All Our Forts Are With You :: Childish und die Ex-KLFler: ein großer, dreckiger Punk-Spaß
„Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Morgens auf, und jede Musik ist verschwunden. Alle Instrumente, jede Form von Aufnahmen, einfach weg.“ Mit diesem Gedankenspiel konfrontierte Bill Drummond, einer der Musiker in Billy Childishs jüngster Garagenrock-Band, bis vor Kurzem regelmäßig sein Publikum. Und danach wurde gemeinsam im Chor gesungen -als wär’s das allererste Mal. Zusammen mit seinem Kumpel Jimmy Cauty, der bei CTMF den Bass spielt, betrieb Drummond einst The KLF, eine der berüchtigtsten und aktionistischsten Bands des Pop: Nummer-eins-Hits nach Anleitung und verbrannte Millionenbeträge pflasterten bis in die Neunziger ihren Weg. Seitdem: Stille, Chorgesang, Kunst mit Briefmarken.
Billy Childish ist ein begabter Maler, Gott eines primitivistischen Musikverständnisses, Ex-Lover von Tracey Emin und Träger eines famosen Schnurrbarts. Nur Buchhalter und Sammler machen sich noch die Mühe, seine Veröffentlichungen – meist auf Vinyl und in kleinsten Auflagen – und die wechselnden Bandnamen zu zählen und zu katalogisieren. An der Seite dieses wackeren Streiters für röhrende Akkorde aus antiquierten Vox-Verstärkern reiten in der Regel die reizende Backing-Sängerin Julie Hamper und der aufrechte Trommler Wolf Howard. CTMF, oder besser The Chatham Forts, sind also ein Quintett.
„All Our Forts Are With You“ ist ein grimmig fulminanter Geniestreich von der Klasse der Pop Rivets, der Headcoats oder der Might Ceasars. Die Melodien sind sogar ausgesprochen süffig, der Sound üppig, fast schillernd -aber natürlich alles im Rahmen eines von der dreckigen Seite der Sixties geprägten Punk-Verständnisses: „I knew you, baby, when you didn’t know Punk. I knew you, baby, before your ships were all sunk“, quengelt Childish im Titelsong. Viele Stücke sind eine Auseinandersetzung mit Punk und seinen Idealen. Einige der Texte existieren angeblich seit 1977, der Albumtitel geht sogar noch weiter zurück, auf die Medway Military Research Group. Ein Jungs-Club, dem Billy während seiner Jugend in Chatham angehörte, der die Gegend nach übrig gebliebenem Kriegsgerät durchkämmte.
„I’m a musical musical tribalist/ Not your whimsical musical theorist“, posaunt der zornige alte Mann in „Musical Tribalist“ seine Haltung heraus. Das in „Distorted Clarity“ und „Clear Distortion“ unterteilte Album ist ein ganz großer Punk-Spaß, den die beiden Konzept-Pop-Künstler von KLF sicher gerne mitgemacht haben. Denn das hat sich Drummond im Manifest seines Chors The 17 gewünscht: Musik machen „with no knowledge of what music should sound like“. Eine bessere Definition von Punk kann ich mir kaum vorstellen. Und was Jimmy Cauty am Bass leistet, klingt fast nach dem frühen John Entwistle. Garagenrock-Album des Jahres.(Damaged Goods/ Cargo) JÜRGEN ZIEMER