Nächster bitte, Dr. Beat!

Ein Rock'n'Roll-Produzent, sagt Moses Schneider, ist zu 90 Prozent Psychologe - so spart sich die illustre Kundschaft des "deutschen Rick Rubin" den Therapeuten

Pause während der Aufnahmen zum letzten Beatsteaks‚Album: Band und Produzent sitzen gelangweilt herum, zur Entspannung wird ein bisschen rumgeblödelt und gelästert. Doch einer macht nicht mit: „Dissen ist out“, verkündet Moses Schneider knapp, aber bestimmt. „Das war absolut typisch für ihn“, sagt Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiß heute. „Rumpissen, schlecht über andere reden – so was macht Moses einfach nicht.“

Nun wissen wir nicht, ob Moses Schneider trotz eines überquellenden Terminkalenders noch Zeit für fernöstliche Religionslehren findet. Fest steht: Das Karma des in diesen Tagen meistgefragten Rock-Produzenten Deutschlands erzeugt einen grandiosen Widerhall. Dirk von Lowtzow, mit Tocotronic gerade zum zweiten Mal in Schneiders Studio, spricht von“der seltenen Verbindung zwischen höchster Effizienz und tiefstem Wahnsinn“. Peter Thiessen von Kante kennt derweil niemanden, der „sein emotionales Hören so präzise geschult hat wie Moses“ und weist ihm einen Platz unter den zehn besten Menschen des Planeten zu. Für Olli Schulz schließlich ist der Gepriesene schlicht „der deutsche Rick Rubin“.

Zumindest mit Letzterem verbindet ihn, dass er eine ganz ähnliche Philosophie verfolgt: „Meine Arbeit besteht zu 90 Prozent aus Psychologie.“ Wir sitzen im „Transporterraum“, Schneiders Berlin-Kreuzberger Studio mit lustig-chaotischer Studenten-WG-Gemütlichkeit. Eben hat uns der Hausherr eingelassen, in der Küche dampft frischer Kaffee. „Mit dem Mischpult da vorn“, sagt er, „hat Gordon das Strokes-Debüt aufgenommen“.

Mit der Story, wie er seinem Freund Gordon Raphael einst den Tipp gab, künftig auf Hall-Effekte und sonstigen Schnickschnack zu verzichten, könnte man problemlos die Seite füllen. Hier die Kurzform: Raphael beherzigte den Rat. ein Jahr später klopften fünf damals noch nicht ganz so coole Gestalten namens The Strokes an seiner Tür. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. Oder wie Schneider als junger Tontechniker-Assi gleich am ersten Arbeitstag das Blut des damaligen Teilzeit-Junkies Nick Cave vom Toilettenboden aufwischen musste. Derartige Anekdoten erzählt Schneider – drahtig, wach, dauergrinsend – mitreißend und mit glänzenden Augen. Man spürt die beinahe kindliche Begeisterungsfähigkeit, den Stolz auf sich und seine Mitarbeiter und Freunde. Leute wie Ben Lauber, Thorsten Otto, Raphael und zahlreiche andere, die den erklärten Teamworker seit Jahren umgeben wie eine große Familie.

Geboren wird Schneider im Berliner Bezirk Spandau, aus dem – da müsste man auch mal was drüber schreiben! – trotz oder gerade wegen seiner Piefigkeit auch Die Ärzte und zahlreiche andere Aktivisten der frühen West-Berliner Punkjahre kommen. „Ummagumma“ von Pink Floyd, Iron Butterflys „In-A-Gadda-D-Vida“ und natürlich den Beatles-Katalog hört er bereits damals analytisch. Und der Vater hat eine alte Bandmaschine. Rückblickend sagt er: „Viel anderes blieb mir nicht übrig.“ Nach musikalischer Früherziehung – Cello, Klavier, Trompete – lernt der zwischenzeitlich kurz zum Sport Konvertierte Bass und schließt sich-„gegen Eltern und System!“ – der Punk-Band Nachdruck an.

Ab 1982 scheint es dann, als halte der Himmel für Moses Schneider einen Masterplan bereit. Mit an Vorbestimmung grenzender Zufälligkeit rutscht er durch die Instanzen und landet schließlich in den sagenumwobenen Hansa-Studios. Dort lernt der zu dieser Zeit im Studio wohnende und darüber sämtliche Sozialkontakte verlierende Debütant sein Handwerk von der Pieke auf.

Es ist nun, fast 20 Jahre später, absolut kein Zufall, dass mit Peter Schmidt ein alter Hansa-Kollege das neue Beatsteaks-Album abmischt. Erste Höreindrücke lassen hier übrigens auf ein mutiges, kompromissloses und sehr lautes Werk schließen. Seit einem guten Jahr arbeitet Schneider mit der Berliner Band am schwierigen Nachfolger zum Durchbruchsalbum „Smack Smash“. Es ist essenziell für ihn, den Entstehungsprozess neuer Musik von Anfang an zu begleiten: Schneider ist im Proberaum dabei, vergräbt sich in die Songs, verbringt viel Zeit mit Zuhören und nimmt schließlich möglichst in einem Rutsch und grundsätzlich live auf. Das ist sein Markenzeichen. Mit Bands, die das nicht akzeptieren wollen oder können, arbeitet er nicht.

Die Kombination aus der Live-Band Beatsteaks und dem Live-Produzenten Moses Schneider – wohl ein Glücksfall für beide Seiten. Sänger Teutoburg-Weiß: „Drei Platten hatten wir damals ganz konventionell hintereinander eingespielt, dann kam Moses. Das Team, das er um uns herum geparkt hat. Die Idee, live zu spielen. Der Spaß, den wir dabei haben… Er ist ein totaler Visionär. Wir schulden uns gegenseitig unglaublich viel.“ Schneider: „Es entstehen zwangsläufig Freundschaften. Man muss auf der menschlichen Ebene klar‘ kommen, da man ja in Grenzbereichen zusammenarbeitet. Trotzdem gibt es einen letzten Meter Distanz, der ist heilig.“

Wie stark mischt er sich ein? „Die Band hat immer das letzte Wort. Ich scheiße sie mit Ideen voll, und sie muss entscheiden, was sie daraus macht.“ Wird nichts retuschiert? „Wenn mich ein Fehler nervt, mach ich ihn weg. Temposchwankungen sind aber zum Beispiel keine Fehler. Es ist grundverkehrt, der Musik überhaupt eine Tempo-Doktrin aufzuzwingen. Klassische Musik wäre ohne Temposchwankungen unvorstellbar.“

Moses Schneiders bis heute gültiges Lieblingsalbum als Produzent ist „Nitro“ von der Mönchengladbacher Band Sun. Er spielte Bass bei Gum und Susie Van Der Meer, arbeitete mit Produzenten wie Flood und Bands wie den Pixies. So richtig angekommen zu sein scheint er aber erst jetzt. Sein Traum? „Ein relevantes Album aufzunehmen, wie das Gordon gelungen ist. Eines, das die Welt verändert.“

Die Wunschkandidaten? Da überlegt er kurz und nennt dann-Radiohead. Weil er deren letztes Werk als Rückschritt empfand und „ungefähr eine Sekunde lang“ glaubte, die Band könne eine neue Inspirationsquelle vertragen. Allerdings würde er deswegen nie so weit gehen, ein böses Wort über den sehr geschätzten Nigel Godrich zu verlieren. Dissen ist schließlich out.

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