Air Liquide – Homicidal Diary; The Bionaut – Wild Horse Annie :: EMI; EMI
„Abuse Your Illusions“ hieß vor zwei Jahren das Debüt von Air Liquide, mit der das legendäre Harvest-Label in Köln wieder zum Leben erweckt wurde. Das endgültige Signal für den Elektro-Underground am Rhein, in die Welt zu schwärmen und von der frohen Botschaft zu künden: Es gibt ein Leben nach Kölsch-Rock. Auf diversen CDs und bei Live-Performances (freundlich unterstützt von Sound-Schnipsel-Weltmeister Holger Czukay) haben seitdem die Protagonisten der Szene um Air Liquide, Mike Ink, Mouse On Mars und The Bionaut die Fächer der neuen Kölner Elektro-Schule zum internationalen Talkabout gemacht.
Jörg Burger alias The Bionaut vertont auf seiner neuen 5-Track-Mini-CD „Wild Horse Annie“ Aggregatzustände, Zwischenergebnisse, wenn man so will: Halbzeitpausen, in die sich via Sample auch schon mal die Stimme des Johnny Cash einklingt („Wish I Was Tied To Bertha“). Weil Burger aber fortwährend auf der Suche nach dem perfekten Popsong ist, wohlwissend, daß er den niemals finden wird, schleust er immer wieder Song-Ansätze, PopAhas für die Gehörgänge, liebliche Gesänge in seine Tracks, die dann gemeinsam dem Hörer zunicken und sagen: So bin ich, der Jörg, gerade drauf. Zum Beispiel der Titelsong „Wild Horse Annie As Herself“. Der funktioniert auf einer Art Can-Beat, über den Sound-Schlieren mäandern, die Rock-Historiker entfernt an „Set The Controls For The Heart Of The Sun“ von Pink Floyd erinnern mögen.
„Wild Horse Annie“ verweigert sich der plakativen Pracht des Pop und fahrt auf niederer Knotenzahl zwischen die Stile und Endgültigkeiten.
Ingmar Koch arbeitet mit Partner Jammin‘ Unit unter dem Logo Air Liquide seit Jahren am magischen Groove und all seinen Stör- und Streitpotentialen, die sich aus der Verfremdung von Loops speisen vorzüglich auch auf dem Can-Remix-Album bei dem Track „Flow Motion“ dokumentiert Hinter dem „Homiddal Diary“ lauert der Wahnsinn ein paar Millimeter unter unserer Schädeldecke, die blutigen, schizoiden Gespenster der Nacht – du darfst auch Alptraum dazu sagen.
Daß die Maschinenbeats aus dem Kölner Ocean-Blue-Studio im Titel-Track auf den allegorisch brennenden Schrottplatz aus dem Back-Katalog der Einstürzenden Neubauten verlagert werden, darf ab einmaliger Bonus dieser Produktion gelten. Die Symbiose von Dancefloor sowie Avantgarde mittels archaischer, auch analoger Schrafluren und Texturen gelingt derzeit kaum einem Elektro-Outfit so nachdrücklich wie dem Kölner Duo mit den stolzen Newbrk-Connections. Während Koch mehr für die Geräusche und Sprach-Samples, quasi den Überbau also, verantwortlich ist, besorgt Jammin‘ Unit die Arbeit des Editors.
Smells like team spirit.