Nutznießer der Parallelwelt

Eigentlich hatte ich schon befürchtet, dass die Sarrazin-Debatte noch immer andauern würde, wenn ich nach 14 Tagen aus meinem Urlaub an der türkischen Ägäisküste heimkehren sollte. Trotzdem redete ich mir das Gegenteil ein. Und in der Hoffnung, dass der Glaube Berge versetzen könne, öffnete ich nach der Heimkehr mein Mailpostfach. Aber da waren sie wieder, die Anfragen meiner Kollegen. Und da war dann auch der Artikel, der mich so sehr berührte, dass ich es nun doch nicht lassen kann, noch eine Meinung in den vor lauter Meinungen zu Sarrazin übervollen Äther zu senden.

Es war der Artikel mit der Überschrift „Sie sind unser Präsident“, am 13. September in der „Taz“ erschienen. Ein „Offener Brief deutscher Musliminnen und Muslime an den Bundespräsidenten Christian Wulff“, unterzeichnet von 14 muslimischen Mitbürgern aus Kunst und Kultur, unter ihnen zwei, deren Schaffen ich besonders bewundere: Fatih Akin und Feridun Zaimoglu. In dem Brief heißt es unter anderem: „Für Musliminnen und Muslime ist derzeit nicht einmal der Gang zum Zeitungshändler leicht, weil sie nie wissen, welche Schlagzeile, welches stereotype Bild sie dort erwartet. Auch in der Schule, bei der Arbeit und am Ausbildungsplatz kann es sein, dass einem Feindseligkeit entgegenschlägt.“

Diese Passage hat mich nachdenklich gemacht. Daher nun mein offener Breif an euch beide:

Lieber Fatih, lieber Feridun!

Mit Betroffenheit nehme ich zur Kenntnis, dass ihr euch nicht mehr zum Zeitungsladen traut, dass Ihr Angst habt vor den Anfeindungen, die in dieser Welt auf euch lauern – schlicht, weil ihr Moslems seid. Mir war gar nicht bewusst, wie diskriminiert ihr euch in eurem eigenen Land fühlt. Ich dachte eigentlich immer: Die Jungs haben’s geschafft, zwei leuchtende Vorbilder für gelungene Integration und – mehr noch – eine Bereicherung für die Kultur der Republik. Mit euren Filmen und Geschichten über die Zwänge und Konflikte patriarchalischer Stammesstrukturen aus Anatolien habt ihr nicht nur die Kritiker der Feuilletons begeistert, sondern ganze Aufklärungsarbeit geleistet.

Ich meine zum Beispiel den Film „Gegen die Wand“, in dem die Protagonistin sich dem Kampf gegen ihre Familie stellt, weil sie selber entscheiden will, mit wem sie ins Bett geht. Oder den Roman „Leyla“, der die schockierenden Gewaltexzesse eines anatolischen Tyrannen gegen seine Frau und Kinder zeigt. Waren die Geschichten der muslimischen Frauen, die der Unterdrückung durch ihre Familien ausgesetzt sind, nun ernst gemeint – oder waren das etwa die von euch beklagten „stereotypen Bilder“, also realitätsferne Fiktionen mit dem einzigen Zweck, das Publikum zu unterhalten? Wenn Letzteres zutrifft, hat eine ganze Nation euch wohl missverstanden. Auch ich möchte mich dann bei euch entschuldigen: Ich habe alles für bare Münze genommen!

Wenn es aber nicht so ist und ihr es doch ernst meint mit eurer Kunst, dann kann ich nur fragen: Hey Jungs, was ist los mit euch? Habt ihr echt Angst vor dem verquasten Gelaber eines Sarrazin? Wozu braucht ihr den Bundespräsidenten? Damit er seinen „Wir wollen uns alle lieben“-Quatsch spricht und sein Heer von Quotentürken aufstockt – von mir auch kurz NDPs genannt, Nutznießer der Parallelwelt, weil sie ihr Geld mit dem Elend der anderen verdienen, aber nicht wollen, dass außer ihnen noch jemand über das Elend spricht? Oder zählt ihr euch gar selbst zu ihnen?

Kleiner Test: Wenn die Formulierung „Ja, es gibt Probleme auch unter muslimischen Migranten, aber sie sind marginal, haben nichts mit Kultur und Religion zu tun und werden von der deutschen Öffentlichkeit übertrieben aufgebauscht“ auch euer Herz anspricht, dann seid ihr vermutlich schon von den NDPs dieser Welt assimiliert worden.

NDPs wollen nicht, dass eine kritische Debatte über die Probleme muslimischer Migranten an die Öffentlichkeit dringt. Daher stellen sie sich den Medien gern auch selbst als gelungenes Beispiel für Integration zur Verfügung. NDPs ärgern sich offiziell über Sarrazin, aber insgeheim freuen sie sich, weil er mit seinen kruden Thesen und dummen Ausschweifungen zur Eugenik jeden Journalisten zur Selbstzensur zwingt, weil er vermeiden will, mit Terror-Thilo in einem Topf zu landen.

Lieber Fatih, lieber Feridun, wenn es also mittlerweile tatsächlich so ist, dass ihr Euch mehr als Teil der in Deutschland angeblich seit Jahren diskriminierten muslimischen Umma seht denn als der erfolgreiche Filmemacher und Schriftsteller, als die ich euch immer wahrgenommen habe, und wenn Sarrazin der Grund dafür ist – dann rege ich mich jetzt doch noch auf und wünschte, ich wäre noch länger im Urlaub geblieben.

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