New Noises

"21 st Century Pop Song" heißt ein Stück auf der ersten "New Noises" dieses Jahres. Was macht einen typischen Pop-Song des noch jungen Jahrhunderts aus? Schaut man sich die hier versammelten Songs an, ist es wohl (immer noch) vor allem die spielerische Vermischung von Traditionslinien und Genres.

01 Die erste EP der Band FRANZ FERDINAND aus Glasgow, „Darts Of Pleasure“, war das erste süße Pop-Versprechen des Jahres 2003 an 2004. „Words of love/ Words so leisured/ Words are poisoned darts of pleasure.“ In der britischen Presse wurden sie vorschnell als „schottische Interpol“ gefeiert. In der Tat erinnert die Stimme von Sänger Alex Kapranos erstaunlich an die von Interpols Paul Banks (die wiederum an die von Joy Divisions Ian Curtis erinnert), und eine Anlehnung an klassischen New Wave, Anfang der 80er, lässt sich nicht leugnen. Doch Franz Ferdinand spielen mit weitaus mehr Druck und Pop-Appeal als die New Yorker Replikanten, der Retro-Aspekt wird durch amüsante und eigentümliche, originelle und originäre Einfälle gebrochen. „Ich heiße Superfantastisch/ Ich trinke Schampus mit Lachsfisch“, singen sie am Ende von „Darts Of Pleasure“ – neben dem Bandnamen (das Attentat auf den Österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo löste den Ersten Weltkrieg aus) ein weiterer Hinweis darauf, dass diese Band offensichtlich eine Affinität zum deutschsprachigen Raum hegt. Und das kommt so: Gitarrist Nick McCarthy studierte klassische Musik in München. Das Franz Ferdinand-Konzert im letzten November in der alten Heimat geriet übrigens triumphal. Und auch das selbstbetitelte Debütalbum erfüllt die Erwartungen nach der vielgelobten Single ganz problemlos.

01 Ebenfalls mit einem fabelhaften Debüt,“Oh, Inverted World“, starteten 2001 THE SHINS aus Alberquerque, New Mexico, über das Neil Young mal einen sehr schönen Song geschrieben hat Und The Shins können ihre 60s- und 70s-Einflüsse auch auf ihrem zweiten Werk „Chutes To Narrow“ VÖ: 1. März) nicht verleugnen. Psychedelic, Beach Boys-Harmonien, die Kinks und Big Star fallen einem in den furiosen 30 Minuten dieses Albums immer mal wieder ein. Power-Pop nannte man das früher – The Shins spielen ihn irgendwo zwischen den New Pornographers und den Beachwood Sparks.

03 Auch das gerade mal 18jährige Songschreiber-Talent ROMAN FISCHER aus Augsburg dürfte des öfteren mal in der Plattensammlung seiner Eltern gestöbert haben. Wie sonst sollte man diese melodieseligen Songs seines am Ammersee aufgenommenen Debütalbums „Bigger Than Now“ erklären? (Wohl schwerlich damit, dass er aus dem Umfeld der Sportfreunde Stiller stammt.) Im letzten Jahr supportete das Wunderkind bereits die Turin Brakes und Tomte bei einigen Deutschland-Konzerten. IndiePop – nicht nur für Trainingsjacken- und Anorakträger.

04 Yoni Wolf, der bei den Westküsten-HipHoppern Anticon Why? heißt, und Multi-Instrumentalist Andy Broder, auch bekannt als Fog, sind als HYMIE’S BASEMENT (benannt nach dem Plattenladen von Broders Frau Julie in South Minneapolis) auf dem ebenso betitelten Album weniger festgelegt, was ihre Einflüsse angeht. Sie bedienen sich – ähnlich eklektizistisch wie einst Beckin der gesamten Popgeschichte. Bei Simon and Garfunkel ebenso wie bei Yo La Tengo, Radiohead oder gar den Boards Of Canada. Versponnene Gitarren, verträumte Melodien, Electronica, Ambient… Alles durchwirkt von Yoni Wolfs Rap-Passagen. 21st Centurypopsongs.

05 Wo wir gerade bei Rap und HipHop sind, bleiben wir gleich da, wechseln aber

auf die andere Seite des Atlantiks: Der englische HipHop ist in den letzten Jahren durch Künstler wie The Streets, Lotek Hi-Fi, Roots Manuva oder Dizzie Rascal zu einem eigenen Genre geworden. In den Bässen und fragmentierten Schlagzeug-Samples erkennt man die Geschichte englischer Clubmusik von Drum & Bass bis UK Garage, in den Lyrics spiegeln sich postkoloniale und Emigrantenidentitäten, aber auch weiße Vorstadtmentalität. „Upwards“, das bereits zweite Album von TY, dem Sohn zweier nigerianischer Einwanderer, ist ein weiteres einfallsreiches, ohne die üblichen Klischees auskommendes Werk des BritHop.

