Queen und „A Night At The Opera“: Genie und Überheblichkeit

Das Album, das „Bohemian Rhapsody“ beherbergt, wurde für Queen zur (erneuten) Geburtsstunde.

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Den Anfang der majestätischen Unternehmung macht eine Abrechnung: Mit grimmigen, fast unflätigen Worten wünschen Queen in „Death On Two Legs“ einer Person, sich doch bald das Leben zu nehmen. „Talk like a big business tycoon/But you’re just a hot – air balloon/So no one gives you a damn/You’re just an overgrown school – boy/Let me tan your hide.“

Wer so etwas singt, hat Wut im Bauch (und wie es heißt, soll Freddie Mercury die geifernden Zeilen auch zornig ins Mikro gezetert haben). Der Verfluchte bleibt unbenannt, aber die Tatsache, dass Norman Sheffield von Trident Productions direkt versuchte Queen und EMI zu verklagen, sprach natürlich Bände.

1975 stand die Band kurz vor dem Bankrott, trotz drei erfolgreichen Alben und Chart-Erfolgen wie „Killer Queen“. Queen bekamen angeblich zu der Zeit immer noch lediglich einen Honorarvorschuss von 60 Pfund in der Woche. Deshalb beauftragten sie den Showbusiness-Advokaten Jim Beach, sie von den Trident-Fesseln zu befreien. Zwar wurde die Suche nach einem neuen Manager zu einer Feuertaufe für die nicht immer einigen Musiker, aber als der mit Elton John zu Ruhm gekommene John Reid gefunden war, wuchs die Jetzt-erst-recht-Haltung.

Queen wollten das ganze Programm

Freddie Mercury ließ damals alle wissen: „Wenn du an dich glaubst, zieh‘ das volle Programm durch.“ Und das taten Queen. Ohne Furcht vor Kitsch, Pomp, Geschmacklosigkeiten oder herablassenden Kritikern nahmen sie sich sechs Monate Zeit, in sechs verschiedenen Studios Aufnahmebänder zu durchlöchern und sehr viel Geld zu verbrennen.

„A Night At The Opera“ brachte mit „Bohemian Rhapsody“ nicht nur den einflussreichsten Song Queens hervor (mit einer kuriosen Entstehungsgeschichte, die einen besseren Film wert wäre, als es der gleichnamige Oscar-Erfolg ist), die Briten erfanden sich nach dem eh schon aus allen kreativen Nähten platzenden „Sheer Heart Attack“ noch einmal neu. Kein Studioeffekt war zu kostspielig, keine Aufnahme zu aufwendig.

Noch einmal Mercury: „Wir haben so getan, als hätten wir unendlich Geld.“ Das hatten sie gewiss nicht, aber offenbar die Lust, so ziemlich alle auffindbaren Musikstile – vom Heavy-Rock-Tango im genannten Anfangssong bis zur hochnäsigen Neuvertonung der Nationalhymne mit Gitarrenorchester – in einen Faustkampf zu schicken. Von Pop über Skiffle bis zu traditionellem Jazz war alles dabei.

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Queen, Produzent Roy Thomas Baker und Tontechniker Mike Stone stießen bei den abschließenden Arbeiten in den Sarm Studios (wo Brian May größtenteils die gewaltigen Gitarrenparts eingespielt hatte) bereits mit Champagner auf den Lohn all der Ambitionen an. Manche würden es auch Hybris nennen. Selbst wer ob der Überraschungstütenhaftigkeit der meisten Queen-Produktionen die Nase rümpft, muss zugeben, dass auf dem Album jeder Schuss ein Treffer ist.

„Lazing On A Sunday Afternoon“ ahmt einen typischen Music-Hall-Sound nach; „I’m In Love With My Car“ besticht mit perlender Ironie; mit dem süffigen Geklimper von „39“ verneigt sich Brian May vor Lonnie Donegan – und setzt zu einer Folk-Sci-Fi-Ballade über Zeitdilatation an; „Sweet Lady“ beleiht Bad Company (lustigerweise spielten sie ihn dennoch nicht ein einziges Mal, als sie mit Paul Rodgers auf halsbrecherische Nostalgie-Tour gingen) und mit „Seaside Rendezvous“ („You say you’d have to tell your daddy if you can/I’ll be your Valentino/We’ll ride upon an omnibus and then the casino“) begibt sich Mercury beschwippst und lebenstrunken ins Varieté.

Alles ohne Synthesizer!

