Rammstein: Exklusives Interview mit Richard Kruspe

Am vergangenen Freitag erschien die große Rammstein-Retrospektive "Made In Germany 1995-2011". Lesen Sie hier unser Interview mit Gitarrist Richard Kruspe, in dem er u. a. über falsche Ostalgie und das Konzept der Band als Zweckgemeinschaft spricht.

Es ist eine kleine Sensation: Das große Rammstein-Interview im Dezember-ROLLING STONE ist das einzige, das die Band in diesem Jahr geben wird. Da sich die Band als Kollektiv begreift, war es nur logisch, dass der ROLLING STONE exklusiv mit Till Lindemann, Flake Lorenz, Richard Kruspe und Christoph Schneider sprach. Die gesammelten Interviews finden Sie in unserem großen Rammstein-Special in der aktuellen Ausgabe. Lesen Sie hier nun das von Rainer Schmidt und Torsten Groß geführte Interview mit Gitarrist Richard Kruspe.

Die Interviews mit Rammstein finden bei Black Box Music statt, einer am Berliner Stadtrand gelegenen Firma für Veranstaltungstechnik, die Komplettlösungen für jede Art von Großveranstaltungen anbietet. Die Musiker bereiten sich dort in einer riesigen Halle mit der kompletten Produktion auf die anstehende Welt-Tournee vor. An den folgenden Abenden finden öffentliche Generalproben vor einigen Hundert Fanclubmitgliedern aus ganz Europa statt. Die Musiker werden sich also in krachlederne Kostüme zwängen und ihr komplettes Arsenal an Pyrotechnik abfeuern. Zum Interview kommt Gitarrist Richard Kruspe aber noch in bequemer Kleidung aus Jogginghose und Pullover.

Richard Kruspe, Sie scheinen anders auf Ihre DDR-Vergangenheit zu blicken als einige Ihrer Kollegen. Sie haben die DDR als Gefängnis empfunden?

Das muss man selektiv betrachten. Bis ich ungefähr zwölf Jahre alt war, habe ich die DDR absolut nicht als Gefängnis empfunden, ich hatte eine entspannte Kindheit. Es gab auf den ersten Blick wirklich keine erkennbaren sozialen Unterschiede, Status hat keine Rolle gespielt. Erst als ich älter wurde und angefangen habe, über den Tellerrand zu blicken, kamen die Fragen. Diese Fragen waren nicht erwünscht und wurden nicht beantwortet, sodass ich das dann schon irgendwann als ein Gefängnis empfunden habe. Ich hatte Probleme mit Lehrern, überhaupt mit Autoritäten, und bin so immer mehr an meine Grenzen gestoßen.

Wie beurteilen Sie nostalgisch gefärbte Rückblicke?
Teilweise kann ich das schon verstehen. Es ist ja nicht alles nur schwarz oder weiß. Aber mir ist völlig klar, dass meine Entwicklung als Mensch und Musiker ohne den Westen so gar nicht möglich gewesen wäre.

Sie sind 1989 über Ungarn abgehauen …

Ein halbes Jahr, bevor die Mauer fiel! Das war gar nicht geplant, sondern ein blöder Zufall. Der Klassiker, wie im Film: Ich war 1989 zufällig in eine Demonstration geraten, und als ich aus der U-Bahn stieg, wurde ich verhaftet. Eine Verwechslung. Dann ging es zum Polizeirevier, wo ich stundenlang an die Wand gestellt und geschlagen wurde. Ich wurde geprügelt, verhört und wenn ich mich bewegt habe, wieder geschlagen. Danach wusste ich: „Du musst hier raus!“ Eine ganz spontane Reaktion auf diesen Vorfall. Ich bin dann mit meinem schwulen Freund Leo über Ungarn nach Westberlin geflohen.

Warum sind Sie nach der Wende wieder zurück in Ihre alte Heimat gegangen?
Ich fand es total scheiße in Westberlin. Alles war grau und dunkel, das hat mir Angst gemacht. Ich kam aus einem sehr behüteten Umfeld. In Westberlin war ich einsam und immer unterwegs. Überwiegend auf Konzerten, habe Nirvana im Loft gesehen und so. Eines Abends lernte ich auf einer Party, auf die ich gar nicht eingeladen war, eine Frau kennen und durch sie den Ex-Trommler der Fehlfarben. Mit dem habe ich dann endlich wieder ein bisschen Musik gemacht. Auf Dauer war auch die Wohnsituation mit drei Leuten in einem Zimmer sehr belastend, und im Osten gab es billigen Wohnraum ohne Ende. Also bin ich wieder zurück.

Sie sind immer wieder ausgebrochen, erst aus der DDR, später nach New York, haben ein Soloprojekt verwirklicht. Insgesamt ergibt sich das Bild eines rastlosen Menschen – wie erklären Sie sich das?
Psychologisch ist das relativ leicht erklärbar: Ich bin der Zweitgeborene und mein Bruder war immer Mutters Liebling, hat immer alles richtig gemacht. Ich musste stets um Aufmerksamkeit kämpfen und habe irgendwann die andere Seite gewählt und mir die Aufmerksamkeit da geholt.

