Outet euch!

Eigentlich ist es kein thema, schon klar. Denn die Fußballfans sind ja gar nicht mehr so intolerant, wie ihnen einst nachgesagt wurde. Es gehen ja bereits seit Jahren Schwule (und Frauen!) ins Stadion, betreiben gar eigene Fanclubs. Und die Gesellschaft ist ja auch schon längst weiter, nicht wahr? Das merkt man doch an den positiven Reaktionen -Internet, Fußballverbände, Regierung, deutsche und britische übrigens. Ach ja, und die paar Schwuchtel-Rufe auf den Schulhöfen der Zehnjährigen, die paar öffentlich diffamierenden Stammtische, und die paar homofeindlichen Russen geschenkt.

So einfach ist es aber eben leider nicht. Das wusste auch der tapfere und schlaue Hitzlsperger, der eloquent und medienerfahren genug ist, sein Outing mehrsprachig und punktgenau zu lancieren. Und der damit, indem er einen für seine sportliche Qualität natürlich komplett unerheblichen persönlichen Fakt öffentlich macht, beweist, was manche Menschen aus genau den falschen Gründen unter den Tisch kehren wollen: Die Welt ist nicht so vorurteilsfrei, wie sie sein soll. Sonst würden dunkelhäutige Spieler nicht nach wie vor Ressentiments erfahren. Bei der Sportberichterstattung würde nicht nach wie vor mit zweierlei Maß gemessen -was bei Leichtathletik Usus ist, das gleichmäßig aufgeteilte Beobachten von männlichen und weiblichen Athleten, deren Leistungen niemand je vergleichen würde, klappt weder beim Fußball noch beim Boxen. Und man würde nicht nach wie vor die „Bastion der Männlichkeit“ herbeizitieren, ein Begriff, der den Bedarf zur Verteidigung bereits in sich trägt. Genau wie der Hort. Eine Bastion, einen Hort muss man gegen Angriffe von außen verteidigen, schützen. Sonst kommen womöglich Schwule hinein und breiten sich aus.

Hitzlsperger musste sich outen, und viele, noch aktive Sportler und Sportlerinnen müssen folgen, und zwar solange, bis keiner mehr die Seite eins dafür frei räumt, oder das Thema einer Talkshow kurzfristig ändert. Und das Argument, bei offen lesbischen Sportlerinnen sei das alles doch gar nicht mehr wichtig, zieht in diesem Fall nicht: Erstens haben besagte Heteromänner, jene Menschen, von denen unsere Kinder das „Schwuchtel!“-Rufen lernen, mehr Angst vor Schwulen als vor Lesben. Zweitens spüren Fußballer den Druck, der sich durch ihre spezielle Beziehung zu den auditiv präsenten Fans und deren merkwürdigem Glauben aufbaut, eigentlich alles besser beurteilen zu können als der Trainer, viel stärker als die Profis in anderen Sportarten: In der Leichtathletik oder beim Wintersport beschränken sich die Anhänger meist aufs begeisterte Jubeln und Durchhalte-Plakate-Schwenken, und geben nicht alle naselang O-Töne darüber ab, wen man eher in den Kader berufen hätte sollen.

Und drittens wird mit Profifußballerinnen schlichtweg weniger Profit gemacht. Insofern könnte man sich fast freuen, dass Steffi Jones für die Weight Watchers ins Fernsehen darf. Aber im Gegensatz zum nutellaschleckenden Özil müssen viele Zuschauer bei Jones das eingeblendete Insert mit Namen und Funktion lesen, um zu verstehen, dass das hier ebenfalls ein Testimonial ist.

Am schönsten wäre ohnehin, wenn sich aus Solidarität jetzt die gesamte brasilianische Nationalmannschaft auf einmal outen würde. Kaká, Paulinho, zusätzlich auch noch Ronaldo und Ronaldinho, der sich zu dem Anlass ruhig ein paar regenbogenfarbene Perlen in seine Haare flechten lassen könnte. Dann die Italiener: Der aggressive de Rossi, der in jeder Schwulenbar Chancen hätte. Buffon, der seine Modelfrau verlassen müsste. Und der wunderbare Nebeneffekt eines öffentlichen Homo-Bekenntnisses Rafael van der Vaarts wäre, dass endlich seine Ex-oder aktuelle Freundin nicht mehr den Boulevard zuklebte.

Aber das dauert alles noch. Hitzlsperger ist ein Anfang, in Sotschi gäbe es aktuell die Möglichkeit, einer Weltöffentlichkeit und einer repressiven Regierung gleichzeitig ein paar Toleranzfingerübungen vor den Latz zu knallen. Denn bis nicht mehr fast jedes schwule/lesbische Paar, das sich in der Öffentlichkeit anfasst oder küsst, von verbalen Anfeindungen bis hin zu Gewalterfahrungen berichtet, müssen sich mindestens noch zwei Nationaltrainer, drei Bondgirls und 21 Generalinspekteure der Bundeswehr in Folge outen.

Im nächsten Heft kommt der Typewriter wieder von Uwe Kopf.

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