
Neil Young: Nur noch lauer Wind statt Hurrikan?
Für immer solidarisch sein? Was passiert, wenn uns die Musik von geliebten Bands nicht mehr gefällt?

Es kommt mir vor, als würde Neil Young seit Ewigkeiten „der Alte“ genannt werden. Im November wird er 80, inzwischen stimmt es also. Aber noch mit 50 wirkte er neben den viel jüngeren Kollegen von Pearl Jam mindestens genauso kraftvoll. Und doch fing damals, 1995, schon das Problem an: Wir liebten all die Songs, die er uns bis dahin geschenkt hatte – und mussten bald feststellen, dass da nichts Vergleichbares mehr kam. In diesem Jahrtausend hat Neil Young uns mit Massen an Musik – neuer und aus dem Archiv – zugeschüttet. So richtig, richtig gut war nichts davon.
Man kann seine anhaltende Wut über die politischen Verhältnisse bewundern und ihm zustimmen. Man kann seine nostalgische Ader nachfühlen und sich freuen, dass es ihn überhaupt noch gibt. Aber darf man auch sagen, dass sein aktuelles Album, irgendwie ja schon bezeichnend „Talkin To The Trees“ betitelt, nur ein lauer Wind ist? Eine gewisse Beißhemmung setzt ein. Wie viel Solidarität ist geboten, wenn man den Musiker doch einst so lieb gewonnen hat? Was macht man, wenn einem seine Lieder nicht mehr gefallen? Die alten hören vielleicht. Hier mein allerliebstes.
„Like A Hurricane“ wird 50 Jahre alt – und ist immer noch sensationell
Neil Young hat „Like A Hurricane“ im Juli 1975 geschrieben, vor einem halben Jahrhundert also. Er war damals nicht einmal 30 Jahre alt. Und er war „really high, fucked up“, wie er später zugab. Das Singen hatte ihm der Arzt verboten, weil er seine Stimme schonen musste – also pfiff er die Melodie. So will es zumindest die Legende. Veröffentlicht wurde „Like A Hurricane“ erst 1977 auf „American Stars ’N Bars“ – und in einer sensationellen Version 1979 auf „Live Rust“.
Die hörte ich einige Jahre später als Teenager, als der Konzertfilm nachts im Fernsehen lief. Die Eltern waren schon zu Bett gegangen. Ich hatte keine Ahnung, wer Neil Young war, aber die Kapuzenmännchen auf der Bühne sahen interessant aus, die Hippie-Stücke gefielen mir – und die krassen Gitarren sowieso, ich hörte sonst fast nur Hardrock.
„I am just a dreamer, but you are just a dream/ You could have been anyone to me …“
„Once I thought I saw you in a crowded hazy bar/ Dancing on the light from star to star …“ Ich erinnere mich noch genau, wie ich gebannt im Wohnzimmer saß und von den braunen Augen hörte, die zu Feuer werden. Und dann: „You are like a hurricane/ There’s calm in your eye/ And I’m getting blown away/ To somewhere safer where the feeling stays.“ Da wollte ich auch hin, sofort! Selbst wenn es weiterging mit: „I want to love you, but I’m getting blown away.“ Das wollen wir doch alle: von der Liebe weggeblasen werden. Vielleicht hätten mir die Zeilen „I am just a dreamer, but you are just a dream/ You could have been anyone to me“ zu denken geben sollen, aber ich war bereits so verzaubert von diesem einzigartigen Sound, von dieser Stimme, von den Gitarren – auf dem „foggy trip“ sozusagen.
Natürlich soll Neil Young trotzdem unbedingt weitermachen
Seitdem liebe ich Neil Young, wie man nur Musik liebt, die einen in einem besonderen Moment erwischt hat, als das Herz ganz weit auf war. Wenn nicht nur die Ohren plötzlich Alarm schlagen und einem mitteilen: Hier passiert etwas, das du nie wieder vergessen wirst! Allzu oft erlebt man das nicht im Leben, aber mit Glück doch ein paarmal. Auf musikalischer Ebene sicher häufiger als auf menschlicher, und wenn beides zusammenkommt, ist es das Beste.
Deshalb hänge ich auch so an R.E.M. und U2, die wie Neil nicht nur fantastische Alben gemacht haben, aber wenigstens keine Totalausfälle. Es gab stets Hoffnungsfunken – und die Aussicht, dass das nächste Meisterwerk nur ein paar Jahre entfernt ist. Im Fall von U2 ist das bis heute so. Und auch bei Neil Young würde ich immer sagen: Weitermachen bitte! Solange es Freude bringt. Wenn nicht mir, dann zumindest ihm selbst.