06 Nicht anders als einfallsreich kann man wohl auch das nennen, was T.J. Parker, der sich als Gründungsmitglied der West Coast Rapper Blackalicious THE GIFT OF GAB nennt, mit Samples, Raps und neuen Lyrics aus Irving Berlins Klassiker „Puttin‘ On The Ritz“ macht „The Writz“ erschien zunächst als B-Seite der Single Just Because“ (nicht die Elvis-Nummer) und findet sich nun auf seinem ersten Solowerk „Fourth Dimensional Rocketships Going Up“(VÖ auf Mai verschoben). In times like these they make songs like this…

07 …und Männer wie diesen: Red, immer im Anzug gekleideter, Pathos-liebender, stilbewusster Rotschopf, Joe-Jackson-lookalike und Sänger der fränkischen, mittlerweile teilweise in Hamburg beheimateten Band MISSOURI sowie neuerdings zumindest live auch im Ensemble der neu besetzten Fink. Das neue Missouri-Album, „Voodoorama“, ist weitaus solider gearbeitet als der Ambient-Country des „Vorgängers „To The Darkened Corners Here We Go“ und vereint gekonnt Breitwandsound, Calexico-Wüstenrock und Nick-Cave-Finsternis.

08 Ebenfalls aus Hamburg stammend, aber von hellerem Gemüt sind die PUNKLES, die schon seit Jahren erfolgreich Beatles-Songs im Ramones-Stil spielen. Nicht so ungewöhnlich, schließlich benannten sich ja auch die New Yorker Punk-Pioniere nach Paul Ramone alias McCartney. Und Joey Lennon, Sid McCartney, Captain „Bomber“ O’Harrison und Markey Starkey haben auch allen Grund, gut drauf zu sein, denn schließlich startete das (rote) Best-Of-Album „The Punkles 1998-2003“ in die Top 50 der japanischen Album-Charts durch. Auf dem neuen Album der Fast Four, ob des „Revolver“-ähnlichen Covers „Pistol“ betitelt – womit man gleich auch die Punk-Verweise liefert -, gibt’s wieder 13 (auf der CD 14) Beatles-Covers und ein Punkles-Original: „Ha Ha Ha (Make Love Not War)“.

09 Das Debütalbum von THE VEILS habe viel von dem, was die Schnösel von Suede ausgemacht habe, bevor Bernard Butler sie verließ und alles bergab ging, äußerte jüngst mein neuer Büromitbewohner. Und einige der Songs auf „The Runaway Found“, wurden tatächlich – welch Zufall! – von eben diesem Bernard Butler produziert. Der hat ja ein Gespür für grandiose neue Bands (man denke an die erste Libertines-Single „What A Waster“, an die er Hand anlegte). Und tatsächlich hören sich die Veils äußerst vielversprechend an. Der erst 19-jährige, in London geborene Sänger und Songschreiber Finn Andrews, der Tom Waits, Bob Dylan und Patti Smith zu seinen Vorbildern zählt, startete seine musikalische Karriere – übrigens wie es sich für jemanden gehört, der Finn heißt – in Neuseeland, wo er auch einen großen Teil seiner Teenagerjahre verbrachte.

10 Die Norweger von AI PHOENIX sind dagegen schon ein bisschen länger im Musikgeschäft. Doch sie sind eher stille Eckensteher in der Welt des großen Pop. Ähnlich wie Mazzy Star, Low oder die Cowboy Junkies. Sacht, leise und zum Sterben schön. So ist auch ihr bereits viertes Album „I’ve Been Gone – Letter One“ geworden, auf dem sich die Stimmen von Mona Mork und Patrick Lundberg wieder in berückenden Folk-Pop-Songs vereinen.

11 Für großen Leisetreter-Pop sind die Skandinavier halt Experten. So auch die Schwedin SOPHIE ZELMANI – für regelmäßige Hörer unserer Heft-CD eine alte Bekannte. Ansonsten blieb die schöne Songschreiberin hierzulande allerdings ohne großen Erfolg, während schon ihr selbstbetiteltes Debüt 1996 in Skandinavien die Hitparaden stürmte. Ihr fünftes Album, „Love Affair“, klingt weitaus erwachsener und rootsiger als der perfekte Pop des Debüts. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ schreibt man in solchen Fällen.

12 Die haben LAMBCHOP schon vor langer Zeit gefunden, wahrscheinlich tragen sie sie in ihren Herzen, die ein bisschen langsamer schlagen als gewöhnlich. Zu Trägheit fuhrt das aber keinesfalls, denn schon knapp ein Jahr nach ihrem Meisterstück „Is A Woman“ haben sie bereits zwei neue Alben mit den köstlichen wir programmatischen Titeln „Aw Cmon“ und „No You Cmon“ fertig. Die geruhsame, streicherseelige und humorige Soulnummer „Something’s Going On“ stammt vom erstgenannten.

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