Phoenix im Interview zu „Alpha Zulu“: Im Angriffsmodus

Ihr neues Album nahmen Phoenix zwar im Louvre auf – aber ihre Songs klingen dennoch nicht museal, eher befreit

Im Corona-Frühling 2021 war das Musée des Arts Décoratifs, das Kunstgewerbemuseum im Pariser Louvre, geschlossen. Nachts aber durften vier Musiker durch die dunklen Säle streunen – weil sie in einem Museumsflügel ihr Aufnahmestudio errichteten, umgeben von Bildern Dalís und neben dem Thronsaal Napoleons. Sie leuchteten sich mit Handys ihren Weg durch verlassene Hallen, jeder Lichtschein erhellte ein weiteres Gesicht gemeißelter Statuen. „Es fühlte sich an, als würden sie mit uns reden“, sagt Thomas Mars, Sänger von Phoenix. „Sogar die Museumswärter erzählten uns Geistergeschichten, in denen Statuen lebendig werden.“

Beäugt von den Engeln Boticellis und den Skulpturen Lalannes, entstand das siebte Phoenix-Album, „Alpha Zulu“. Darin vermengen Mars, Bassist Deck D’Arcy sowie die Gitarristen Christian Mazzalai und Laurent Brancowitz allerhand Modernes mit Musealem. Auf dem Keyboard intonierte Bach-Fugen („Artefact“) treffen auf Autotune („Winter Solstice“), Worldbeat-Techno im Ghetto-Style („All Eyes On Me“) korrespondiert mit dem „Huh! Hah!“ von Dschinghis Khan („Alpha Zulu“). Mit „Tonight“ gibt es außerdem ein niedliches Verbrüderungsduett von Mars und Vampire-Weekend-Sänger Ezra Koenig, das den Spirit der Jackson/McCartney-Komposition „The Girl is Mine“ weiterträgt.

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„Wir wuchsen in Versailles auf“, sagt Mazzalai. „Eine Stadt wie ein Museum. Wie tot. Alles, was man dort sieht, entstammt tiefer Vergangenheit. Versailles hat unsere Künstler-DNA geprägt, wir wollen Dinge zum Leben erwecken“. So entstanden im Laufe ihrer 1999 begonnenen Karriere, die Phoenix zu einer der erfolgreichsten französischen Bands machen würde, Albumtitel wie „Wolfgang Amadeus Phoenix“ und Songs wie „Lisztomania“, die Retro-Futurismus mit Future-Pop vereinen. In der Corona-Isolation spielte Mazzalai auf der Gitarre nur Bach; Mars, der seit 15 Jahren mit seiner Frau, der Regisseurin Sofia Coppola, in den USA lebt, hörte dort ausschließlich Klassik-Radio. Dass es auf die Platte nur ein paar Synthi-Bach-Fetzen geschafft haben, keine Streicher, ist fast schon kurios. „Im Louvre zu komponieren, inmitten der Großkunst, war aber nicht einschüchternd“, sagt Mars. „Eher befreiend. In normalen Studios hängen Goldschallplatten an den Wänden, das erzeugt Erfolgsdruck.“

Und es ist gut, dass Phoenix keinen Druck verspüren, obwohl das zu erwarten wäre. Nach dem Grammy-Gewinn 2010 für „Wolfgang Amadeus Phoenix“ als „Bestes Alternative Music Album“ ließen die Verkäufe nach. Dabei steigerten Phoenix ihre Klasse vielmehr, verewigt in den japanischen Harmonielehren von „Bankrupt!“ (2013) sowie dem Italo-Pop von „Ti Amo“ (2017), in dem Mars viersprachig von der Liebe singt und das als leidenschaftliches Plädoyer für die EU verstanden werden darf.

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Phoenix entstammen der Goldenen Generation französischer Pop-Künstler, die ab 1996 Weltruhm erlangten, und von denen sich das eine Projekt (Daft Punk) aufgelöst, das andere (Air) ins Ungewisse verabschiedet hat. Die ersten Phoenix-Mitglieder gehen auf die 50 zu, ihre Musik jedoch klingt immer jugendlicher, ohne gezwungen zu wirken. Anders als die unwesentlich jüngeren britischen Kollegen von Hot Chip, die sich um 2009 ebenfalls auf dem Höhepunkt ihrer Popularität befanden und dieses Jahr ein neues Werk veröffentlichten, blicken Phoenix nicht nostalgisch auf die Ära ihrer Dancefloor-Regentschaft zurück. „Erst, wenn wir anfangen zu denken: ‚Würde dieses Lied als Kurz-Clip auf TikTok funktionieren?‘, wäre es um unsere Glaubwürdigkeit geschehen“, sagt Mars. Mazzalai ergänzt: „Es ist ein interessanter Widerspruch: Einerseits empfinden wir uns als Rebellen. Wir wollten das Verstaubte in der Musik aufbrechen. Das Museum stürmen. Andererseits lieben wir Kulturschätze. Wünscht sich nicht jeder, Teil einer Kunstsammlung zu werden?“ Dass Phoenix, so wie die Vorbilder von Kraftwerk, Konzerte in Museen geben, schließen sie jedoch fürs Erste aus.

„Um unsere Zukunft sorge ich mich nicht“, sagt Mars. Nach der durch Corona verlängerten Albumpause von fünf Jahren sei man wieder im Angriffsmodus. Er verweist auf die vielen Atemgeräusche auf dem Vorgängerwerk „Ti Amo“, die, wie bei Wham!-Liedern aus den 1980ern, sich so anhören, als lasse man vor Erleichterung Dampf ab oder trinke eiskalte Ferien-Cola. „Achten Sie darauf: Wir sangen damals lauter ‚ahhs‘.“ „Alpha Zulu“ biete nun das Gegenteil der „Ahhs!“: ein „Ha!“. „Und das ‚Ha!‘“, sagt Mars abschließend, „steht für etwas anderes: Überraschung!“

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