Paul Weller: „Didn’t we have a nice time? „

Mit professionellen Kritikern hadert Paul Weller schon sein Leben lang. Nun kommt er selbst zu Wort und beurteilt für den ROLLING STONE seine eigene Discografie - durchaus auch skeptisch, wie sich herausstellt.

The Jam – In The City (1977)

„In The City“ war unser erstes Album. Ich war vorher schon mal in einem Studio gewesen, aber das war die erste professionelle Aufnahme. Im Prinzip haben wir nur unser Live-Programm gespielt, also eigentlich recht leicht. Hat nur eine Woche oder zehn Tage gedauert. Wir haben gemacht, was man uns gesagt hat, weil wir keine Ahnung hatten. Die Produzenten haben mich gezwungen, die Gitarren zu doppeln, was ich blöd fand, weil es nicht so klang, wie wir live klangen. Aber wahrscheinlich hatten sie Recht. Und ich war zu jung, um zu diskutieren. Und zu froh, dass ich ein Album aufnehmen durfte.

Als die ersten Exemplare ankamen, bin ich fast durchgedreht. Unser eigenes Album!

Höhepunkt: „In The City“

Erfolg: Platz 20 in den UK-Charts

The Jam – This Is The Modern World (1977)

Die Songs für unser Debüt hatten wir zwei Jahre lang gespielt. Dann sollten wir plötzlich innerhalb von ein paar Monaten ein neues Dutzend parat haben, obwohl wir dauernd auf Tournee waren und gar keine Zeit zum Songschreiben hatten. Irgendwie haben wir es geschafft. Wenn auch eher lausig.

Der Druck war immens, aber insgesamt finde ich es gut, wenn man jedes Jahr mindestens ein Album machen muss, so wie damals. Vielleicht leidet die Qualitätskontrolle etwas, aber man rostet nicht ein. Heute gibt es ja Bands, die in zehn Jahren nur zwei Alben aufnehmen. Für mich wäre das nichts. Ich denke immer: Wenn meine Zeit abgelaufen ist – hoffentlich noch nicht allzu bald! -, habe ich viel, auf das ich zurückblicken kann.

Höhepunkt: „Life From A Window“

Erfolg: Platz 22 in den UK-Charts

The Jam – All Mod Cons (1978)

Meine Art, Songs zu schreiben, hatte sich verändert. Ich hatte eingesehen, dass das eine richtige Kunstform ist, die man ernstnehmen und pflegen sollte. Ray Davies war damals ein großer Einfluss für mich. Wir haben dann ja auch eine Version von „David Watts“ aufgenommen. Vor allem hat mir aber seine sehr englische Art gefallen, und dass seine Lieder richtige kleine Geschichten erzählten – so wie ich das dann auch bei „Down In The Tube Station At Midnight“ gemacht habe.

Höhepunkt: „To Be Someone (Didn’t We Have A Nice Time)“

Erfolg: Platz 6 in den UK-Charts

The Jam – Setting Sons (1979)

Der Erfolg von „All Mod Cons“ war ein guter Tritt in den Hintern: Wir hatten mehr Selbstbewusstsein und strengten uns dann noch mehr an. Wir mussten, dass die Leute gespannt auf „Setting Sons“ sind. „The Eton Rifles“ war der erste Song, den dann auch Radio 1 spielte. Vorher stellten sie sich ein bisschen an, aber zu dem Zeitpunkt mussten sie zugeben, dass wir wirklich beliebt sind. Da explodierten wir praktisch, was den Mainstream-Erfolg anging. Ich war damals ja selbst auch fast noch ein Teenager, aber im Publikum standen dann richtig junge Kids: 12-, 13-Jährige. Unglaublich. Manche sehe ich jetzt noch, inzwischen als 40-Jährige, und wundere mich, dass sie immer noch da sind.

Heutzutage kann ich zum Beispiel „Saturday’s Kids“ nicht mehr spielen. Ich liebe den Song, aber die Zeit ist einfach vorbei. Es fühlt sich falsch an, wenn ich ihn heute singe.

