Omas Geist

Mit Florence + The Machine wurde Florence Welch zur vom Jenseits inspirierten Stil-Ikone.

Am 28. August 2010 saß Florence Welch auf einer Klippe in Ibiza und feierte ihren 24. Geburtstag. An diesem Tag spielten Florence + The Machine nach einem Jahr der Tourneen und Promotion-Reisen ihren letzten Gig, und dafür war es höchste Zeit. Welch hatte die Lust an dem Rummel um ihre Person verloren, vermisste den Freund und das geliebte London – die Antikmärkte im Süden, wo Welch aufwuchs, das Nachtleben in Soho, wo Produzent Paul Epworth sein Studio hat. Doch dann rief Amerika, und es folgte ein weiteres Jahr der Musikreisen, in dessen Verlauf Florence + The Machine zu Megastars und ihre Sängerin zur Stil-Ikone wurden. Niemand konnte die Augen lassen von Welch, der derben Esoterikerin, vorlauten Seherin und insgesamt sonderbaren Frau, die nun groß rauskam. The dog days are over! Auf dem neuen Album, „Ceremonials“, sind die riesigen Gefühle von Florence Welch in noch riesigere Lieder gekleidet. Schlagzeuge aus Wattegebirgen, Keyboards wie Wasserfälle, Kate Bush, Toyah, die ganze Eighties-Sause: Florence + The Machine sind jetzt überlebensgroß. Bei der ersten Single, „What The Water Gave Me“, geht es um Frida Kahlo und Virginia Woolf, um Hingabe und Selbstmord – Florence Welch trägt dick auf. Aber sie hat auch die Lieder dazu.

Florence Welch, was hat das Wasser Ihnen gegeben?

Für mich ist der Ozean der große Überwältiger. Als ich diese Songs schrieb, habe ich Geschichten von Menschen gesammelt, deren Liebste ertrunken sind, oder Menschen, die beim Versuch starben, ihre Liebsten aus dem Wasser zu retten. Auf dem Album geht es um Wasser in all seinen Formen. Ich wollte, dass man in die Musik eintaucht oder sich fühlt, als würde man von ihr überflutet werden.

Das ist sehr schön an Ihren neuen Liedern: Man spürt sie beinahe körperlich.

Ich hoffe immer, dass das passiert – etwas anderes habe ich nicht zu geben. Ich kann wirklich aus dem Bauch singen, aus dem Innersten, from the guts, y’know. Die Lieder kommen von einer Sekunde auf die andere, ich kann mit ihnen wie ein Vogel sein und wegfliegen. Ich verliere mich in ihnen und muss unbedingt dran denken zu atmen, sonst vergesse ich es. Aber es geht nur so; du musst von einem ehrlichen Ort aus singen, sonst bedeutet es nichts. Sie sind vor zwei Jahren aufgebrochen, um als Musikerin Karriere zu machen. War es schön, als Star nach London zurückzukehren?

Bin ich ein Star? Ich schlafe immer noch oft genug auf einer Matratze im Haus meiner Mutter. Ich schätze, Erfolg misst sich in unterschiedlichen Einheiten. Ich bin wohl eine erfolgreiche Sängerin; jetzt will ich lernen, eine erfolgreiche Erwachsene zu sein. Sie waren aber auch vor dem Durchbruch kein Kind mehr.

Das vielleicht nicht. Aber ich war eine Heranwachsende, die unbedingt erwachsen werden wollte. Ich war eine Tagträumerin, ich habe vor mich hingesummt und mich im Schrank versteckt. Ich denke, das sollte jetzt aufhören. Klingt so, als würden Sie nach Bodenhaftung suchen.

Ist das nicht normal nach einer so verrückten Zeit? Als Performer wird alles, was du tust, übernatürlich groß. Du schreibst auf, was dich bewegt, und singst es raus, und dann steht es da in diesen riesigen Hallen. Wenn du nach Hause kommst, sind die großen Gesten natürlich total albern, aber du kannst dich gar nicht mehr anders ausdrücken. Ich würde meine Antworten am liebsten singen, aber das geht natürlich nicht. Wie man hört, spricht Ihre tote Großmutter zu Ihnen.

Ja, sie erschien mir in einem Traum und sagte: „Konzentriere dich!“ Ich war ziemlich entsetzt und sagte, Oma, du sprichst zu mir aus dem Totenreich. Geht es nicht etwas profunder? Aber das war ihre Botschaft. Es gibt eine starke Verbindung zwischen mir und ihr. Sie war eine Performerin und ist im Cabaret aufgetreten. Als ich beim Fototermin für das Albumcover so 20er-Jahre-Sachen anzog, blieb meiner Mutter die Luft weg – ich sah wohl genauso aus wie sie. Es ist fast so, als würde sie sich in dieses ganze Florence-Ding reinschleichen. Solche Geschichten bestätigen den Eindruck, den manche Leute von Ihnen haben: dass Sie eine sonderbare Frau sind.

Mein Freund arbeitet in einem Buchladen, und manchmal fragen ihn Kunden, deine Freundin, ist die seltsam? Er sagt dann, nein, eigentlich nicht, eher entspannt und ruhig. Ich nehme einfach auf, was in der Musik passiert. Wenn sie dunkel ist, dann werde ich dunkel, und wenn sie laut und dramatisch ist, werde ich laut und dramatisch. Ich mag es einfach, wenn Sachen dich überrollen, wie eine Flutwelle. Jörn Schlüter

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