Preis für Popkultur: Auferstehung in Düsseldorf
Annette Humpe herzt die Jugend, Jan Müller ist der neue Interview-King und Mine trägt Hut. Notizen von der rundum erneuerten Award-Show
Ein Musik-Award auf Wanderschaft. Sieben Jahre nach dem Skandal umrankten Ende des „Echo“ wird weiterhin um eine deutsche Version des „Grammy“ gerungen. Neueste Variante: Der zwischenzeitlich stillgelegte „Preis für Popkultur“ ist wieder da. Mit großem Schwung ist man im größeren Format an den Rhein gezogen. Bling Bling in den Düsseldorfer Rheinterrassen. Fashionistas diskutieren eifrig über den cremegelben Ballon-Rock der Sponsoren-Partnerin von „Reservix“.
Rheinmetropole will Pop-Standort werden: „Nicht alles muss in Berlin stattfinden“
Hier werden die also Ambitionen der NRW-Landeshauptstadt beflügelt, wieder eine größere Rolle auf der Pop-Landkarte zu spielen. „Es muss nicht immer alles in Berlin stattfinden“ flankiert die ehemalige Berlin-Musikförderchefin Katja Lucker, die mittlerweile als Chefin der „Initiative Musik“ für Gesamtdeutschland zuständig ist.
Und um noch mehr Föderalismus ins Spiel zu bringen, man könnte es auch Kleinstaaterei nennen: Der nunmehr rechtsrheinische „Preis für Popkultur“ ist eine Kooperation mit dem heute (24.April) im linksrheinischen Köln beginnenden Convention-Festival c/o pop in Köln. Mehr Fusion geht nicht.
Doch zurück aufs Parkett. Der Abend beginnt mit einem Donnerhall in Form des Berliner Trios Gewalt. Kitty-Yo-Surrogat-Veteran Patrick Wagner im schockroten Anzug macht gemeinsam den Kolleginnen Henfling und Wehmeier kräftig Noise. Signalwirkung: Hier ist Indie, „Von der Szene für die Szene“, wie es ein Zwischenredner formuliert.

Shirin David, Paula Hartmann und Annette Humpe: Relevanz auf verschiedenen Ebenen
Gleichzeitig muss natürlich auch Generations-übergreifende Relevanz vermittelt werden. Das gelingt weniger in der wenig originellen Doppel-Nominierung von Shirin „Bauch, Beine, Po“ David (die auch letztlich nix gewinnen konnte), sondern im „Lebenswerk“-Preis von Annette Humpe. Die im Gegensatz zur Zweifach-Preisträgerin Paula Hartmann auch wirklich vor Ort gewesen ist. „Annette Humpe umarmt den Pop-Nachwuchs“ notierte die WAZ aus dem Ruhrgebiet.
Max Raabe und ein kunstvoll nölender Udo Lindenberg übermitteln beste Wünsche per Video-Einspieler. Paula Carolina hämmert mit ihrer Band eine eindrucksvolle druckvolle Coverversion des Ideal-Klassikers „Blaue Augen“ in den Saal. Die in der Öffentlichkeit eher zurückhaltende Annette Humpe ist sichtlich begeistert. „Es freut mich dermaßen. Schöne Momente hier in Düsseldorf!“
Im Gegensatz zum kunstvoll enigmatischen „Polyton“-Preis, vergeben von der Akademie für Populäre Musik in Berlin, verläuft die revitalisierte Popkultur-Pokal-Vergabe eher konservativ. Zwölf Aufzeichnungen in Reihe geschaltet, mit mehr oder weniger schmissigen Laudatios und Umarmungen der Ergriffenheit. Hier sei dem Ausrichterteam ein wenig mehr Dramaturgie einer Samstag-Abend-Show ins Stammbuch geschrieben.

Während sich Songwriterin Mine (mit Sonnenbrille und Audrey Hepburn Hut), prämiert für ihr Rückwärts-Video zu „Ich weiß es nicht“, als Rampenfeger präsentiert, erinnert die Ehrung in puncto „Gesellschaftliches Engagement“ für die Quoten-Initiative „Keychange“ doch eher an einen Programmpunkt der Lehrer-Gewerkschaft.
Balance zwischen Innovation und Mainstream – ein Drahtseilakt
Wenn bei Annette Humpe, die in diesem Herbst ihren 75. Geburtstag feiert, vom Dialog mit der Jugend gesprochen wird, so gibt es neben Nachwuchsproduzentin Phea und Muskelshirt-Model-Sänger Berq („Hoffnungsvollster Newcomer“) noch zwei weitere Helden vergangener Epochen. Der ins Podcast-Fach gewechselte Tocotronic-Bassist Jan Müller wird für seine Interview-Grandezza bei „Reflektor“ gehuldigt und Ex-Teenie-Hero Kim Frank (ebenfalls mit Sonnenbrille) bekommt ein an die Wand zu hängendes Kunstobjekt für die Tiefen-Doku „ECHT – Unsere Jugend“.
Der „Preis für Popkultur“, der mit einem vergleichsweise schmalen Gesamtbudget auskommen muss, bleibt also bis auf weiteres im Popland Deutschland. Die in der Satzung verankerte „Innovationskraft“, die es hier zu würdigen gilt, bedeutet gleichzeitig ein Balance-Akt zwischen der echten Youth of Today und ZDF-tauglichen Prominenten. Diese Gradwanderung ist in der Neuauflage mit einer soliden „3“ als Schulnote gelungen. Eine wieder gewonnene Plattform, auf die man aufbauen kann. Beim After-Show-Geplauder wird dann auch die vage Planung kolportiert, den „Preis für Popkultur“ weiter auf Wanderschaft durch die Republik zu schicken. Demnächst dann vielleicht in Nürnberg oder Kiel. Vorerst alles Gute vom Rhein.