Höhepunkt: „The Eton Rifles“

Erfolg: Platz 4 in den UK-Charts

The Jam – Sound Affects (1980)

Das ist wohl mein Lieblingsalbum von The Jam – ein wirklich reifes Album mit einem tollen Sound. „Going Underground“ war der typische Jam-Sound, aber ich hatte damals das Gefühl: Damit sind wir jetzt durch. Es musste in eine andere Richtung weitergehen – und das ist uns mit „Sound Affects“ gelungen. „That’s Entertainment“ ist hier in England inzwischen so etwas wie eine Nationalhymne, es ist praktisch öffentliches Eigentum – was ich natürlich großartig finde. Ich will ja nicht morbid klingen, aber das Leben geht so schnell vorbei, da freut man sich doch, wenn man etwas Bleibendes hinterlassen kann. Wenn ich mal tot bin, wird es sicher immer noch Leute geben, die in irgendeinem Pub bei „That’s Entertainment“ mitsingen. Höhepunkt: „That’s Entertainment“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

The Jam – The Gift (1982)

Ich mag das Album, da sind immerhin „Town Called Malice“, „Precious“, „Carnation“ drauf. Aber mir war schon am Ende der Aufnahmen klar, dass das Kapitel bald abgeschlossen ist. Ich musste weiter. Natürlich war es schwer, eine so erfolgreiche Band aufzugeben, aber ich glaube, mit 30 oder 40 wäre es noch viel schwerer gewesen. Wenn man so jung ist, hat man weniger Angst. Ich war außerdem sehr stur und habe auf niemanden gehört. Die Band war natürlich unglücklich, mein Dad als unser Manager war unglücklich. Aber wenn ich mich einmal zu etwas entschlossen habe, bin ich nicht mehr umzustimmen.

Ich war damals schon zehn Jahre lang bei The Jam – seit ich 14 war. Es war Zeit für eine Veränderung. Ich musste herausfinden, wer ich bin und wer ich noch sein könnte – ohne die Band.

Höhepunkt: „Town Called Malice“

Erfolg: Platz 1 in den UK-Charts

The Style Council – Introducing (1983)

Zu dem Zeitpunkt wollte ich eine lockerere Band. Der Nukleus von Style Council waren ich und Mick Talbot, aber für fast jeden Track kamen noch andere Leute dazu. Das gab dem Ganzen etwas Frisches.

Damals wollte ich außerdem, dass jedes Album ganz anders klingt – und eigentlich auch jeder einzelne Song. Wir haben ja zuerst sowieso nur Singles veröffentlicht – die dann gar nicht auf ein Album kamen. Dass dieses „Introducing“-Album überhaupt veröffentlicht wurde, lag wohl daran, dass die Plattenfirma etwas Geld machen wollte. In England war es kein reguläres Album, das kam erst mit „Cafe Bleu“.

Höhepunkt: „Speak Like A Child“

Erfolg: Im UK nicht veröffentlicht.

The Style Council – Cafe Bleu (1984)

Ich weiß nicht, ob die Songs zusammenpassen, ob sie ein richtiges Album ergeben. Für uns war das damals alles ein großes Experiment, dessen Ausgang ungewiss war. Damals waren wir eben auch eher an einzelnen Stücken interessiert. Das waren ja die letzten großen Tage der Single. Für mich war das eine eigene Kunstform. Mir gefällt auch die Idee, dass die Leute heute noch bestimmte Singles suchen, weil sie eine obskure B-Seite hören wollen.

Höhepunkt: „My Ever Changing Moods“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

The Style Council – Our Favourite Shop (1985)

Immer noch mein liebstes Style-Council-Album. Damals hatten wir eine bestimmte Arbeitsweise gefunden – und auch ein festeres Personal: abgesehen von mir und Mick noch (Schlagzeuger) Stevie White und Dee C. Lee (Sängerin und damals Wellers Frau), Camelle Hinds am Bass. Es fühlte sich eher wie eine Band an, deshalb war der Sound auch kohärenter als auf den ersten beiden Alben. Wir spielten wirklich gut zusammen, und die Songs stimmten ebenfalls – wie der Opener „Heartbreakers“. Das Album war dann tatsächlich auch Nummer eins – was The Jam nur einmal gelungen war.

Höhepunkt: „Walls Come Tumbling Down“

Erfolg: Platz 1 in den UK-Charts

The Style Council – The Cost Of Loving (1987)

Es ist ja so ein moderner Mythos, dass The Style Council nicht erfolgreich waren. Das stimmt aber gar nicht. Jede Single war in den Top Five, die Alben Nummer eins oder zwei. Wir spielten große Gigs. Bei „The Cost Of Loving“ haben wir uns wohl etwas zu sehr auf die Studio-Technik der 80er-Jahre verlassen, das hört man heute nicht mehr so gern. Ich zumindest nicht.

