Rare Trax

No Future? Pah! Das große Punk-Beben sprengte Ende der 70er Jahre nämlich auch eine neue Protest-Song-Kultur frei. Punks mit Idealen, mützentragende Barden mit Biss - und ein Haufen hellwache, moderne Kampflieder. In Straßenschuhen.

Schon am 7. Juli 1975, als noch keine Nase geblutet hatte und kein Spuckefaden geflogen war. nahm die New Yorker „Village Voice“ ein Foto auf den Titel, auf dem sich Bob Dylan und Patti Smith umarmten: „Tarantula Meets Mustang“. Kein Wunder, denn die junge Sängerin berief sich deutlich genug auf den Meister, und auch dem schadete es nichts, mit der Coolen zu posieren.

Dass es für viele trotzdem eine Überraschung ist, wieviel die Traditionen von Punk und Folk miteinander zu tun haben, liegt an den überzeichneten Bildern. An der Karikatur vom langhaarigen, naiven Friedenssänger auf der einen Seite und dem nihilistischen, auf Krach gebürsteten Dosenkopf auf der anderen. Donovan hat sicher nicht die Sex Pistols beeinflusst, doch rückblickend sieht man in aller Schärte, wie gerade die Punk-Explosion für den politischen Folksong völlig neue Möglichkeiten schuf. Für junge Agit-Lyriker mit Mützen und Gitarren und für elektrische, aus den Punkszenen heraus entstandene Bands, die sich explizit in Protestsong-Gesten ausdrückten.

„Woody Guthrie schrieb sich einen antifaschistischen Spruch auf die Wandergitarre, bevor die elektrische Gitarre überhaupt erfunden war“, sagte der britische Troubadour Billy Bragg 1998. „Da muss man sich fragen: Wer war eigentlich der erste Punk? Joe Strammer oder Woody?‘ Der New Yorker Post-Punk-Hobo Roger Manning drückt es so aus, in seinem „Pearly Blues“, auf ein Album von The Clash anspielend: .“Cmiibut Riiclf was blasting/ And everybody knew the words/ So it had to be a folk song“. Und fügt dann hinzu, insistierend: „But this is not a folk song!“

Dabei singen sie alle so schön: CHUMBAWAMBA aus Lceds sind berühmt für ihre mehrstimmigen Sätze, sangen englische Protcstlieder aus dem 15. Jahrhundert, vor allem aber politisch kompromisslose Satiren. Die Gruppe entstand 1983 aus einem Aktionsteam im Bergarbeiterstreik, kooperierte mit Punks und HipHoppern, übergoss Joe St rummer mit Farbe, hatte einen Hit in den USA – im April 1008 sind sie weder auf Deutschland-Tour. Der Track hier spielt auf einen selbstironischen Ausspruch Dylans an—wer einem echten Anarchisten Feuer gibt, meinen Chumbawamba, müsste eigentlich bald öffentliches Eigentum brennen sehen.

Noch mehr Bobby-Inspiration: BILLY BRAGG gibt sich beim großartigen „Ideology“ zwar selbst als Autor an, aber Melodie und Reimschema sind so deutlich an Dylans „Chimes Of Freedom“ angelehnt, dass es kaum Zufall sein dürfte. Folkies dürfen das, und Bragg-der auch mit seinem neuen Album in dieser Ausgabe auftaucht – ist der absolute Phänotyp des Post-Punk-Issue-Sängers: sprachbegabt, laut, rotköpfig. inhaltlich strikt. Den Krach übertönend, den aufeinandertreffende Ideologien machen.

In Großbritannien waren es vor allem die Repressalien der Thatcher-Regierung, die junge, an Punk geschulte Musiker politisierten — die wiederum merkten, dass sie im Bemühen um zeitgemäße . Kampflieder uralte Vorfahren hatten. Die MEKONS aus Leeds schwenkten nach lärmenden Anfängen zu Topic-Songs im Country- und Folkstil um. Für Johnny Miner“ adaptierten sie ein bitteres Lied, das der Songwriter Ed Pickford über das Leben der Minenarbeiter geschrieben hatte. Auch die Mekons haben 2008 eine neue Platte: „J^uttiral“. Als 1985 ein München-Konzert von THE MEN THEY COULDN’T HANG im 3. Programm lief, sah man im Publikum echte Irokesen tanzen. Obwohl die Londoner oft ganz unbehandelten britischen Folk spielten- stark beschleunigt eben. Eine Straßenmusikcrtruppe, entdeckt von Elvis Costello, produziert von Pogues-Gitarrist Philip Chevron (dessen Band uns für diese CD leider keinen Song gab), hier mit „Ironmasters“, einer Fantasie über industrielle Revolution und Arbeiterschicksal, historisch exakt recherchiert. Auch diese Band existiert noch.

