Onkel Syds Geschichte

BARBICAN, LONDON. Es war ein surreales, oder sagen wir in diesem Fall: psychedelisches Erlebnis in den Garderobengängen des Barbican. Kevin Ayers huschte in weißen Sneakers um die Ecke, Dämon Albarn saß, an seinem Strohhut nestelnd, gelangweilt herum, aus einem Lautsprecher trötete es „Captain Sensible stand by“, Joe Boyd umarmte Vashti Bunyan, und Nick Mason brühte sich am Heißwasserautomaten einen Tee auf. In den Vorankündigungen war „Madcap’s Last Laugh“ eher klein gehalten worden, aber keine Frage: Großes lag in der Luft.

Der Abend begann wie eine Schulaufführung mit einem Jugendchor, der wacklig „Bike“ aufführte. Die Lichtprojektionen der Boyle-Familie sorgten – wie früher im Londoner UFO-Cub – für Blasenblubber-Stimmung. Captain Sensible und Monty Oxy meron von The Damned fackelten mit der Hausband des Abends um Oasis-Bassist Andy Bell „Flaming“ ab, bevor Zeitzeuge Kevin Ayers leicht tüddeligdie Bühne betrat und mit „Here I Go“, das Barrett in den Sechzigern im Ayers-Stil schrieb, und der eigenen Syd-Würdigung „Oh! Wot A Dream“ für den ersten rührenden Moment der Show sorgte. Ein Lufthauch der Geschichte ließ die Augen feucht werden.

Nick Laird-Clowes, der Mann mit dem kleinsten musikalischen Vermächtnis des Abends („Life In A Northern Town“ seiner Band Dream Academy), warf sich in die größten Posen, führte sich bei „Baby Lemonade“ auf wie der reinkarnierte Syd, die Bees und die Neo-Folkies Neulander dagegen erstarrten auf der Bühne in Ehrfurcht. Der koboldhafte Mike Heron zauselte sich liebenswert durch „Matilda Mother“, doch erst Kate McGarrigle, Tochter Martha Wainwright und Nichte LilyLanken zeigten, dass ein solch weihevoller Abend nicht frei von Inspiration sein muss. Martha habe den Text nicht drauf, tadelte Kate McGarrigle nach einer betörenden Version von „Golden Hair“, statt zu üben habe sie lieber die ganze Nacht über gefeiert. Die Stimmung auf den Rängen löste sich, und die drei Grazien improvisierten herzerweichend „See Emily Play“.

Wurde man hier der Zeuge von großer Musikalität gepaart mit sympathischer Bescheidenheit, folgte das Gegenteil auf dem Fuße. Das Auditorium erhob sich fast komplett, als Roger Waters gebückt, als trüge er die Erdenkugel auf seinen Schultern, die Bühne betrat. Er redete von sich, seiner Scham, seiner Kunst, setzte sich auf einem Schemel und dilettierte auf der Akustischen ein Lied („Flickering“), in dem nach etwa vier Minuten ein Freund stirbt. Danach gingen die Lichter zur Pause an.

Der zweite Teil begann ähnlich unspektakulär wie der erste, erst Dämon Albarn gelang es, Barretts Geist zurück in die Gegenwart zu holen. Nicht mit seiner naseweisen Aufführung der apokryphen Wortreihung“Word Song“, sondern indem er Syds Neffen Ian auf die Bühne holte. Ein Mittzwanziger, der sich nach einigen Zügen an Albarns Joint und vielen „don’t knows“ im Namen von „Uncle Rog“ bedankte. Plötzlich wurde einem bewusst, dass der an diesem Abend Geehrte ja nicht mit dem letzten von ihm überlieferten Ton gestorben war, sondern bis vor knapp neun Monaten noch im Schöße der Familie vegetierte und in Shorts und Schlabber-T-Shirt Zeitung holen gegangen war. Dieses Schockerlebnis war wohl der Grund dafür, dass Captain Sensibles, Astronome Domine“ und Robyn Hitchcocks „Terrapin“ und „Gigolo Aunt“ (mit John Paul Jones an der Mandoline) so unvermittelt trafen. Chrissie Hynde schrummelte das Publikum dann mit „Dark Globe“ und „Late Night“ uninspiriert und überfordert zurück indie Geschichtsstunde. Joe Boyd hielt eine kleine Ansprache und kündigte „Pink Floyd“ an. Tatsächlich standen und saßen da Dave Gilmour, Richard Wright und Nick Mason und spielten „Arnold Layne“. Roger Waters hatte das Gebäude schon in der Pause verlassen – wie Mike Heron mir später erzählte, hätte er eigentlich noch „Shine On You Crazy Diamond“ spielen sollen. Stattdessen gab es das große Finale mit allen (bis auf einen) Beteiligten. „Bike“ wehrte sich allerdings gegen das Live-Aid-Pathos, das solche Staransammlungen verströmen. Da wird er noch einmal gelacht haben, der Madcap.

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