45 R.P.M. von Wolfgang Doebeling

Nichts ist so altmodisch wie die Moderne von gestern. DEPECHE MODE etwa. David Gahan verfügte immer nur über diese eine, modulationsunfähige Stentor-Stimme, aber Martin Gore hatte ein Händchen für Melodien. Ein aparter Kontrast, von dem sich eine Zeitlang zehren ließ. „Barrel Of A Gun“ (Mute) ist bloß noch Sound, kalt und krass. Disco, gotisch. 2,0

Nicht kleckern, sondern klotzen scheint die Devise von U2 zu sein. Ihr „Discotheque“ (Island) hat soviel Funk wie eine Betonmischmaschine und swingt wie die Village People in Ritter-Rüstung. Stadion-Goth-Disco, metallisch und mechanisch. 2,0

Von beinahe atemberaubender Brillanz ist dagegen „Beetlebum“ (Parlophone) von BLUR, deren feinste fünf Minuten auf einem monochromatischen Gitarren-Riff basieren von der Art, wie ihn Be Bop Deluxe gerne ihren Höhenflügen voranstellten. Doch anders als Bill Nelson bescheiden sich Blur mit diesem Motiv, alternieren es lediglich mit beatlesken Zuckerwatte-Refrains und einem fabelhaften Lennon-Stakkato, halb Plastic Ono, halb White Album. Extrem hübsch auch die semiakustische, NonAlbum-B-Sehe „Woodpigeon Song“. Red VinyL 4,5

Dem Quintett TIGER eilt der Ruf voraus, schwierig und selbstverloren zu sein. Schwer zu glauben, wenn man „On The Rose“ (Trade 2/Island) hört, eine knallige Kreuzung aus Buzzcocks-Beat und Elastica-Sex, rasierklingenscharf und ausgestattet mit einer potenten Hookline und putzigen Hiccups. 4,0

Romo, vor mehr als einem Jahr zum next big thing nach Britpop deklariert, erwies sich als Totgeburt, und die meisten Romo-Bands verstekken sich in ihren Übungsräumen, bis Gras über den pophistorischen Treppenwitz gewachsen ist. Nicht so PLACEBO, die von Single zu Single besser werden: „Nancy Boy“ (Elevator Music) ist ein Glamrock-Juwel, das sich hinter keiner Bolan- oder Bowie-Nummer verstekken muß und den ach so androgynen Brian Molko als großes Talent outet, das sich auch ohne Trendschwemme durchsetzen wird. Great stuft.4,0

Viel subtiler gehen THE WED-DING PRESENT zu Werke.

„Montreal“ (Cooking Vinyl) ist einer jener David-Gedge-Songs, die einen hinterrücks überwältigen, wenn man am wenigsten darauf gefaßt ist. Inhaltlich love gone nrong, formal pop gone right. Von den zwei unterschiedlichen 7inch-Versionen sei die empfohlen, deren Rückseite das „Theme From Cheers“ ziert, völlig verhackstückt, aber ~-the troubles are all die same.“

Funny. 4,0

Einen ausgeprägten Sinn für Humor wollen wir auch THE SUPERNATURALS unterstellen, die für „The Day Before Yesterday’s Man“ (Food/EMI) einfach die Melodie von „OP 55“ annektiert haben, eines Tom-Waits-Frühwerks, das die Eagles einst schön coverten und besser noch Ian Matthews. Die Supernaturais, Pubrocker aus Überzeugung, haben freilich nichts als Unsinn im Sinn. Die Flipside heißt „Honk Williams“ und handelt von einem Außerirdischen, der eine Gibson-Gitarre sein eigen nennt und mal eben zum Pissen auf der Erde Station macht, wo™ ach was, mehr wird nicht verraten. 3,5

Recht soliden Folk-Rock spielen SWEETWATER aus Köln auf einer 7inch-EP, die vier Eigenkompositionen mit einer Spielzeit von immerhin 15 Minuten birgt, nichts davon mitreißend, nichts davon langweilig (Kaos Farm, Taunusstr. 22, 53119 Bonn). Weniger Beschaulichkeit wäre gut, mehr Härte und Hartgesottenheit täten not. 3,0

Zu beziehen über Mr. Dead & Mrs. Free, Bülowstr. 5,10783 Berlin; Outer Limits, Postfach 440 321,12003 Berlin

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates