Performance: Swans in der Volksbühne
Die Swans gelten als Pioniere des New Yorker No Wave und sind neben Sonic Youth einer der wenigen Acts, die sich bis zur Jetztzeit halten konnten. Die Anfang Januar angekündigte Swans-Reunion führte die Band um Michael Gira am Montag nach Berlin. Unser Autor war dort.
Es ist wohl der absurdeste, der fieseste Moment dieser absolut großartigen, in Noise-Kaskaden getränkten Publikumsbeschimpfung. Da tritt Bassist Chris Pravdica nach einer weiteren fff-Walze ans Mikrofon und spielt eine Minute solo: Maultrommel. Das Publikum in der vollbesetzten Berliner Volksbühne, bereits größtenteils schwer in den Theatersitzen hängend, richtet sich langsam wieder auf. Der Song, live in seiner lärmenden, extensiven Fratze (man denke an das Cover von „Filth“ aus dem Jahr 1983) kaum wiederzuerkennen, heißt: „You Fucking People Make Me Sick“.
Im Januar diesen Jahres war die Nachricht bei Myspace aufgeblinkt: „Swans are not dead“. Der große, zynische Apokalyptiker Michael Gira hatte, in Anspielung auf das letzte Live-Album aus dem Jahr 1998, seine legendär minimalistische, dabei über die Jahre extremst wandlungsfähige No Wave-, Industrial-Band reaktiviert. Von einer Reunion wollte Gira jedoch erst gar nicht sprechen: „Dies ist kein blödsinniger Akt der Nostalgie. Es geht hier nicht darum, die Vergangenheit zu wiederholen“. Solch eine verwegene Koketterie liebt man an der seit jeher verschlagenen Castorf-Bühne.
Im September war „My Father Will Guide Me Up a Rope to the Sky“ erschienen, das erste Swans-Album seit „Soundtracks For The Blind“ aus dem Jahr 1996. Gira hatte mit Ausnahme von Sängerin Jarboe alte Weggefährten um sich geschart, mit denen er Akustik-Skizzen für sein Solowerk und sein Projekt Angels of Light in einer entgrenzenden dreiwöchigen Tour de Force in ein folkiges, schweres, episches Post-Rock-Album transformiert hatte, dass für die bis zum Sommer 2011 angesetzte World Tour jedoch nicht mehr als einen losen Anknüpfungspunkt bildet.
Dies wird auch in der Volksbühne, 26 Jahre nach dem ersten Swans-Konzert in Berlin, schnell deutlich. Der finalen Theater-Klingel, die das Publikum in seine Sitze treibt, folgt ein minuntenlanger Drone-Grundton, ehe mit Schlagzeuger Phil Puleo und Perkussionist Thor Harris die beiden beeindruckendsten Nebenprotagonisten des Abends die abgedunkelte Bühne betreten. Puleo steuert stoisch metallisches Geklöppel bei, der beeindruckend muskulöse Harris – unter anderem bei Shearwater aktiv – schlägt mit Hämmern rhythmisch auf Röhrenglocken ein, deren sakrale Schwingungen den Zuschauerraum füllen. Er wird im Verlauf des Abends furios zwischen zweitem Drum-Set, großem Gong und Röhrenglocken um sich schlagen.
Einzig eine Show-Einlage wird dem Duo Puleo/Harris nicht gelingen. Für das gemeinsame Schlagzeug-Fortissimo am Ende des Konzerts sind zuvor zu viele Drumsticks zersplittert. Doch zurück zum Beginn: Es folgt der Auftritt von Bassist Pravdica mit verzerrtem Bass, wenig später schiebt sich auch Michael Gira mit den Gitarristen Norman Westberg und dem Berliner Kristof „Justice“ Hahn ins Scheinwerferlicht. Dem umtriebigen Rockgitarristen Hahn hatte der Tagesspiegel am Wochenende eine halbseitige Laudatio gewidmet. An diesem Abend traktiert er lässig Kaugummi kauend und zumeist einarmig eine Pedal-Steel-Gitarre.
„No Words / No Thoughts“ ist wie auf dem aktuellen Swans-Album der Opener, nur wird er von der sechsköpfigen Band bei voll aufgedrehten Boxen (und dennoch gutem Sound) zu einer Wall of Sound pervertiert, die nach den schmerzhaften Erfahrungswerten des Autors nur noch von einer Club-Show von My Bloody Valentine übertroffen wird. Gira, dem man den Verzicht auf die früher geradezu rituelle Entblößung mittlerweile nachsehen kann, verzieht das Gesicht, brüllt am Mikro vorbei, geht in die Knie. Es ist wohl diese Ahnung einer überirdischen Erfahrung, die ihn nach eigener Aussage bewogen hatte, wieder als Swans aufzutreten. Gira sei bereits fast taub und benutze trotzdem keine Ohrenstöpsel, hat Hahn dem Tagesspiegel erzählt, er sei sich auch nicht sicher, ob alle Bandmitglieder die kräftezehrende Tour bis zum Ende durchhalten.
Mit dem entindustrialisierten „Your Property“ vom 1984er-Album „Cop“ und dem schwer groovenden „Sex, God, Sex“ vom 1987er-Album „Children of God“ folgen zwei ältere Stücke, bei denen Gira nicht nur seine teuflische Orchesterwerkstatt dirigiert, sondern sich in der Pose mit ausgebreiteten Armen zum ermahnenden Prediger aufschwingt. „Praise God, Praise The Lord“, gurrt Gira, am Ende brüllt gedehnt er in die einsetzende Stille: „Jesus, Come Down“. Das ist in seiner unmittelbaren, chronischen Wucht doch sehr beeindruckend und alles andere als pathetisch, wenngleich einem dieses lärmende Wellenbad im Lauf des Abends tatsächlich immer schwerer im Magen liegt. Geradezu genüsslich ertränken Swans dabei auch die songwriterischen Qualitäten des aktuellen Albums.
Vom Gospel-Rock von „Jim“ bleibt nur der schwere Groove übrig, „My Birth“ und das marschierende „Eden Prison“ steigern sich in gut zehnminütige Lärmorgien, die einen wie die alten Songs „Beautiful Child“ und „I Crawled“ angeregt-ermattet im Theatersitz versinken lassen. „We are free“, singt Gira in letztgenanntem Song zu völlig entgrenzter Lautstärke mantraartig, dass es auf den gefangenen Zuschauer wie Hohn wirken muss. Tatsächlich ist man gerne geblieben, gar Standing Ovations gibt es am Ende für Swans, bevor sich Gira unverstärkt mit der Zugabe „Little Mouth“ verabschiedet: „May i find your arms around my neck / and my i find your little mouth inside of this bed“.
Christoph Dorner