Höhepunkt: „It Didn’t Matter“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

The Style Council – Confessions Of A Pop Group (1988)

Ich mag dieses Album immer noch. Ich war damals sehr überrascht davon, dass es so vielen Leuten nicht gefallen hat. Es war doch recht mutig und anders – und ich war sicher, dass es gut ankommen würde. Überraschung! Wir haben nicht absichtlich komisches Zeug aufgenommen. Mir gefallt diese Geschichte mit den zwei sehr unterschiedlichen Seiten und den Einflüssen diverser Komponisten – Ravel, Debussy, Satie -, aber die Leute haben es gehasst. Wir waren damals sowieso schon auf dem absteigenden Ast. Am Ende von The Style Council hat uns die Presse wirklich niedergeknüppelt. Wahrscheinlich war es egal, wie das Album tatsächlich war, es wäre sowieso den Bach runter gegangen.

Höhepunkt: „Changing Of The Guard“

Erfolg: Platz 15 in den UK-Charts

The Style Council – Modernism: A New Decade (1989/1998)

Für mich ist das ein reguläres Album. Es wurde ja gemacht, um veröffentlicht zu werden auch wenn es erst ungefähr zehn Jahre später auf einem Boxset herauskam. A bit of justice in the end! Dass die Plattenfirma das Album damals ablehnte, hatte aber vor allem finanzielle Gründe, es ging weniger um die Musik.

Damals war ich natürlich geschockt. Aber wenn ich heute zurückblicke, muss ich schon sagen, dass mein Ego außer Kontrolle war. So ein Schlag ins Gesicht – den Plattenvertrag zu verlieren! – war gut für mich. Damals hörte ich auf gar niemanden mehr, hatte nur noch große Visionen. Das war wie ein Weckruf, zurück in die Realität.

Das Ende von Style Council war aber sowieso schon besiegelt, „Modernism“ hin oder her. Ich und Mick langweilten uns einfach. Er hatte ein Kind bekommen, Dee und ich erwarteten unser erstes. Es war Zeit, sich zu verabschieden. Die Band war nicht mehr so wichtig – es ging um Kinder, Häuser kaufen, sich weiterentwickeln. Höhepunkt: „The Spiritual Feeling“

Erfolg: (Erst 1998 auf dem Boxset „The Complete Adventures Of The Style Council“ veröffentlicht)

Paul Weller – Paul Weller (1992)

Damals hatte ich keine Ahnung, ob ich überhaupt noch ein Publikum habe – und in gewisser Weise war das eine befreiende Vorstellung. Wenn sich vielleicht gar keiner dafür interessiert, kann man machen, was man will. Ich habe das erste Solo-Album mehr oder weniger für mich selbst gemacht.

Es gibt bei mir sowieso nie einen Plan oder eine Formel. Ich muss immer lachen, wenn Plattenfirmen Alben an Ostern, Weihnachten oder am Vatertag veröffentlichen wollen. Was soll das bringen? Ein gutes Album ist ein gutes Album, that’s it. An diesem hier gefällt mir, dass es so viele unterschiedliche Einflüsse hat – Soul, Funk, ein bisschen Jazz. Die Aufnahmen machten Spaß. Ich hatte nur einen Deal mit einer japanischen Plattenfirma, deren Geld das Album überhaupt erst möglich machte. Ziemlich komisch. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran, warum ich damals nicht mehr Geld hatte. Ich war aber auf jeden Fall kein Multimillionär oder so.

Höhepunkt: „Remember How We Started“

Erfolg: Platz 8 in den UK-Charts

Paul Weller – Wild Wood (1993)

Von den meisten Songs für „Wild Wood“ hatte ich schon während der Aufnahmen für das Debüt Demos gemacht, ich hatte einen kreativen Lauf. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich über die Verwirrung am Ende von Style Council hinweggekommen war. Dann habe ich Folk-Musik für mich entdeckt, Nick Drake, Tim Hardin und so. Das war ein großer Schritt weg vom eher engstirnigen Mod-Verständnis. Ich habe Musik nicht mehr in kleine Schubladen gepackt, sondern verschiedene Ansätze gelten lassen. Ich habe auch zum ersten Mal mehr mit der akustischen Gitarre komponiert.

Höhepunkt: „Sunflower“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

Paul Weller – Stanley Road (1995)

Von „Stanley Road“ spielen wir live immer noch viele Songs, das sagt ja schon einiges über die Langlebigkeit des Albums. Vielleicht sind die ersten beiden Solo-Alben so was wie der Auftakt für dieses dritte. Da kam alles zusammen, alles passte. Durch die vielen Konzerte hatte ich ein enormes Selbstbewusstsein, was das Spielen betrifft, und die Lieder kamen wie von selbst. Einmal kam auch Noel Gallagher vorbei, trank ein paar Gläser und musste dann ein bisschen mitspielen.

