New Noises

Der New Yorker Schriftsteller Jonathan Lethem stellte einige Songtexte, die er als Jugendlicher geschrieben hatte, auf seine Website, um Musikern die Möglichkeit zu geben, sie zu vertonen. Das Sextett HALLELUJAH THE HILLS adaptierte Lethems „Monster Eyes“, das sich sicher auch auf ihrem Debütalbum „Collective Psychosis Begone“ gut gemacht hätte. Denn die mit Emphase vorgetragenen StubenhockerStücke des Sängers und Songwriters Ryan Walsh – wie das hier zu hörende „Wave Backwards To Massachusetts“ – sind literarisch ähnlich ambitioniert. Und der Rasselbanden-Sound seiner Band erinnert an die anderen kunstvollen Songwriter-Projekte wie Arcade Fire und Bright Eyes.

Q Apropos Rasselbande. Das sind die Australier ARCHITECTURE IN HELSINKI natürlich auch. Wer das Gewusel auf der Bühne bei den letztjährigen Konzerten der „Haldern Pop und ROLLING STONE gehen zelten“-Reihe gesehen hat, wird das bestätigenkönnen. Ihr zweites Album „In Case We Die“ fand 2005 bei Kritik und Mixtape-Machern großen Anklang, und kürzlich outete sich sogar Bruce Willis als Architecture In Helsinki-Fan. Nun gehen sie mit ihrem Twee-Pop auf dem unverschämt swingenden „Places Like This“ in die dritte Runde.

B Auf ihrem letzten Album „Balls“ fanden die Country- und Americana-Fans aus Cambridge von der BROKEN FAMILY BAND plötzlich Gefallen am Rock, dazu legte sich Sänger Steven Adams einen southern drawl zu und sang von booze und bro^en hearts. Auf dem Nachfolger „Hello Love“ scheint ihn jetzt Amors Pfeil getroffen und mit Liebe zu den Pixies und Big Star infiziert zu haben. So klingen jedenfalls einige Stücke. Aber auch das gemütlich, countryesk-lakonische Songwriting kommt, wie wir in „So Many Lovers“ hören, nicht zu kurz: „There are so many lovers and not enough love.“

Wenn man „All The Night Without Love“, einen der intensivsten Songs auf „Ash New Noises

Wednesday“, dem Albumdebüt des amerikanischen Songwriters ELVIS PERKIN5, hört, versteht man, warum sein Arrangeur Ethan Gold eigentlich die Band engagieren wollte, die Van Morrison einst auf seinem niemals mehr erreichten Klassiker „Astral Weeks“ begleitete. Auch, wenn sie am Ende „nur“ Gary Mallaber bekamen, der auf Morrisons „Moondance“ trommelte, gelingt dem Sohn von Anthony Perkins und der bei der 9/11-Katastrophe umgekommenen Fotografin Berry Berenson die Übersetzung der privaten Tragödien in dunkel schimmernden, Jazz-inspirierten Folk.

Q Schon die Beatles und die Beach Boys haben erfolgreich den vokalen Zauber der 6os-Girlgroups in den Gitarrenbandkontext überführt. Und auch Mornssey hatte immer einen Hang zum Teenage Drama der Soul-Sirenchen. Da ist das traditionsvernarrte britische Sextett LUCKY SOUL also in bester Gesellschaft. Und mit Sängerin Ali Howard haben sie auch noch ein frisches helles Unschuldsstimmchen am Mikrofon stehen, das zusammen mit den konzis gesetzten Bläsersätzen auf „The Great Unwanted“ die Ronettes und die Shangri-Las heraufbeschwört.

Seit Elvis Costello versucht, Allen-Toussaint-, Burt-Bacharach-, Frank-Sinatra-und Duke-Ellington-Alben zu machen, greift man immer wieder gern auf die Songs von Britt Daniel und seiner Band SPOON zurück, wenn man den Furor früher Costello-Platten noch einmal erleben will. Auf „Gimme Fiction“ von 2005 etwa, vor allem aber auf das 2001er „Girls Can Teil“. Die zehn neuen Songs auf „Ga Ga Ga Ga Ga“ lassen sich zwar ab und zu von ein paar verspielten Loops und Samples und dem ein oder anderen Bläsersatz ablenken, kommen aber doch wieder recht gradlinig ins Ziel. Der Albumtitel ist von den Pianoakkorden, die das wundervolle „The Ghost Of You Lingers“ strukturieren, inspiriert. Bitte irgendwo zwischen „Trust“ und „When I Was Cruel“ einordnen.