Bei einigen Gruppen aus dem Punk-Kontext folgte die Öffnung su Folk- und Weltmusik auch schlicht aus dem Wunsch, die anarchische Freiheit in der täglichen Arbeit nicht zu verlieren. Wann hört man schon, wie hier, ein Arbeiter-Gedicht von Tucholsky („Lied der Steinklopfer“ von 1929) mit malmenden Gitarren? THE EX aus Amsterdam sehen sich seit 1979 als dynamisches Projekt, lieben das Experiment, treten auch in Afrika auf, machen bei Theaterstücken mit, haben Rebellenlieder aus dem Spanischen Bürgerkrieg ebenso gespielt wie äthiopischen Soul. Nichts davon ohne Überzeugung.

Überraschende Gäste aus Bremen: DIE MIMMI’S (mit Apostroph!), deren Sänger Fabsi in der Prä-Toten-Hosen-Band ZK war. sich mit den Mimmi’s aber das elegant Nicht-Staatstragende bis heute bewahrt hat. Warum „Gebt den Faschisten keine neue Chance“ mehr Protestsong als Punk-Klopper ist: Schon der Titel ist die Aufforderung, der Song formuliert sein Ideal mit größter Dringlichkeit und Praxis. Ein vulgärer Meilcnstein – aktuelles Mimmi’s-Album: „Ich will alles und noch mehr“.

Geograhsch ein weiter Sprung nach Santa Cruz, musikalisch und Slogan-technisch aber nur ein kleiner Steppschritt zu „Take The Skinheads Bowling“ von CAMPER VAN BEETHOVEN, einer Band, in der sich Post-Punk-Radikalität und studentisches Hippietum umarmten wie bei keiner anderen. Ihr Skinhead-Song wurde hundertfach als Antifa-Hymne gecovert, als Titelstück für den Millionenfilm „Bowling For Columbine“ genommen – obwohl der Text kaum mehr als ein surrealer Gag ist. Teuflisch.

Der Mann, der unserer „Rare Trax“ den Namen gegeben hat, jongliert ein Riesenknäuel Geschichte: Kerouac, Woody, Hobotum, New-York-Punk. ROGER MANNING verkaufte sein erstes Songwriter-Tape 1987 im Kiosk des CBGB’s-Club, sein erstes Album kam beim Hardcore-Label SST. Heute gilt Manning als Prophet des Anti-Folk, damals war er aber mehr Pro-Punk, trat als hart schlagender Straßensänger im Vorprogramm von brutalen Bands auf, sang von Tramp-Trips und Polizeigewalt. Heute ist er vor allem Webdesigner — wir raten zum Besuch auf rogerm.net.

Diese Frau sucht der Ich-Erzähler in Mannings Song vergeblich, aber wir haben sie. MICHELLE SHOCKED druckte 1988 auf ihr Album „Short Sharp Shoced“ gleich ein Foto, das sie bei einer Demo in San Francisco im Würgegriff der Polizei zeigt. Den Furor der jungen Aktivistin mit bewegter Lebensgeschichte hört man am besten auf dem Hidden Track „Fogtown“, einer Kollaboration mit der Punkband MDC aus Austin. Shocked wollte damit die Plattenfirma ärgern, die noch einen B-Seiten-Track von ihr forderte – zu ihrer Überraschung war das Label begeistert.

Wer in den 90er Jahren ab und zu in die Nähe eines soziokulturellen Zentrums kam, hat sicher mal ein Konzert von A SUBTLE PLA-GUE gesehen. Die (wie Steely Dan!) am Bard College im New Yorker Hudson Valley gegründete, ausgesprochen reiselustige Band bewies, wie man Positivismus, Pazifismus und Weltoffenheit auch ohne musikalisches Pathos vertreten kann. Der Nukleus der Gruppe ist heute als The Durgas weiter auf Expedition (und gab sein Okay für die „Rare Trax“ per Mail aus Thailand).

Über den großen ROBERT W YATT muss man nicht mehr viel sagen (steht ja alles in unserem Special in 10/2007). Sein „Shipbuilding“ über Kriegsgewinnler und -Verlierer im Falkland-Konflikt zählt zu den größten Protestsongs der Popgeschichte – der Text ist von Elvis Costello, der kurz davor noch als Punk durchging. Ein Folksong ist das nicht. Und auch den weißen Tauben steht etwas Zynismus nicht schlecht.

Und weil Protest ohne Werbung heute nicht mehr geht: anschließend noch die Hörprobe zu unseren „Talking Books“ sowie der Trailer zum Kinofilm „Die österreichische Methode“.

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