Prince – Sign O' The Times

Prince-Toningenieurin Susan Rogers: „Das war weise, taktisch klug – und für einen Rockstar einzigartig“

Prince' bedeutendste Ton-Ingenieurin, Susan Rogers, über das Prince-Meisterwerk „Sign O' The Times“ – entstanden in einer für das junge Genie höchst turbulenten Zeit

Susan Rogers gilt als bedeutendste Ton-Ingenieurin in der Karriere von Prince. Sie betreute zwischen 1983 und 1987, also in der goldenen Ära des Genies, die Alben „Purple Rain“, „Around The World in a Day“, „Parade“, „Sign O‘ The Times“ und „The Black Album“. Nach Tätigkeiten als Produzentin (u.a. David Byrne, Tricky) hat Rogers hat ihren Doktortitel in „Music Cognition and Psychoacoustics“ gemacht, forscht also zur kognitiven Verarbeitung von Musik. Am Berklee College of Music hat sie heute eine Professur im Lehrfach „Music Production and Engineering and Liberal Arts“. Ein Gespräch anlässlich des Reissues von „Sign O‘ The Times“ und zur Titelstory der ROLLING-STONE-Ausgabe 10/2020, der eine exklusive 7“-Single beigelegt ist.

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Mrs. Rogers, „Shut Up, Already, Damn!“. So begrüßte Prince seine Fans mit dem ersten „Sign O‘ The Times“-Song, den er live vorstellte, am 31. März 1987. Wie kommt man auf so einen Anfang wie in „Housequake“?
Seine Kreativität war beispiellos. Bei den meisten Menschen artikuliert sie sich wie ein Vulkan, es sprudelt aus ihnen heraus. Explosion – dann Stille. Prince hatte eher einen steten Flow grandioser Ideen, einen Wasserfall. Es war schwer einzuschätzen, ob solche Shout-Outs wie in „Housequake“ lange geplant oder spontan waren.

Susan Rogers, Red Bull Academy 2016

Der Rhythmus schien dem HipHop angelehnt. 1987 wurde Rap immer größer. Übte das Druck auf ihn aus?
Sicherlich muss er Druck verspürt haben. Darüber gesprochen hat er jedoch nie, zumindest nicht mit mir. Aber natürlich bekam er die Veränderungen mit. Er kannte die Trends. Zu Beginn der Aufnahmen 1986 war völlig klar, dass Rap und HipHop die Musikwelt in den kommenden Jahren dominieren würden. Zuerst konnte man noch denken: Ok, das ist eine Modeerscheinung. Nach 1985 ungefähr, also ab der zweiten Hälfte der 1980er, war offensichtlich, dass das Genre nicht verschwinden würde. Als Pop- und Rockkünstler muss ihn das beunruhigt haben, denn es war ja nicht seine Musik. Clearly the train was going to pass him.

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Wie ging er mit Rap um?
Er traf die weise Entscheidung nicht einfach einen Stil zu imitieren, den er nicht im Blut hatte. Er blieb sich treu. Natürlich spielte er herum. Auf dem „Black Album“, im selben Jahr wie „Sign O‘ The Times“ zur Veröffentlichung geplant, gab es „Dead On It“ und „Bob George“. Aber schon 1984 sagte er zu mir: „Susan, die Musik der Zukunft wird sein: Bass and Drums“.

1987 würde auch das erste Jahr seit 1982 sein, in dem Prince und Michael Jackson parallel Alben veröffentlichen. Damals waren es „1999“ und „Thriller“, nun würde Jackson „Bad“ herausbringen. Was sagte Prince dazu?
Er war neugierig. Michael war sein Chefrivale. Aber nur auf dem Markt. Da mochte er den Wettbewerb – in den Verkaufszahlen. Musikalisch war er nicht der Ansicht, in Konkurrenz zu ihm zu stehen, dessen bin ich mir ziemlich sicher. Als „Bad“ erschien, organisierte Prince eine Listening Party im Paisley Park. Er selbst war nicht anwesend, aber die Crew und ich. Das Album war einfach nicht sein Style. Er hatte nie das Gefühl, auf Michaels Musik reagieren zu müssen, sich anzuspornen besser zu sein als er. Prince war eine musikalische Entität. Er spürte keine Bedrohung, nicht durch Michael, aber ich denke, sowieso durch niemanden.

