Older, but wiser: Guided By Voices, die Weltmeister des Home-recording

Mann, ich sag dir, auf der Bühne bin ich meist so besoffen, daß ich mich an kein Wort der Songtexte mehr recht erinnern kann.“ Robert Pollards Pupillen rotieren vor Freude. Nicht, daß Sie auf falsche Gedanken kommen: Der Frontman von Guided By Voices ist kein College-Knabe, der nach der langersehnten Volljährigkeit zum ersten Mal offiziell an das Backstage-Bier herangelassen wurde. Nein, er geht auf die 40 zu, hat seine Brötchen früher als Schullehrer verdient, und die lustigen Locken sind schon leicht ergraut.

Dieser Mann kennt die Entbehrung, deshalb wird jetzt alles doppelt und dreifach mitgenommen der Ruhm, die Anerkennung und natürlich auch die Alkoholika. Beinahe schon Legende ist die unglaubliche Geschichte von Guided By Voices. Fünf Alben produzierte die Band aus Dayton/Ohio im Schmalspurverfahren, Abnehmer gab es keine. Nach acht Jahren, kurz bevor sie endgültig einpacken wollten, wurde man doch noch auf sie aufmerksam. Das sechste Langspielwerk, „Bee Thousand“ von 1994, avancierte – dem kleinen Seat-Label sei Dank – zu einem echten Verkaufsschlager.

Guided By Voices sind die drolligen Onkel des amerikanischen Indie-Rock-Qans – und ihre Anverwandten, von Sonic Youth bis Pavement, legen schützend die Hand über sie. Robert Pollard nimmt diese Rolle gerne an; aus Strategiedebatten, Richtungskämpfen und anderen Famüienkrächen hält er sich schlau heraus. Der einstige Pauker, der unter einem Six-Pack Budweiser gar nicht erst seinen Amp anschmeißt, verfügt jedoch trotz mancher juvenilen Aufgeregtheit über ein allzeit freundliches Phlegma. Older, but niser eben. Guided By Voices haben den Popsong von all seinen Format-Zwängen entledigt – mit dem Schweiß älterer Männer und dem Spaßbedarf junger Spunde, sozusagen. Pollard ist eine jener Persönlichkeiten, denen wahrscheinlich schon beim Zähneputzen wieder eine neue Melodie durch die Gehirnwindungen bimmelt – doch er unterwirft sie nicht rigoros dem ökonomischen System des klassischen Songwriting. Auf „Alien Lanes“, dem siebten und besten Werk von Guided By Voices, sind die Tracks manchmal keine halbe Minute lang. Vier Textzeilen, eine angerissene Melodien, ein toller Akkord – dann schnarrt die Vier- oder Achtspur-Maschine, und ein neues Stück beginnt. Der perfekte Popsong ist kein Ergebnis von Disziplin, sondern eine Eingebung.

„Under The Bushes Under The Stars“, Album Nummer acht, kann leider nicht ganz an den Vorgänger anschließen. Vielleicht weil Pollard nicht so direkt seine Eingebungen umsetzen konnte. Arbeiteten Guided By Voices früher strictly low-fi, sind sie jetzt zum Teil in größere Studios gegangen. Muß das so sein, weil die Gruppe inzwischen die mittelgroßen Hallen füllt? Zur Seite standen ihnen zwar die durchgeknallte Kim Deal von den Breeders und Steve Albini, der gewiefte Radaubruder unter den Produzenten Amerikas, doch viele Stücke, so berauschend auch ihre Harmonien sein mögen, klingen ein wenig indifferent.

Zum Schluß der Sitzung fragt Robert Pollard noch: „Sag mal, hört man überhaupt, daß die meisten der Songs mit 24 Spuren aufgenommen worden sind?“ Ein bißchen schon. Aber wieviel Flaschen Budweiser hätte man für all das schöne das Geld bloß trinken können!

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