Morphisches Feld The Fall

Eine Ausstellung in Hamburg zeigt von The Fall inspirierte Kunst, flankiert von einem Konzert der Band

Seine persönliche The Fall-Epiphanie erlebte Bert Holterdorf am 12. Oktober 2001. 20 Jahre hatte nur ein einziges Album der britischen Band in seiner Sammlung geschlummert. Holterdorf mochte The Fall durchaus, fand aber wohl, mehr als eine ihrer Platten brauche man nicht. Er hielt sich vermutlich an den zweiten Teil des berühmten John-Peel-Zitats: „They are always different, they are always the same“.

Komplett wurde das Zitat für den Berliner Galeristen erst, als er am besagten Abend vor der Bühne irgendeines Clubs stand und erstmals Zeuge einer typischen, von der vermeintlichen Teilnahmslosigkeit des großen Grantlers Mark E. Smith gezeichneten Live-, sagen wir: Darbietung von The Fall wurde – derartige Veranstaltungen Shows zu nennen, würden sich nur ganz Mutige trauen. Um es kurz zu machen: Holterdorf war begeistert, es war um ihn geschehen, er begab sich auf eine Mission.

„Ich kaufte erst eine Platte, dann noch eine, und irgendwann hatte ich sie alle“, erinnert er sich. Als er den gesamten Backkatalog studiert und analysiert hatte, kam der Sammler auf die Idee, die Cover der Vinyle ins Schaufenster seiner Berliner Galerie „Praxis Hagen“ zu hängen – und plötzlich sprang die Passion des Bert Holterdorf erst auf die Nachbarschaft und dann auf die Kunstszene über.

„Es gab unglaubliche Reaktionen“, erinnert er sich. „Und irgendwann kam ein Anruf aus Frankreich.“ Der Künstler Pascal Le Gras, Gestalter zahlreicher The Fall-Cover, hatte von der Aktion Wind bekommen und brachte Holterdorf erstmals mit Mark E. Smith zusammen. Gemeinsam mit Le Gras entwickelte Holterdorf schließlich die Idee einer ganzen Ausstellung zu Ehren der Band.

ROLLING STONE präsentiert: „3Repetition – Paintwork 3“, eine Ausstellung mit von The Fall inspirierten Werken internationaler Künstler in der Hamburger Galerie Borchardt vom 30.10. bis zum 21.11. Am 5.11. spielen The Fall zudem ein begleitendes Konzert im Hamburger Club „Uebel & Gefährlich“.

„Paintwork # I“ fand 2006 statt – noch relativ überschaubar in Holterdorfs Kunstlabor „Praxis Hagen“. Ein Besucher der Ausstellung war der Hamburger Rechtsanwalt Sebastian Cording, der die Klitschko-Brüder vertritt, die er vor einigen Jahren aus dem Vertrag mit Boxpromoter Klaus-Peter Kohl, nun ja, herausboxte. Kein Mensch weiß, wie so einer zu The Fall kommt – aber Cording kaufte die komplette Ausstellung. Von da an entwickelte das Unternehmen eine gewisse Eigendynamik.

Anthony Frost, der Sohn des legendären britischen Künstlers Sir Terry Frost, hat die gleiche Laufbahn eingeschlagen wie sein 1998 zum Ritter geschlagener Vater. Das bedeutende Mitglied der Künstlergemeinde von West Cornwall verfügt über exzellente Kontakte, ist außerdem The Fall-Fan, und hat als solcher ebenfalls Cover für die Band gestaltet. Der Künstler ist seit 30 Jahren mit Mark E. Smith befreundet, und natürlich hatte er von der Berliner Ausstellung gehört. Frost war es dann auch, der den Kontakt zur Londoner Galerie SWl herstellte, in der im April 2009 „Paintwork # 2“ stattfand. Das Heer der beteiligten Künstler war ebenso gewachsen wie mediale Begleitung und öffentliches Interesse.

Was jedoch ist der verbindende Schlüssel zwischen ausstellenden Künstlern wie Mark E. Smiths Schwester Suzanne und Knut Odde, der nach dem Ende seiner dänischen Stadion-Band Sort Sol als bildender Künstler arbeitet? Was eint den ehemaligen Swell Maps-Bassisten Jowe Head und den niederländischen Künstler Rik van Lersel? Vor allem der gemeinsame Ansatz: Künstler wie van Lersel, der das Plakat zur Hamburger Ausstellung entworfen hat, übertragen die Do-it-Yourself-Philosophie des frühen Punk und Post-Punk auf ihr Werk – alles ist Kunst und jeder kann sie machen. Damit haben einige von ihnen die Galerienszene aufgewirbelt.

„Mir gefällt der Gedanke, das als morphisches Feld zu betrachten“, sagt Holterdorf – und bezieht sich damit auf eine umstrittene Theorie des britischen Biologen Rupert Sheldrake. „Wenn viele Leute das gleiche machen und das gleiche behaupten, entstehen Schwingungen“, fügt er etwas kryptisch hinzu. Im Grunde könne das Paintwork-Konzept auch jenseits von The Fall einen Querschnitt zeitgenössischer Kunst abbilden. Natürlich denkt man da an die Sonic Youth-Ausstellung vom Frühjahr. Einen Unterschied hingegen gibt es: Sonic Youth sind traditionell der Kunstszene verhaftet, The Fall sind… nun, anders.

Mark E. Smith sitzt in einer Garderobe in Manchester und lacht sein hämisch höfliches Lachen. The Fall sind seit 33 Jahren eine riesige Projektionsfläche, weil dieser Mann niemals erklärt, was er tut. Jegliche Form von Ehrerweisung ist dem Stoiker ein Gräuel, ein Faible für zeitgenössische Kunst ist nicht überliefert.

Ob er sich geschmeichelt fühle? „Diese Künstlertypen sind doch Spinner“, sagt er vergnügt, „ist es nicht so, die haben sie nicht alle!“ Ob er mit den Künstlern kooperiere, die die Cover-Artworks gestalten? „Die Plattenfirma schleppt sie an. Einige unserer Cover sind scheußlich. Weißt du, die Kunstszene ist nicht unbedingt meine bevorzugte Umgebung. Ich gehe lieber in den Pub und trinke ein paar Bier.“

Beinahe überflüssig zu sagen, dass Smith weder in Berlin noch in London war. Und hier kommt nun der besondere Aspekt dieser dritten The Fall-Ausstellung in der Galerie Borchardt ins Spiel: The Fall werden parallel zur Ausstellung ein Konzert im Hamburger „Uebel & Gefährlich“ spielen. „Man hat uns gefragt, also machen wir’s. Aber das wird eine ganz normale Show, nichts Besonderes.“ Wird er zur Ausstellung gehen? „Wie ich höre, ist die Galerie gleich um die Ecke. Wenn ich die Zeit finde, werde ich wohl mal bei den Jungs vorbeigucken.“

„They are always different, they are always the same“.

Was ist heute anders als früher, Mr. E. Smith? „Die Computerisierung der Aufnahmetechnik bereitet mir gewaltige Kopfschmerzen. Mir will nicht einleuchten, was daran der Vorteil sein soll. Außerdem hab ich mir Anfang des Jahres ein Bein gebrochen, dadurch war bei den Aufnahmen zur neuen Platte schon einiges anders als sonst – sie haben länger gedauert.“

Im Januar erscheint ein neues Album von The Fall, „Our Future – Your Clutter“. Es ist das 28.. Es wird klingen wie alle anderen davor – und doch ganz anders.

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