„Prince inszenierte sich als Popkünstler, nicht als Ausnahmegitarrist – wer macht so etwas?“

Bis heute ist zu lesen, die beiden wären nicht miteinander klargekommen.
Ja, aber das glaube ich kaum. Sie mochten sich. Sie waren dankbar dafür, den anderen als Mitbewerber zu haben. Es ist doch klar, dass Wettbewerb einen nur noch stärker macht. Seien es die Olympischen Spiele, die Oscars oder eben die Musik.

In den „Sign O‘ The Times“-Liner-Notes stellen Sie „I Could Never Take The Place Of Your Man“ heraus. Sie bezeichnen die Single mit ihrem ausführlichen Gitarrensolo als „eigenständiges Kunstobjekt“, als eine „­abgeschlossene, emotionale Erzählung“.
Ich glaube, dass er das Solo in der Mitte des Stück live einspielte. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie oft er das Band zurückgespult und an manchen Stellen neu angesetzt haben könnte. Bei „Let’s Go Crazy“ aus „Purple Rain“ hatte er das noch so gemacht. Das Großartigste an seiner Gitarrenarbeit in „I Could Never Take The Place Of Your Man“ ist die Brillanz, mit der er sich positioniert. Es überraschte mich, dass jemand, der sein Instrument derart beherrscht, eben genau diese Brillanz nicht auf jedem einzelnen Song unter Beweis stellt. Stellen Sie sich vor, Sie hielten eine Gitarre in der Hand, und Sie könnten spielen wie er. Würden Sie dann nicht Ihr komplettes Album um diese Fähigkeit herumkonstruieren?

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„Sign O‘ The Times“ gilt tatsächlich nicht als „Gitarrenalbum“.
Er hätte seine Virtuosität dutzendfach auf dieser, wie auch auf allen anderen Platten unter Beweis stellen können, tat es aber nicht. Seine Soli waren so gut wie die meiner Helden, Jimmy Page, Eric Clapton, Jeff Beck, Carlos Santana. Aber im Gegensatz zu ihnen positionierte er sich nie als Großgitarrist. Er positionierte sich als Pop-Künstler! Und wie viele Popkünstler fielen einem schon ein, die derart spielen können wie Prince? Kann Madonna Gitarre spielen wie er? Michael Jackson? Oder Elton John? Gut, der spielt Klavier. Prince war allein schon als Popkünstler mit diesem Vermögen einzigartig. Er hielt sich zurück.  He showed up without showing off.

Zeichen der Bescheidenheit?
Als ich anfing für ihn zu arbeiten, fragte ich mich: Warum ließ er nicht alle wissen, dass er der Mann hinter der Band The Time war, hinter dem Projekt Vanity 6? Dass er hinter dem Pseudonym Jamie Starr steckte? Er versteckte sich geradezu hinter den Namen. Er wollte die Leute nicht wissen lassen, was er draufhatte, the full scope. Erst später habe ich verstanden, wieso.

„Prince erkannte sehr, sehr früh, geradezu instinktiv, dass Willenskraft endlich ist“

Wie lautete ihre Interpretation?
Er war weise. Überlegen Sie, welche Disziplin einem jungen Mann abverlangt wird, seine Mitmenschen bewusst in dem Glauben zu lassen, er beherrsche weniger, als er in Wirklichkeit beherrscht. Bewusst in Kauf zu nehmen, dass sie weniger von ihm halten, als er unter Beweis stellen könnte. Wer macht so was? Das war weise und taktisch klug. Und einzigartig für einen Popstar.

Sie schreiben in den Liner Notes, Prince wollte mit „Sign O‘ The Times“ keine Lösungsansätze für Probleme unserer Zeit anbieten – er wollte einfach reden.
Prince erkannte sehr, sehr früh, geradezu instinktiv, dass Willenskraft endlich ist. Und Kreativität eben auch. Wer sich zeit seines Lebens künstlerisch ausdrücken will, dem geht irgendwann das Material aus. Deshalb seine instinktive Entscheidung, keine Interviews zu geben. Er wusste instinktiv, dass er auf keinen Fall Wörter verschwenden wollte, nicht in der Kommunikation mit anderen, auch nur bis zu einem gewissen Grad in zwischenmenschlichen Beziehungen. Das führte auch zu einer gewissen Isolation und Einsamkeit. Sein Verlangen, mit Menschen in Verbindung zu treten, übertrug er auf seine Musik. Seine Ansichten über die Weltlage brachte er in Songs wie „The Cross“ ein, oder „Sign O‘ The Times“. Und das war’s.

