Hause, pflegt sie und beginnt, sich in sie zu verlieben. Ein subtil inszeniertes Doppelporträt zweier unglücklich Versprengter, das als elegisch anrollenden Roman beginnt, am Ende aber ein handfester Krimi wird, der den Blick des Lesers schonungslos hinablenkt in die verwinkelten Abgründe der menschlichen Seele.

Ein Ort, an dem sich auch der Italiener Patrick Fogli bestens auszukennen scheint. Nach „Langsam, bis du stirbst“, seinem atemberaubenden Roman um einen entlaufenen Mafiakiller, der auf Rache sinnt, hat uns Fogli mit „Schweig, bis sie dich kriegen“ (Aufbau, 9,95 Euro) nun einen Hammer von einem Kriminalroman geschenkt: ein fiebriges, vibrierendes Stück Krimi-Literatur, das eine Handvoll undurchsichtiger Charaktere präsentiert, die dem Bologneser Commissario Marra alles abverlangen. Als schließlich ein Mädchen seine Sprache verliert und ein Mann sein Gedächtnis, ist sein Blick geschärft; doch als kurz darauf drei Menschen gewaltsam ihr Leben verlieren, wird die glutheiße Stadt zur Folterkammer.

„Gute Romane werden von Leuten geschrieben, die keine Angst haben“, notierte George Orwell in seinem berühmten Essay über Henry Miller. Fogli, Harvey, Wagner, Tvedt und Pernath scheinen solch Furchtlose zu sein; Dickköpfe, die begriffen haben, dass die Schilderung der Suche nach der Wahrheit immer noch eine lohnende Sache ist. Sie tun es in Form illusionslos realistischer, menschlicher, mitleidender und von Hoffnung und Enttäuschung gelenkter Texte, deren zentrales Thema das eigentliche Thema aller ernsthaften Kunst ist: Schuld und Sühne.

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