Peter Lau über das Scheitern etablierter Printmedien an der Pop-Welt und die Ängste der Musikjournaille vor dem Götzen „Leser“

Ende 1998, die Zeit der Jahresrückblicke: Klug, wehmütig, fröhlich, trist oder schlicht stumpf werden die letzten 12 Monate zusammengefaßt, begleitet von beliebigen Statistiken für neurotische Mitbürger, und stets leuchtend im Glanz der eigenen Wichtigkeit. In der „taz“ wird in einer gesellschaftspolitischen Interpretation des Musikjahres implizit Leni Riefenstahl der deutschen Romantik zugeschlagen, wozu man nun so etwas sagen könnte wie: putzig, oder: naja. Aber dann hält man besser die Klappe, denn eigentlich muß man sich freuen: Da macht sich jemand Gedanken über Musik jenseits subjektiver Geschmacksentscheidungen oder alberner Szeneghetto-Diskurse, faßt die Entwicklungen, Tendenzen und Fakten (Verkaufezahlen) zusammen und zieht dann daraus Schlüsse auf Welt, Leben, Politik, Menschen und Gesellschaft Eine tolle Sache. Oder?

Nein, nicht wirklich. Eher eine selbstverständliche. Denn es ist schon so lange klar, daß es zwischen Freizeitverhalten und sozialer Entwicklung einen Zusammenhang gibt, daß man sich kaum traut, daran überhaupt noch einmal zu erinnern. Trotzdem findet eine Auseinandersetzung mit aktueller Musik in der Presse fast nicht statt, zumindest nicht jenseits famoser Klischees wie: Rammstein (Witt, Wolfsheim etc.) sind Faschismus-verniedlichend/-verherrüchend/-fördernd. Madonna ist primär eine Popsoziologin, die stets weiß, was abgeht. Neger leben im Ghetto, sind sozial benachteiligt bzw. aggressiv und machen deswegen HipHop. Techno bzw. der DJ bzw. Elektromusik sind jung und modern, aber auch komisch, und man weiß das nicht genau, aber Musik ist das eher nicht Und so wehet Die Faustregel für den Quatsch lautet: Je etablierter, intellektueller und kulturkritischer sich ein Blatt gibt, um so grotesker seine Berichterstattung.

Musterbeispiel ist leider mal wieder „Die Zeit“, die Pflichtlektüre für alle, die als Progressive angefangen haben und heute als etablierte Neokonservative den Kulturverfall im allgemeinen und das Desinteresse an toten Dichtern im besonderen beweinen: Während jede Theaterpremiere in der Provinz Anlaß zu einem endlosen Riemen ist, erscheint die erheblich relevantere, weil weit verbreitete Chart-Musik nur am Rande, und das auch noch eher inkompetent – von den Ausführungen Thomas Mießgangs einmal abgesehen. Immerhin gönnt sich „Die Zeit“ aber wenigstens ein drolliges Minderheitenmusik-Plätzchen, wo CDs mit Verkaufeerwartung im zweistelligen Bereich besprochen werden. Das ist hübsch und allemal interessanter als die Arbeit der Konkurrenz, die sich ganz der Hof berichterstattung bzw. dem Promotion-Journalismus hingibt Unschlagbar in diesem toten Rennen sind ohnehin ja „Spiegel“ und „Focus“, beides Bastionen der Ahnungslosigkeit, die sich ihre Pop-News gleich von der Industrie schreiben lassen könnten. Ach ja, der „Stern“: Gibt’s den eigentlich noch?

Leider sieht es auch nicht so aus, als würde es jemals besser werden: Neulich erschienen wieder ein paar neue „junge“ Titel von denen man enttäuscht war, sobald man nur irgendwas erwartete. In „IQ“ wurden potentielle Informationen in einem Kraut-und-Rüben-Layout vergraben. „Blond“ stellte sich ganz so, wie’s der Titel nahelegt Und „Park“ war, trotz des schönsten Layouts und der besten Fotos, der traurigste Fall. Man muß sich das vorstellen: Eine Redaktion, die dank einer extrem günstigen Kalkulation fast null Druck und somit freie Hand hat, produziert ein Heft voller Texte, die sich lesen, ab wären die Autoren mit vorgehaltenen Waffen zum Schreiben gezwungen worden, über Themen, deren Obskurität höchstens noch von ihrer Irrelevanz übertroflen wurde.

Die Gründe für das Scheitern der etablierten Printmedien an der Pop-Welt sind dagegen nicht so einfach festzumachen. Sicherlich gibt es Fälle persönlicher Inkompetenz, aber die sind Ausnahmen. Die Regel scheint eher eine Folge der grassierenden Angst vor dem Leser zu sein: Während sich Zeitungen früher als autonome Objekte verstanden, die ihrem Publikum Wissen, Werte und die Welt vermittelten, wird heute mit Blick auf die Verkäufe dem Leser nur gnadenlos hinterhergeschleimt und -gekrochen. Beraten von marketinggeschulten Jünglingen, werden die Bedürf hisse der Käufer imaginiert, oft mittels fragwürdiger Marktforschung, manchmal jedoch auch nur aus dem hohlen Bauch (bzw. Kopf).

Die Grundannahmen sind dabei immer dieselben: Der Leser will 1.) seine Lektüre knapp und informativ, da er eigentlich lieber Fernsehen würde. Der Leser will 2.) eine gewisse Relevanz, die sich etwa bei den Charts aus den Verkaufezahlen ergibt – die jedoch bei Redaktionschluß meist noch nicht vorliegen, was zur Folge hat, daß Hit-Vorhersagen der Industrie zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden: Firma X sagt, es wird ein Hit – also schreiben alle drüber, worauf es ein Hit wird. Und der Leser will 3.) nicht belästigt werden mit Sachen, die er nicht kennt – unbekannte Namen oder Musikhistorie. Merke: Alles ist Jetzt! Nirgends wird das Ende der Geschichte so konsequent vorangetrieben wie im Musikjournalismus.

Da die Verlage geschlossen auf Marketing statt Qualität und Design statt Inhalt setzen, wird sich daran so bald nichts ändern. Leider mangelt’s auch Fachblättern (dieses nicht ganz ausgenommen) oft am Blick über den Tellerrand besagter Getto-Diskurse. Nur warum? Vor lesenden Musikfans muß keiner Angst haben: Sie sind bekanntlich intelligent und weltoffen. Oder nicht?

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