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Haben Sie ihn auch anders kennen gelernt?
Ja, das Nur-Reden-Wollen widersprach früheren Tendenzen. Auf seinem „Around The World in a Day“-Album von 1985 geht er, zum Beispiel in „Pop Life“, seine Mitmenschen offensiv an, er beklagt die Eitelkeiten der Stars: „Tell me, what’s that underneath your hair? Is there anybody living there?“ oder „What You Putting In Your Nose? Is That Where All Your Money Goes?“. Er konnte austeilen. Als er noch jünger war, hob er manchmal den Zeigefinger, ja. Auf „Sign O‘ The Times“ ließ er das Predigen sein.

Inwieweit konnten Sie als seine Technikerin sicherstellen, dass Prince verstanden wurde? Besprach er auch seine Texte?
Ich bin froh, dass Sie das fragen. Es gibt mir Gelegenheit deutlich klarzustellen, dass Prince zu keiner Zeit in Erwägung zog mit einem Produzenten zusammenzuarbeiten.  Er allein entschied über jede einzelne Darstellung, jeden Ton, der auf Platte landete. Mein Job, der Job anderer Toningenieure war, die Sache am Laufen zu halten. To keep the current flowing in the wire. Es sollte nichts kaputt gehen, seine Musik musste einwandfrei das Ziel erreichen. Alle Veränderungen an den Aufnahmen hatten in Abstimmung mit Prince gemacht zu werden. Anders als eine Produzentin konnte ich ihn nicht bitten, diese oder jene Zeile neu einzusingen oder es mal mit Stakkato und Legato zu probieren. Er war sein eigener Maestro, sein eigener Orchesterleiter.

Sie schreiben auch, Prince nahm „It“ für seine schwarzen Fans auf. Er sei enttäuscht gewesen von der Kritik, er hätte sich von seinen ersten Hörern entfernt.
Er war vielleicht wütend, sicher enttäuscht. Seine erste Zuhörerschaft bestand aus R&B-Fans, die Leute aus Detroit und Atlanta. Black Radio. Es störte ihn, dass das Black Radio nicht breit genug aufgestellt war, seine Rock- und Pop-Alben ignorierte. Auf diesen Sendern lief damals vor allem Soul. Aber Prince wusste, dass er ein Musiker war, wie sie in den Sendungen der mittleren 1950er bis Mitte der 1960er gespielt wurde. Ike Turner lief nach Carl Perkins lief nach Elvis Presley lief nach Country lief nach R&B. Erst danach gab es „schwarz“ und „weiß“. Prince war wie Elvis. Er machte, was er machte, folgte nur seinem eigenen Weg. Niemals hätte er sich mit Sendeformaten konform gemacht.

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„It“ durchlief eine kuriose Entwicklung – der Beat war erstmals auf der „Parade“-Tournee 1986 zu hören, als Rhythmus für seinen „Purple Rain“-Hit „When Doves Cry“.
Prince‘ favorisierte Drum Machine war ja das Linn LM-1 mit den signifikanten Rhythmen, die Sie auf vielen seiner Alben hörten. Auf dem Computer waren viele Rhythmen vorab eingespeichert, so genannte Pre-Sets. Die hat Prince aber nie benutzt. Mit einer Ausnahme: Für das Lied „777-9311“ der von ihm produzierten Band The Time nutzte er einen Beat des Schlagzeugers David Garibaldi.

Außerdem schreiben Sie, sein Genie sei noch mehr zum Ausdruck kommen, nachdem „das innere Feuer“, das ihn in seinen frühen Zwanzigern geprägt habe, ein wenig nachließ. War Prince zu sehr von Gefühlen gesteuert?
Es war aufregend zu sehen, wie dieses junge Genie reifer wurde. Prince war im frühesten Alter schon hochbegabt. Als er ein wenig älter wurde, war es sehr schwer zu unterscheiden, ob seine Inspiration wirklich vom Frontal-Lappen des Gehirns ausging, also von ausführenden Gedanken – oder vielleicht von Hormonen. Prince war jung, wollte ein spannendes Leben. Sex. Wie auf „Purple Rain“: Von Anfang bis Ende war darauf zu hören, dass dieser junge Mann sich im Besitz der vollen Kontrolle über sein Leben befand. Er befand sich auf der Höhe seiner kreativen Macht. Er verdiente Geld. Er hatte den Ruhm. Eine tolle Freundin. Reines, großes Selbstbewusstsein.