Höhepunkt: „The Changingman“

Erfolg: Platz 1 in den UK-Charts

Paul Weller – Heavy Soul (1997)

Ich hatte damals eine sehr schwierige Phase, mit Drogen, Alkohol und so. Das vernebelt meine Erinnerungen an das Album ein bisschen man kann die persönlichen Erlebnisse immer schlecht von den Songs trennen. Aber ein paar gute Stücke gibt es da neben den beschissenen auch, oder? „I Should Have Been There To Inspire You“ und „Up In Suze’s Room“ mag ich immer noch. Selbst auf dem schwächsten Album findet man immer noch ein paar ordentliche Stücke. Im Großen und Ganzen schneide ich in den 33 Jahren nicht schlecht ab.

Höhepunkt: „Science“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

Paul Weller – Heliocentric (2000)

Das Album hat ewig gedauert. Nicht das eigentliche Aufnehmen, sondern das Fertigstellen. Daran erinnere ich mich mit Grauen: wie ich hinten im Studio sitze und der Mix einfach nicht fertig wird. Irgendwann dachte ich nur noch: Gott, das muss doch möglich sein! Ich habe versucht, sie mit Geld zu bestechen, mit physischer Gewalt zu drohen …Just fucking finish it! Am Ende habe ich das Album gehasst, obwohl es gar nicht so übel ist. Die Songs sind etwas zu lang. Ich hatte viel Text unterzubringen, aber manches hätte knapper sein sollen.

Höhepunkt: „Sweet Pea, My Sweet Pea“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

Paul Weller – Illumination (2003)

Ich weiß nicht genau, ob ich dieses Album mag. Ein Stück liebe ich, „Who Brings Joy“ – ein wunderschönes Schlaflied. An den Rest erinnere ich mich kaum, was schon mal ein schlechtes Zeichen ist. Können dann ja nicht so großartige Songs sein.

Höhepunkt: „One X One“

Erfolg: Platz 1 in den UK-Charts

Paul Weller – Studio 150 (2004)

Ich hatte gerade keine Lust, neue Songs zu schreiben, also kam ich auf die Idee, ein Cover-Album aufzunehmen. Sozusagen ein Urlaub vom Songschreiben. Da war ich zum ersten Mal in Amsterdam im Studio, was viel Spaß gebracht hat. Ich habe gern die Stücke von anderen Leuten interpretiert – einfach nur Sänger zu sein, nichts Anderes, das war angenehm.

Höhepunkt: „Wishing On A Star“

Erfolg: Platz 2 in den UK-Charts

Paul Weller – As Is Now (2005)

Nach der Schreibpause hatte ich sehr viele Stücke, da hatte ich wieder einen Lauf – viel Ehrgeiz, viel Freude daran. Kommerziell lief es nicht so toll, aber die Single „From The Floorboards Up“ war immerhin Top Ten. Hat mich trotzdem überrascht, dass es nicht so toll ankam. So wichtig sind mir Verkäufe allerdings sowieso nicht mehr – obwohl ich natürlich eine Menge hungrige Mäuler zu stopfen habe.

Höhepunkt: „Here’s The Good News“

Erfolg: Platz 4 in den UK-Charts

Paul Weller – 22 Dreams (2008)

Da war ich wirklich mal überrascht, dass die Leute so positiv reagiert haben! Sie hätten mir ja auch vorwerfen können, dass ich jetzt etwas übertrieben habe – ein Doppelalbum, also wirklich. Aber offensichtlich haben viele verstanden, was ich damit erreichen wollte. Das Album ist wie eine Geschichte, die einen von Anfang bis Ende fesseln soll kein Album, bei dem man mal reinhört und sofort mitkommt. Da muss man sich schon etwas Mühe geben. Ich bin ohne die Band ins Studio gegangen, weil ich einen frischen Sound wollte, nicht das Gewohnte. Simon Dine spielte beim Arrangieren und Produzieren der einzelnen, sehr unterschiedlichen Teile eine große Rolle.

Lustigerweise haben einige Kritiker bei ihrem Lob für „22 Dreams“ erwähnt, dass „Confessions Of A Pop Group“ damals ja auch gar nicht so übel war. Da ist man jetzt wohl gnädiger. Manchmal lohnt es sich zu warten, bis der Wind sich dreht. Es muss nur viel Zeit vergehen. Einige Maler haben zu Lebzeiten ja auch kaum Anerkennung bekommen – aber kaum schneidet man sich das Ohr ab oder stirbt, wird man geliebt.

Höhepunkt: „Why Walk When You Can Run“

Erfolg: Platz 1 in den UK-Charts

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