John Deacon hatte mit „Misfire“ schon beim Vorgänger erste Fußabdrücke als Songwriter hinterlassen. Hätte es „Bohemian Rhapsody“ nicht gegeben, dann wäre er mit der genial sparsam instrumentierten Pop-Ballade „You’re My Best Friend“, einer Ode an seine frisch gebackene Ehefrau Veronica Tetzlaff, womöglich der heimliche Anführer des Albums gewesen. Aber es geht bei „A Night At The Opera“ eben um spitzen Witz (daher auch die Anspielung an einen Film der Marx Brothers) und das ganz große Drama. Dabei ist Platz für herzergreifende Trennungen („Love Of My Life“, für das Brian May extra Harfe lernte) und sogar eine Hawaii-Ukulele („Good Company“).

Queen in Tokio, 22. April 1975

Natürlich mutet es wie Wahnsinn an, dass bei all den Mehrstimmigkeiten und Chorgesängen, den zusammgeklapten und dann wieder aufgerichteten Soundschichten, keine Synthesizer eingesetzt wurden. Alles, was nach Effekten klingt, kommt aus Gitarren, Kehlen und aus den Niederungen eines Klaviers. Die opernhaften Interludien und der verspielte Rock-Bombast, die im Paket in den 70er Jahren gewiss kein Alleinstellungsmerkmal hatten, hier aber eben so cremig gerührt und überheblich daherkommen, dass es selbst für Queen nicht mehr zu schlagen war, können kaum verheimlichen, wie wichtig sich die Musiker darin nahmen, eigentlich nichts ernst zu nehmen.

Die großspurigen, aber manchmal nicht einmal zu Ende gedachten Ideen hatten Queen auch schon früher („Nevermore“, „Flick Of The Wrist“), aber erst 1975 fanden sie das richtige Timing und die selbstbewusste Erzählhaltung zwischen geschwollener Epik und Camp.

Und noch einmal kann zu dem Satz „Wenn es ‚Bohemian Rhapsody‘ nicht gäbe“ angesetzt werden. Denn dann stünde der „Prophet’s Song“ tatsächlich wie der Monolith dar, der er in der Plattenmitte recht eigentlich ist. All die Tonart und Taktwechsel setzen zu einer musikalischen Reprise der Exodus-Geschichte aus der Bibel an, dazu gibt es ein orientalisches Streichinstrument (Geschenk eines japanischen Fans) zu hören und die Inszenierung von hunderten Stimmen, die Brian May in seiner kargen Wohnung bis zum Kollaps herausarbeitete, ehe er dann im Traum die letzten Handgriffe empfing.

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Die Geschichte von „Bohemian Rhapsody“ bleibt ein Wunder

Trotz aller Qualitäten im melodischen Beiwerk, es ist letztlich dann doch „Bohemian Rhapsody“, das mit seiner damalig obszön anmutenden Single-Länge von 5:55 Minuten alles für Queen veränderte. Man kann die hernach immer wieder heruntergebetete Success Story des Songs (einer der meistverkauften Songs aller Zeiten, als einziges Stück zu verschiedenen Zeiten in UK auf Platz eins in den Charts, das mehr aus der Not geborene „Top Of The Pops“-Video als Blaupause für MTV) nicht mehr hören, aber es ist natürlich Mercurys Bohème-Moment, eine Verneigung vor dem Glanz der Oper, aber auch vor den zu der Zeit unendlich anmutenden Möglichkeiten der Rockmusik, sich in jedem beliebigen Kostüm zu gebärden.

Der Song war Mercury – der Jahre zuvor „nur“ der auf der Straße aufgelesene Sänger mit dem überraschenden Stimmumfang war, sich schleichend zum schillernden Energiezentrum von Queen entwickelte, nun aber mit Aplomb für die Rolle des Königs vorsprach – immer schon im Kopf, erinnerten sich später die Kollegen. Er ist ganz seine Schöpfung, die anderen mussten sich als Geburtshelfer verdingen (Roger Taylor sorgte etwa für die Falsettharmonien im Mittelteil).

Die vielen übereinander gelegten Stimmen fraßen fast das immer dünner gewordene Tonband auf. Zwei Wochen arbeitete man an den Backing Tracks, allein zwei Monate verschlangen die Overdubs. Fürwahr: eine royale Anstrengung.

Freddie Mercury hatte schon vorher gewusst, dass es zum Hit werden würde: „Mal ganz ehrlich, gibt es etwas Vergleichbares?“ Neben seinen offensichtlichen musikalischen Qualitäten schaffte es „Bohemian Rhapsody“ mit all den darin vorkommenden Dämonen, Beelzebub, Bismillah und seiner zutiefst düsteren Stimmung sein Geheimnis zu wahren. Roger Taylor weiß immerhin Rat für Rätselnde: „Vielleicht sollte man das alles nicht zu ernst nehmen.“

Koh Hasebe/Shinko Music Getty Images

Marc Vetter schreibt freiberuflich unter anderem für ROLLING STONE. Weitere Artikel und das Autorenprofil gibt es hier.