Das dürften Erkenntnisse sein, die Ihnen sicher auch während Ihrer Forschungstätigkeit in den Neurowissenschaften gekommen sind.
Das Gehirn durchläuft ja auch einen Alterungsprozess. Mit 26 bis 27 Jahren ist vieles abgeschlossen. „Sign O‘ The Times“ erschien mit 29. In diesem Alter sind unsere Denkprozesse weniger durch Hormone bestimmt. Logik und Vernunft sind bestimmender. Prince wurde klar, dass die Art von Selbstbewusstsein, die er bei „Purple Rain“ hatte, nun ausgetauscht werden müsse mit einem tatsächlichen Standpunkt. Einem politischen Standpunkt. Er wusste ja, dass er sich um den Ruhm nicht mehr kümmern brauchte. Den hatte er mit „Purple Rain“ gesichert. Jetzt musste er sich um sein ultimatives Vermächtnis kümmern.

Sahen Sie eigentlich zu, als er seine Lieder einsang?
Auch das sollten Ihre Leser wissen: Prince war auch insofern einzigartig, als dass er darauf bestand den Gesang allein einzusingen. Meine Vorgängerin als Ton-Ingenieurin, Peggy McCreary, unterstützte ihn dabei. 1981 im „Sunset Sound“-Studio in Los Angeles richtete sie ihm sein Mikro im Kontrollraum ein. Zeigte ihm, wie man Patchkabel anschließt, die Bandmaschine bestückt. Das brauchte er, um autonom zu sein. Von da an, bis zum Ende seiner Karriere, nahm er seine Stimme nur noch allein auf. Es war diese Privatheit, die es ihm ermöglichte, direkten Kontakt zum Hörer herzustellen. Eine zusätzliche Person im Raum, als Vermittler, hätte womöglich den Kontakt verfremdet. Normalerweise wäre der Produzent ein Ersthörer, der per Feedback außerdem die Performance verändert. Prince wollte das nicht.

„Muss man sich mal vorstellen, Prince sang auch im Sitzen ein“

Wie sah dieser Raum aus?
Wenn er zu Hause in Minneapolis war, oder im Sunset Sound, stand er direkt am Mischpult. In manchen Fällen saß er auch. Neben ihm die Fernbedienung für die Bandmaschine, das Mikro auf dem Stativ. Klar, im Stehen ist der Gesang meist besser, weil die Lunge mehr Kraft hat. Manchmal aber, wenn ich reinkam um das Tape auszutauschen, meistens dann, wenn er vom Lead-Gesang zu den Background Vocals wechselte, dann sah ich, dass er das Mikro auf Sitzhöhe eingestellt hatte. Muss man sich mal vorstellen, Prince sang auch im Sitzen ein.

Schon schade, ihn nicht beim Einsingen gesehen zu haben, oder?
Aber ich war doch Stunden über Stunden bei Rehearsals dabei. Ich weiß, wie es aussieht, wenn er singt. Und ich weiß auch, wie sein Gesicht während eines Denkprozesses aussah (lacht). Ich bekam auch mit, wie er sich selbst hochputschte, um die passende Stimmung für diejenige Persönlichkeit zu bekommen, die er vor dem Mikro darstellen wollte. Er hatte Humor. Aus „Hot Thing – barely 21“, wurde dann auch mal „Hot Thing – barely 42“. Bei „Hot Thing“ denke ich: Hätte er es zwei Jahre vorher aufgenommen, er hätte das Lied vielleicht Morris Day und The Time gegeben.

Wie nahmen Sie die veränderte Stimmung wahr, als Prince seine Band The Revolution auflöste, und die Beziehung zu seiner Verlobten Susannah Melvoin in die Brüche ging?
Es lag ein schwermütiges Gefühl in der Luft. Von „Purple Rain“, über „Around The World in a Day“ bis hin zu „Parade“ war die Stimmung geradezu elektrisch aufgeladen. Nun war Prince auch kein Mensch, der ins Studio marschierte und über seine Probleme sprach. Das sparte er sich für Komposition und Performance auf. Eines der ersten Einspielungen war „Housequake“, und das überraschte mich: Er entschied sich für einen Dance Song. Aber er vermied jeden Augenkontakt. Und das war schräg, denn so schüchtern er auch war, Augenkontakt war zwischen ihm und mir nie ein Problem. Wir waren ja quasi jeden Tag zusammen. Und dann schmiss er die Maschinen an, und all die Rhythmen legen los. Er entschied sich also, zu Beginn seinen Schmerz, seine Verwirrung nicht mitzuteilen.

