Pop-Tagebuch

Radfahren auf dem Mond oder Neo-Psychedelia für die Haarspray-Generation

Eric Pfeil erkundet das Wunderland der 80er-Neo-Psychedelia und bespricht die besten fünf Platten einer vergessenen Ära. Mit dabei: Dukes of Stratosphear und Mercury Rev.

Folge 86

Ladies & Gentlemen, endlich ist es soweit: Wickeln Sie sich in ihr liebstes Paisleyhemd, werfen Sie die Räucherstäbchen an und holen Sie das Kaleidoskop vom Dachboden – heute wird es psychedelisch.

https://www.youtube.com/watch?v=PD2XgQOyCCk

Beziehungsweise: neo-psychedelisch. Oder noch präziser: retro-neo-psychedelisch. Es geht tief in die Achtziger, als das erste Psychedelic-Revival explodierte. Vorab ein wenig Musikhistorie…

It was 30 years ago today

Die großen Tage des Punk waren vorbei und der Gegenwartspop erschöpfte sich größtenteils in akustischer Schulterpolsterei. Was läge da näher als die Wiederentdeckung von LSD-Irren wie Syd Barrett, Roky Erickson, den Pretty Things oder Jefferson Airplane?

Bei dieser Wiederentdeckerei mochten es die Vertreter der jungen Punk-informierten Musikergeneration freilich bald nicht belassen. Stattdessen schickte man sich selbst an, ordentlich auf die psychedelische Tube zu drücken und veröffentlichte Platten, auf denen Sitar-Gezirpe, rückwärts laufende Tonbänder und Texte über neue Bewusstseinsformen und Lebkuchenhäuser das Ohr verwöhnten.

Oft stimmte etwas nicht an diesen Platten, aber das war egal…

Die Bands hatten Namen wie Rain Parade, Outskirts of Infinity, The Green Pajamas oder The Dukes Of Stratosphear und ihre Alben sahen aus, als wären den Coverdesignern auf LSD alle Löcher aus dem Käse geflogen. Manche dieser Bands haben bis heute überlebt, andere sind längst aufgelöst, wieder andere – schluck – haben eigentlich niemals existiert. Etliche ihrer Alben aber werden bleiben.

Ich möchte ein paar dieser schönen Schallplatten hier und heute für Sie besprechen. Vorab: Es empfiehlt sich dringend, diese Platten im nüchternen Zustand zu hören. Oder vollkommen zubetoniert, ich weiß es nicht. Wichtig ist nur, dass man sie hört, denn sie sind von einer Unschuld durchdrungen, an der es den meisten heutigen Produktionen gebricht.

Man muss diese Werke auf Platte hören, alles andere ist Quatsch

Ich wünsche also viel Erfolg beim Stöbern auf dem Flohmarkt oder im gutsortierten Vinyl-Handel. Denn eins sollte klar sein: Man muss diese Werke auf Platte hören, alles andere ist Quatsch. Diese Alben wollen umgedreht werden, ihre dramaturgische Struktur verlangt einfach danach. Außerdem möchte man die Plattencover stundenlang auf versteckte Botschaften aus dem Weltall studieren, das setzt eine gewisse Großformatigkeit voraus.

Folgen Sie mir ins Wunderland der 80er-Neo-Psychedelia. Dort drüben, hinter dem großen, sich hoch in den Himmel schraubenden Fliegenpilz, links des riesigen weißen Kaninchens, soll unsere Reise beginnen. Ans Werk…

WALKING IN A PLASTIC WONDERLAND

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Das Cover von „Wonder Wonderful Wonderland“ (1985), dem wohl besten Album der amerikanischen Band Plasticland, lädt zum Schmunzeln ein. Es zeigt ein schlecht ausgeleuchtetes, von psychedelischem Zierrat umkrakeltes Foto, auf dem die Musiker bei dem arg angestrengten Versuch zu beobachten sind, möglichst dolle nach Sixties auszusehen. Hierzu wird auf viel indisches Tuch, John-Lennon-Sonnenbrillen und Second-Hand-Schals zurückgegriffen. Die Frisuren aber sind klare Achtziger-Missverständnisse. Genau so sahen die Fotos aus, die meine Freunde und ich damals inszenierten, als wir das kurzzeitige und vollkommen zu recht erfolglose Psychedelic-Projekt The Love Children unterhielten. Die Musik von Plasticland aber ist gelungen: Die 1980 in Milwaukee von John Frankovic und Glenn Rehse gegründete Band spielt auf diesem, ihrem zweiten Werk stark von Syd Barretts Pink Floyd beatmeten Psych-Pop, der auf alles zurückgreift, was eine ordentlich hirnausbeulende Pseudo-Sixties-Platte so braucht: Mellotron, afrikanische Percussion, Orgel, Bouzouki (!) und Schneeglocken (!!). Es dürfte sich hier zudem um das einzige Psych-Album handelt, das einen Song enthält, in dem der Ich-Erzähler beim Umhertrippen auf LSD in seiner Küche von Löffeln angegriffen wird: „Make them go away!“.
Aber der Reihe nach: Zum Auftakt gibt es zwei mal funkensprühenden Acid-Pop in Form der beiden Songs „No Shine For Shoes“ und „Gloria Knight“. Bei „Transperencies, Friends“ wird es kurz beinahe funky, bevor dann endgültig der Syd Barrett-Gedächtnispilz gezündet wird: Don’t Let It All Pass By“ und „The Gingerbread House“ lassen auf Bewusstseinsstufen schließen, die in beinahe diametralem Kontrast zu den Frisuren der Band-Mitglieder stehen.
Auch wenn Plasticland bisweilen klingen wie die Apotheose der amerikanischen Neo-Psychedelia: Mit der in Los Angeles aktiven Paisley-Punk-Szene hatten Rehse, Frankovic und Co. nichts zu tun; die Männer aus Milwaukee (in der Ursprungsbesetzung spielte kurz Violent Femmes-Mann Brian Ritchie Gitarre) waren Außenseiter ohne Szene-Anbindung. Band-Mastermind Glenn Rehse lebt den technicolour dream übrigens noch heute und tritt immer noch mit Projektionen blubbernder Lavalampen im Rücken unter dem Namen Plasticland in kleinen Clubs auf. Ein Psychedelic Warrior.

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