45 R.P.M. :: von Wolfgang Doebeling
Nun hat es Onkel Lou also doch noch geschafft, einmal eine Hitparade anzuführen, wenn auch nur mithilfe einer Horde wohltätiger Freunde. So kommt Reeds alter Simpel-Song „Perfect Day“ (Chrysalis) zu späten, unverhofften Ehren und dient dabei auch noch einem guten Zweck, dem „BBC Children In Need Appeal“. Was sich hier hinter VARIOUS ARTISTS verbirgt, ist ein Starauftrieb der besonderen Art. Neben den üblichen Verdächtigen wie Bono, Bowie und – wohl unvermeidlich – Elton John, finden sich auch Künstler im Aufgebot, die der Sache Klasse und Integrität verleihen, etwa Emmylou Harris oder Dr. John, dazu Robert Cray und Suzanne Vega, der aufgeräumte Brett Anderson und der affektierte Evan Dando. Und viele mehr. Höhepunkt sind die drei Wörtchen „it’s such fun“, die Shane McGowan seinem zahnlosen Mund abringt. Köstlich. Eine Charity-Single also, die zur Abwechslung mal nicht peinlich ist, sofern man sich in der Nähe des Volume-Reglers aufhält und das Ding gegen Ende rechtzeitig ausblendet, bevor Tom Jones losknödelt. 3,0
Eine weitere angenehme Überraschung ist das Theme-Tune zum neuen Bond-Spektakel „Tomorrow Never Dies“ (A&M) von SHERYL CROW, die zwar hörbar Probleme in den oberen Registern hat und sich stimmlich arg strecken muß, aber sonst alles richtig macht. Die Melodie ist adäquat melodramatisch, Sheryl singt von „martinis, girls and guns“, und das Orchester schwillt so bondianisch an und ab, daß vor unserem geistigen Auge Sean Connery erscheint, kein Substitut. Bei uns läuft der Streifen ja unter dem Titel „Der Morgen stirbt nie“, was nicht einmal so blöd ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Man muß nur wissen, daß die Zeitung „Der Morgen“ gemeint ist (?). In dubio pro reo. 3,5
Eine Single von BECK ist zu vermelden, nicht mehr ganz frisch, aber gewohnt forsch: „Deadweight“ (Geffen) hat alle Versatzstücke, die den schelmischen Neo-Hippy so populär machen. Ein nippiger Rhythmus (hier: Bossa Nova), ein ausgefallenes Instrument (hier: ’ne Art Drehorgel), ein geklauter Text (hier: „don’t let the sun catch you crying“), und ein verschachteltes Arrangement. Nichts ist originär, wenig ist original, alles nur originell. Clever, der Clown. 2,5
YO LA TENGO sind eine gute Band, „Little Honda“ ist ein toller Song, was kann da wohl schon groß schiefgehen? Eine Menge, leider. Dieses Gefährt ist nicht rasant, die Fahrer nicht verwegen. Second gear, hang on tight? Nicht nötig. Faster, it’s alright? Nein, lieber wieder zurück in den ersten Gang. Yo La Tengos „Little Honda“ (Matador) ist nur ein Haufen Schrott, der Antrieb eine Zweitakt-Mary-Chain-Maschine, die Umsetzung ein variationslos durchgehendes Lo-Fi-GeschrammeL Gähn. Nicht tragisch, denn drei schnittige Versionen des Brian-Wilson-Klassikers gibt es ja schon. Die von den Beach Boys natürlich, die von den Hondells und die von olle Pat Boone. Im Ernst. Alle volle vier Sterne wert. Yo La Tengo gebühren allenfalls 2,0.
CATATONIA haben zum Jahresende noch mal zugelangt. Auf „I Am The Mob“ (Blanco Y Negro) machen sie ganz untypischen, aber feinen Radau, und Sängerin Cerys, die jetzt Hughes heißt, agiert aggressiver als ehedem, vulgärer gar. Das liegt freilich am Text, der die Frage beantwortet: Gibt es organisiertes Verbrechen auch in Wales? 4,0
Zupackender als gewohnt klingt auch BETH ORTON auf ihrer 12inch-EP „Best Bit“ (Heavenly). Die neue Robustheit geht zulasten der Folk-Feinsinnigkeit, steht ihr aber gut, vor allem auf Fred Neils „The Dolphins“, das sie gemeinsam mit Terry Callier singt, und dessen Vibraphon-gestyltes Sound-Ambiente einen schönen Kontrast abgibt zur Weltschmerz-Poesie des brillanten, sträflich unterbewerteten Songwriters und Öko-Aktivisten. Die beste Cover-Version, bald 30 Jahre alt, ist freilich immer noch die von Linda Ronstadt. 4,0