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Legendär ist die Anekdote, wie Sie bei den Aufnahmen von „The Ballad Of Dorothy Parker“ stundenlang an der fehlerhaften Tonhöhe herumschraubten, Prince am Ende aber mit dem Fehler kein Problem hatte und die dumpfe Version fürs Album verwendete. Auch deshalb sprechen alle von „Sign O‘ The Times“ als sein „Skizzen-Album“.
Dass Prince überhaupt ein Demo aufgenommen hätte, ist mir, zumindest im Blick auf unsere Zusammenarbeit, nicht bekannt. Jede Aufnahme ging in Richtung Endprodukt. Prince brauchte diese schnellen Skizzen nicht, da sie niemandem zur Diskussion vorlegt wurden. Prince war dauerhaft im Studio, und es war oft unklar, wo der eine Song anfing und der andere endete. Das einzige Demo-artige, wenn man darüber sprechen will, war die Frage, welche Lieder sich zum Stamm der Album-Tracklist formen würden. Er war der Meinung, und ich sah es genauso, dass jede Platte zwei, drei, vier Kernstücke enthalten sollte. Erst nach Abschluss der Aufnahme des Songs „Sign O‘ The Times“ kam ihm die Idee, dass der auch Titelsong sein könnte.

„Es war klar, dass er die Farbe Lila, sein altes Markenzeichen, endgültig ablegen würde“

Hat er mit ihnen über sein Konzept gesprochen?
Nicht direkt. Aber die Veränderungen waren offensichtlich. Es war klar, dass seine Band The Revolution nicht wiederkehren würde. Es war klar, dass er die Farbe Lila, sein altes Markenzeichen, endgültig ablegen würde. Und es war klar, dass diese Platte die Geschichte einer Liebesbeziehung, die zu seiner Verlobten Susannah Melvoin, abbilden würde. Diese Beziehung geriet nach Ende der Revolution-Band ins Schwanken. Würde „Sign O‘ The Times“ also ein Breakup-Album werden? Oder eines, in dem er die ewige Liebe zu derjenigen Frau deklariert, die er heiraten möchte, mit der er bis ans Ende seiner Tage zusammen sein will? So entstanden ja auch die Lieder „Forever In My Life“ und „Adore“. Während der Aufnahmen wurde ihm dann klar, dass der Zustand der Beziehung bis zum Abschluss in der Schwebe bleiben würde. Das zeigte sich auch in den Farben, die er zur Platte präsentierte.

Inwiefern?
Pfirsichfarben und Schwarz. Schwarz war seine, pfirsichfarben die Lieblingsfarbe Susannahs. Sie brachte die Farbe in das gemeinsame Haus ein, deren Zimmer sie entsprechend dekorierte. Die zwei Farben dominieren ja auch das Plattencover. Mein Eindruck ist, dass Prince darauf eine gewisse Abgeschirmtheit gegenüber seiner Umgebung zum Ausdruck bringt.

Mit Camille entwarf Prince dazu ein geschlechtloses alter ego, das auf einigen „Sign O‘ The Times“-Songs zu hören ist, und auf denen er seine Stimme verfremdet. Was steckt hinter diesem Konzept?
(Lacht). Sein Freund Jesse Johnson hatte gerade die Aufnahmen zu seinem Album „Shockadelica“ beendet. Er spielte es ihm nun vor. Prince sah sich das Artwork an und sagte: „Wo ist denn der Song namens ‚Shockadelica‘? Als Jesse ihm sagte, dass es keinen Song dieses Titels gibt, reagierte der empört: „Aber Du brauchst doch einen Song, der wie die Platte heißt!“. Und dann sagte Prince etwas, das nicht stimmt: „Auf allen großen Alben wird der beste Song auch zum Titelsong!“. Prince stürmte ins Studio und komponierte „Shockadelica“ – die Geburtsstunde von Camille. „The lights go out, the smell of doom“, sang er, „Is creepin‘ into your lonely room / The bed’s on fire / Your fate is sealed / And you’re so tired /And the reason is Camille-mille.“