Und landeten schließlich bei einer Band, die auch durch Grenzverletzungen Aufmerksamkeit kreiert. Steckt hinter den Tabubrüchen von Rammstein ein Konzept? 

Am Anfang war unser einziges Konzept, mit einer gewissen Naivität an die Sache heranzugehen. Diese Naivität haben wir bewusst beizubehalten versucht. Wenn man sich selbst zu sehr hinterfragt, beginnt automatisch eine Form von Selbstzensur. Aber wir wollten jegliche Form von Zensur vermeiden, das kannten wir ja alles aus dem Osten, wo ständig zensiert wurde. Das ist vielleicht das einzige Konzept. Es gibt keinen abgesprochenen Masterplan. Ich glaube auch nicht, dass das funktionieren würde. Kunst entsteht aus einem spontanen Bauchgefühl heraus.

Der musikalische und ästhetische Rahmen der Band wirkt klar abgesteckt. Was auch bedeutet: Man muss sich strikt unterordnen. Wie schwer fällt Ihnen das? 

Sehr schwer. Und es wird auch immer schwieriger, weil man merkt, dass man zum Sklaven seiner eigenen Show geworden ist. Einfach mal mit Sporthosen auf der Bühne zu stehen und loszuspielen geht ja nicht. Auf der anderen Seite ist mir natürlich auch klar, dass wir mit dieser Band ein Trademark geschaffen und einen einzigartigen Sound kreiert haben. Trotzdem ist es ein ­schmaler Grat, weswegen es wichtig ist, andere Bedürfnisse woanders ausleben zu können. Ich würde gerne noch mal in einer AC/DC-Coverband spielen. Einfach auf der Bühne stehen, kein Licht, keine Show, nur Rock’n’Roll.

Es gab einige Krisen bei Rammstein, hatten die mit solchen Sehnsüchten zu tun? 

Schon. Aber jeder weiß, dass er das, was wir mit dieser Band erreicht haben, nie wieder mit etwas anderem schaffen wird. Wir sind alle stolz auf das gemeinsam Erreichte. Und dafür müssen wir Abstriche machen. Flake hat früher in einer Funk-und-Blues-Band gespielt. Als wir mit Pantera angekommen sind, hat er mich angeguckt und gefragt: „Was ist das denn für ein Scheiß?“ Heute findet er natürlich auch gut, was wir machen.

Ist die Band Rammstein eine Zweckgemeinschaft?

Auch. Absolut. Wir sind natürlich aufeinander angewiesen, auch finanziell. Es wäre Quatsch, etwas anderes zu behaupten. 

Die Gruppe ist mehr als die Summe der einzelnen Teile?
Ja. Das mussten wir alle lernen. Mir ist das durch den Weggang aus Berlin gelungen. Das war wichtig für mich, weil mein damaliges Umfeld nicht mehr gesund für mich war. In New York ist mir mit der nötigen Distanz klar geworden, wie schwachsinnig unsere kleinen Streitereien sind. Ich konnte wieder das Große sehen, was wir erreicht haben. Und dann kommt man zurück, und das Ganze geht wieder von vorne los.

Beim letzten Album hat es wieder geknirscht?
Ja, da gab es Momente, wo alle nicht mehr wussten, wie es weitergehen soll. Wir konnten uns auch musikalisch nicht mehr einigen. Wenn man älter wird, will man sich nicht mehr ständig mit den gleichen alten Problemen auseinandersetzen. Also bleibt vieles unausgesprochen und es kommen neue Probleme. Da sind wir Gott sei Dank heil herausgekommen. Als das Album endlich fertig war, war auch der Ballast weg. Während der Produktion hatten wir einfach zu viele Entscheidungen zu treffen. Mit sechs Leuten kann das die Hölle sein.

Wie heftig tragen Sie derartige Konflikte aus? 

Wir haben uns jedenfalls noch nie geprügelt, auch wenn wir ein paarmal kurz davor waren. Manchmal hätte ich mir das sogar gewünscht, weil ich glaube, dass mitunter so ein ehrlicher Faustkampf Probleme lösen kann, wie im Wilden Westen. (lacht) Hat es aber nicht gegeben. Wir haben es immer geschafft, das durch Kommunikation zu klären, auf die buddhistische Art.

Wie sehr zerren diese langen Tourneen inzwischen gesundheitlich an Ihnen?
Das Touren ist nicht das Problem, eher das Feiern. Wenn man nach der Show sofort ins Hotel gehen würde – easy. Aber wenn man bis sechs Uhr morgens feiert, kommt man inzwischen immer schwerer aus dem Bett.

Treiben Sie zum Ausgleich Sport?
Jeder macht was anderes. Wegen meiner Rückenprobleme habe ich mit Schneider angefangen, eine Stunde vor der Show Yoga zu machen. Wir haben einen Yogalehrer, und das hilft auch. Und Till und Olli haben vorher immer Tango getanzt.

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