Ob es daran liegt, dass man in den Eiswüsten von Alaska einfach keine neuen Freunde kennenlernt? Gitarrist John Gourley und Bassist Zach Carothers machen nach der Auflösung ihrer Band Anatomy Of A Ghost gemeinsam weiter. Zusammen mit dem Keyboarder Wes Hubbard gaben sie sich den Namen PORTUGAL. THE MAN und zogen Richtung Süden in die angesagte Indie-Musik-Metropole Portland, Oregon, wo sie mit dem Schlagzeuger Jason Sechrist ihr Debüt mit dem rätselhaften Titel „Watter: ,Tou Vultures'“ aufnahmen. Nun erscheint mit „Church Mouth“ ihr zweites Werk, eine exzentrische Mischung aus grittigem Blues und verstiegenem Post-Rock, die auch Jack White gefallen könnte.

Die Stimme von TAKEN BY TREES könnte dem ein oder anderen noch bekannt vorkommen, denn Sängerin Victoria Bergsman sang bis vor kurzem noch für die Concretes. „Open Field“ ist mehr oder weniger ein Soloalbum – und so klingt es auch. Introspektiver Folk-Pop, sehnsuchtsvoll vorgetragen, wundervoll arrangiert mit Streichern, Flöten, Harmonium, Zitter und Mandolinen, atmet das Album einerseits Singer/Songwriter-Intimität und hat zugleich die süßliche Note von klassischem Girlgroup-Pop. Produziert hat Björn Yttling von Peter, Björn and John.

¿ Wer im letzten Jahr den charmanten Independent-Streifen „Little Miss Sunshine“ gesehen hat, könnte mit der Musik von DEVOTCHKA aus Denver, Colorado schon vertraut sein, denn sie bestritten große Teile des Soundtracks. Wie Zach Condons Beirut zeigen auch sie sich auf ihrem Album „How It Ends“ von osteuropäischer Folklore beeinflusst, gehen aber dabei weitaus robuster zu Werke und klingen manchmal wie die rumänische Variante von Tito & Tarantula – wäre was für den nächsten Erair-Kusturica’Film, oder für eine Ionescu-Verfilmung von Quentin Tarantino.

Im Platteninfo zu ihrem Debüt „A Child But Its Life *fet A Doctor In Love“ schreiben die sechs Kalifornier von den MAGIC BULLETS: „For fans of: The Walkmen, Orange Juice, Wedding Presents, French Kicks, Gang Of Four, Talking Heads.“ Damit kriegen sie natürlich erstmal fast alle. Und ihr vokabelsicherer New Wave wird der Referenzliste, die einem erscheint wie thesharpest bullit ever shot, auch streckenweise durchaus gerecht.

Wesentlich schärferund aufgerauter als auf ihrem Album mit „Die fabelhafte Welt der Amelie“-Mädchen-Betörer Yann Tiersen erscheinen auch die neuen Songs von SHANNON WRIGHT auf „Let In The Light“. So verletzlich wie nie zuvor habe sie sich bei der Arbeit zum neuen Album gefühlt, sagte Wright, deren Stimme und Melodik ab und zu – wie beim hier zu hörenden „Everybody’s Got Their Own Part To Play“ – an Patti Smith erinnern. Im Konzert freilich entwickeln sich Wrights Songs zu ekstatischen Ausbrüchen à la Robert Plant.

Am Ende marschiert noch einmal die Heilsarmee durch unsere „New Noisea“ – nein, halt! Da steht ein Pferd auf dem verwaisten Dancefloor, es ist aus Stahl und hat sechs Beine. Und es singt eine Hymne für die schon Besiegten. So oder so ähnlich lautet jedenfalls das Konzept, das die kanadische Band ROCK PLAZA CENTRAL auf „Are We Not Horses“ verfolgt. Sänger, Kurzgeschichten und Songschreiber Chris Eaton gibt den apokalyptischen Reiter und erinnert damit an Pere Ubus David Thomas in Hochform und Will Oldham im freien Fall.

Die Stimme eines alten Bekannten begegnet uns in der Hörprobe zur fünften Folge unserer Hörbuch-Reihe TALKING BOOKS: WDR-i-Hörfunklegende Alan Bangs liest aus „Mr. Nice“, den Memoiren des berühmtesten Hasch-Dealers der Welt, Howard Marks. Alles weitere zu dieser drohenden – und zugedröhnten – Audio-Biografie erfahren sie auf der nächsten Seite.

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