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Das las sich damals brutal. War Camille also ein Monster?
Susannah Melvoin und ich nutzten die Aufnahmepausen um zu zeichnen. Figuren, die dort, wo Augen sein sollten, Kreuze im Gesicht hatten. Cartoon-Charaktere, weder Mann noch Frau, tot oder lebendig – wie androgyne Zombies. Prince gefiel das. Camille war weder Mann noch Frau, tot oder lebendig. Er war ein Geist, ein Untoter. Dabei herrscht gerade unter Journalisten bis heute die falsche Annahme, dass Prince jeden Song, auf dem er mit verfremdeter, nach oben geschraubter Stimme singt, für das Camille-Projekt vorsah. Das stimmt nicht. Er sang vorher schon so, wie auf „Erotic City“ von 1983. Er mochte die High-Speed-Voice einfach.

Hatte er als Musiker Schwächen?
Er war nicht gut mit dem Saxofon. Er übte, aber ließ es letztlich sein. Eric Leeds wurde zu seiner Stimme, zu seiner Hand auf diesem Instrument. Dennoch gab Prince Anweisungen. Bei einigen traurigen Liedern sagte er: „Spiele es ohne ein Tremolo. Play it flat, it sounds sadder this way.“

Am besten, schreiben Sie, gefielen Ihnen die Prince-Lieder, in denen er eindeutig aufrichtig klang, wie „Wally“ oder „Condition of the Heart“. Ist Aufrichtigkeit wirklich das entscheidende Kriterium für die Güte eines Songs?
Die Leute sind gut darin, den Subtext innerhalb einer Performance zu entdecken. Deshalb lieben wir unsere besten Schauspieler. Timing, Phrasierung, die hochgezogene Augenbraue, das leichte Zucken der Mundwinkel. Bewegungen, die wir nicht beschreiben könnten, aber erkennen, wenn wir sie sehen. Dasselbe mit der Musik. Hörer sind klug, sie erkennen, ob eine Performance lediglich im Kopf ausgearbeitet wurde, entstanden also – bildlich gesprochen – oberhalb des Nackens. Oder nicht doch im Herzen, oder in der Hüfte, oder weiter unten? Nach meiner Beobachtung gab es bei Prince nicht viele Momente, in denen er zuließ, dass seine Verletzlichkeit sichtbar wurde. Er wollte das ja auch im echten Leben nicht. Er mochte es schon nicht, wenn die Leute mitbekamen, dass er sich erkältete. Die Leute sollten keine Schwächen wahrnehmen. Deshalb liebe ich „Condition of the Heart“.

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Welchen Moment darin?
Prince singt: „Now wasn’t that a fool /Hardy notion on the part of a sometimes lonely musician / Acting out a whim is only good/ For a condition of the heart.“ Ein „gelegentlich einsamer Musiker“? Eine ziemlich dramatische Aussage für jemanden, der kurz zuvor mit „Purple Rain“ 25 Millionen Alben verkauft hat. Die legendäre, nachträglich von ihm gelöschte Version von „Wally“ wiederum brachte einen tiefen, tiefen Schmerz zum Ausdruck, wie ich ihn danach nicht mehr hörte. Wie Sie wissen, löschte er die Aufnahme schnell wieder.

Das Schlagzeug in „The Cross“, urteilten Sie, sei zu schnell gewesen. Haben Sie jemals vermeintliche Fehler im Werk belassen, weil Sie dachten, dass sie in Wirklichkeit bereichernd sind?
Nun, Prince selbst wollte die Drums in dem Stück ja so belassen, ich nicht. Die Trommeln klangen nicht gut, nicht fokussiert genug. Störte ihn nicht. Gleiches mit „The Ballad of Dorothy Parker“, als ich am High-End über Stunden schraubte, Prince den etwas dumpfen Sound mochte und die Version aufs Album beförderte. Diese Nichtperfektion entsprach vielleicht gerade auch bestimmten Seiten seiner Persönlichkeit. Es entsprach seiner Authentizität. Wenn die größten Improvisationskünstler ihren Lauf haben, when they are in the zone, machen sie ich frei von jenen Gehirnarealen, die normalerweise Befehle senden würden. Das zeigen Studien an Jazzmusikern. Prince befand sich oft in the zone. Jenseits des Denkens. Wie in einer Meditation.

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